Fotostrecke

Familie Kohl: "Ohne die Spendenaffäre wäre Mutter nicht tot"

Foto: Heinz Wieseler/ dpa

Die Kohls Ein Familiendrama

Die Anhänger des Altkanzlers trauern, sein Sohn Walter erfuhr von Helmut Kohls Tod aus dem Radio. Erneut tritt das Familienzerwürfnis zutage.

"Sie sehen einen Menschen, der sehr traurig ist", sagte Walter Kohl, nachdem er übers Autoradio vom Tod seines Vaters erfahren hatte. Altkanzler Helmut Kohl war am Freitag im Alter von 87 Jahren gestorben.

Der Kommentar des Sohnes klang trotz tiefer Betroffenheit distanziert - auch im Moment der Trauer erinnerte er an das zutiefst problematische Verhältnis zu seinem Vater: Helmut Kohl habe schon vor Jahren jeglichen Kontakt zu seinen Söhnen abgebrochen, sagte der 53-Jährige. Er selbst habe das letzte Mal im Sommer 2011 mit seinem Vater telefoniert und habe ihn danach nicht mehr besuchen dürfen.

Walter Kohls Statement im Video:

REUTERS

Jahrelang beherrschten die Streitigkeiten im Hause Kohl die Nachrichten, oft hatte man das Gefühl, dass das politische Erbe des "Kanzlers der Einheit" längst von den innerfamiliären Auseinandersetzungen überschattet wurde.

Stoff für große Dramen gab es genug: Eine schwer kranke, offenbar zutiefst einsame Ehefrau, die Suizid begeht. Zwei unglückliche, laut eigenem Bekunden durch Kälte und Nichtbeachtung des Vaters verletzte Söhne. Eine nie anerkannte "Stiefmutter", der man unterstellt, sie strebe die alleinige Deutungshoheit über das politische Erbe ihres Mannes an.

"Ohne die Spendenaffäre wäre Mutter nicht tot"

Von 1982 bis 1998 war der CDU-Politiker Helmut Kohl Bundeskanzler. 1960 hatte er Hannelore Renner geheiratet, die er seit ihrem 15. Lebensjahr kannte. Bis zu ihrem Suizid im Jahr 2001 sollte sie offiziell die Frau an seiner Seite bleiben. Die Kohls waren die nationale Vorzeigefamilie der bundesdeutschen Konservativen - und investierten entsprechend viel Energie in die Inszenierung eines heilen Familienlebens.

Geurlaubt wurde am Wolfgangsee in Österreich, mit schöner Regelmäßigkeit gab es Fotos und Interviews aus den Sommerferien. Hannelore Kohl unterstützte ihren Mann, bewirtete seine Gäste, spielte mit eiserner Disziplin die Rolle der First Lady. Die Söhne versuchte sie, so gut es ging, aus dem Politikbetrieb herauszuhalten - auch weil sie in Zeiten des RAF-Terrors und zahlreicher Anfeindungen Angst um deren Sicherheit hatte.

Zwar soll Hannelore Kohl am sogenannten Zehn-Punkte-Programm ihres Gatten zum Erreichen der deutschen Einheit mitgearbeitet und durchaus politisches Interesse gezeigt haben. Auch soll ihre Lebensgeschichte, die Kindheit und Jugend in Leipzig, den Söhnen zufolge den Kanzler Kohl sensibilisiert haben, als sich die Chance für die deutsche Wiedervereinigung ergab. Den intriganten Politikbetrieb allerdings soll Hannelore Kohl vehement abgelehnt haben.

Nach der Wahlniederlage im Jahr 1998 hoffte sie, endlich von der Bürde der Politik befreit zu werden - aber es wurde nur schlimmer: Die CDU-Spendenaffäre brachte den Altkanzler in Misskredit, sie selbst wurde zur Zielscheibe von Häme und Hass. Kohl hatte von unbekannten Gönnern rund zwei Millionen Mark angenommen und den Geldgebern sein Ehrenwort gegeben, ihre Namen nie zu nennen. Dieses Versprechen hielt er bis in den Tod.

Fotostrecke

Helmut Kohl: Der ewige Kanzler

Foto: Gero Breloer/ AP

Zeitgleich mit der Spendenaffäre verschlimmerte sich die Lichtallergie der Altkanzlergattin, sie zog sich immer mehr in die Dunkelheit des Bungalows in Oggersheim zurück. Am 5. Juli 2001 starb Hannelore Kohl durch eine Überdosis Schlaftabletten.

Wie zerstritten die Familie zu diesem Zeitpunkt bereits war, zeigt die Tatsache, dass nicht Helmut Kohl selbst seinen Sohn Walter vom Tod der Mutter informierte, sondern die Büroleiterin des Altkanzlers. "Ohne die Spendenaffäre wäre Mutter nicht tot", sagte Walter Kohl später. Sein Vater sei ein Machtmensch und nicht in der Lage gewesen, Rücksicht auf andere Menschen zu nehmen. Helmut Kohl wiederum beklagte das Unverständnis seiner Kinder für die Verpflichtungen des Amtes.

Peter und Walter Kohl: Aufarbeitung durch Öffentlichkeit

Beide Söhne suchten die Öffentlichkeit und schrieben Bücher über ihre Kindheit und Jugend, die sie mit einer "alleinerziehenden Mutter" verbracht hätten. Der Vater war notorisch abwesend - ein Schicksal, das sie damals vermutlich mit vielen Kindern teilten.

Peter Kohl, der heute als Unternehmer in der Schweiz lebt, veröffentlichte 2002 zusammen mit der Journalistin Dona Kujacinski eine Biografie über seine Mutter. Darin sagt Sohn Walter, die Überlebensmechanismen der Mutter seien "das Abschalten von Schmerz, das Ausschalten von Emotionen und die totale Konzentration auf ganz wenige Punkte" gewesen. "All das hat sie an Peter und mich weitergegeben."

In seinem Buch "Leben oder gelebt werden" verarbeitete Walter Kohl wiederum seine offenbar quälende Familiengeschichte. Eine Form der "Selbsttherapie" sei das Schreiben gewesen, es habe ihn davor bewahrt, Suizid zu begehen wie seine Mutter, sagte er.

Das Berliner Büro des Altkanzlers kommentierte die Vorwürfe im Buch des älteren Sohnes im Sommer 2011 - allerdings nur indirekt. Die öffentliche Zurschaustellung und Vermarktung von Kohls Privatleben würden die Grenzen von Geschmack und Anstand weit überschreiten, hieß es. Diese Stellungnahme könne nur von "der Maike" überarbeitet worden sein, mutmaßte Walter Kohl später im TV-Interview mit Markus Lanz.

"Meine bloße Existenz löst Ängste aus"

"Die Maike" - das war Maike Kohl-Richter, die zweite Ehefrau von Helmut Kohl, 34 Jahre jünger, studierte Volkswirtin, ehemals Referatsleiterin im Wirtschaftsministerium. Am 8. Mai 2008 hatte Helmut Kohl seinen Söhnen per Telegramm mitgeteilt, dass er sich erneut vermählt habe. "Wir haben geheiratet. Wir sind sehr glücklich. Maike Kohl-Richter und Helmut Kohl", hieß es darin schnörkellos. Die Ehe wurde geschlossen in der Kapelle einer Reha-Klinik in Heidelberg. Als Trauzeugen fungierten der inzwischen verstorbene Medienunternehmer Leo Kirch und der damalige "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann. Peter und Walter Kohl waren nicht eingeladen.

Im Februar 2008 war der Ex-Kanzler schwer gestürzt, er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma, saß fortan im Rollstuhl und hatte Sprachstörungen. Maike Kohl-Richter war nicht nur die Frau an seiner Seite, sie wurde auch seine Pflegerin. Unterstützt von Ordensschwestern kümmerte sie sich um ihn - und seinen politischen Nachlass. Immer wieder wurden von verschiedenen Seiten Vorwürfe laut: Sie beanspruchte die Deutungshoheit über das Leben des Helmut Kohl. Sie habe den kranken Mann von seinen einstigen Vertrauten isoliert und ihnen entfremdet.

Kohl-Richter äußerte sich lange nicht zu den Vorwürfen. Im Sommer 2014 gab sie dann der "Welt am Sonntag" ein Interview. "Die einen, und das ist die ganz überwiegende Mehrheit seiner Freunde und Weggefährten, haben sich gefreut. Gefreut darüber, dass Helmut Kohl nicht mehr allein war und wieder eine Frau an seiner Seite hatte. Und bei den anderen löste meine bloße Existenz Ängste aus, dass ich ihnen etwas wegnehmen könnte, auf das sie glaubten, einen Anspruch zu haben."

Die Ansprüche, da darf man sicher sein, sind auch nach dem Tod von Helmut Kohl vorhanden.

Aus dem SPIEGEL-Archiv

SP 28/2011 -In der Kältekammer Söhne gegen den Vater, Stiefmutter gegen die Söhne - in der Familie Kohl wird nur noch gestritten. Es geht um das Gedenken an die Mutter, unerfüllte Liebe und das Leben im Schatten der Politik. Das Bild des Staatsmanns Helmut Kohl droht vom privaten Drama überlagert zu werden.

ala/dpa

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten