Hubert Wolf Historiker sieht katholische Kirche auf dem Weg zur »fundamentalistischen Sekte«

Der renommierte Kirchenhistoriker Hubert Wolf wirft der katholischen Kirche Verdunklung und Vertuschung im Missbrauchsskandal vor. Zudem versage sie bei drängenden Gegenwartsproblemen, schreibt er in einem Zeitungsbeitrag.
Kirchturmspitze mit Kreuz: Düstere Zeiten in der katholischen Kirche

Kirchturmspitze mit Kreuz: Düstere Zeiten in der katholischen Kirche

Foto: Friso Gentsch/ dpa

Die katholische Kirche hat nach Einschätzung des namhaften Kirchenhistorikers Hubert Wolf dermaßen an Glaubwürdigkeit eingebüßt, dass sie in aktuellen Debatten kaum noch relevant ist. »Die Zeichen der Zeit verlangen dringend nach einer Deutung. Aber der Kirche fehlt dafür jede Glaubwürdigkeit«, schrieb der Münsteraner Professor und Leibniz-Preisträger in einem Gastbeitrag für den »Kölner Stadt-Anzeiger« .

Es verwundere nicht, dass zu den aktuellen Herausforderungen von der Kirche kaum etwas zu hören sei. »Denn wer wollte notorischen Lügnern glauben?« Statt Licht zu verbreiten, seien Kirchenvertreter verantwortlich für Verdunkelung und Vertuschung, kritisierte Wolf mit Blick auf den Missbrauchsskandal.

»Es geht um Selbsterhaltung«

Kirchenhistoriker Hubert Wolf

»Die Zeichen der Zeit ehrlich zu erkennen, hieße radikale Umkehr und Buße; hieße Rücktritt und Bestrafung der Verantwortlichen; hieße effektive Reformen sofort, statt falsche Hoffnungen auf ›Synodale Wege‹ zu wecken, die am Sankt Nimmerleinstag immer noch nicht an ein Ziel gelangt sein werden.«

Scharfe Kritik übte der Theologe auch am Agieren der Kirche in der Corona-Krise. Die Kirche beschäftige sich hier fast ausschließlich mit sich selbst. »Es geht um Selbsterhaltung, es geht um – in der Pandemie natürlich notwendige – Zugangsbedingungen und Sitzordnungen für Weihnachtsgottesdienste.« Darunter drohe die eigentliche Botschaft des christlichen Evangeliums unterzugehen. Ohne sofortige radikale Reform werde die Kirche »zu einer fundamentalistischen Sekte verkommen«.

Ebenfalls im »Kölner Stadt-Anzeiger« äußerte sich die ehemalige Ansprechperson für Opfer sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln, Christa Pesch, »bestürzt« und »fassungslos« über Kardinal Rainer Maria Woelki. Die 74-jährige Sozialpädagogin widersprach Woelkis Darstellung im Fall des mittlerweile gestorbenen Pfarrers Johannes O.

Weder Woelki selbst noch sein Vorgänger Kardinal Joachim Meisner hätten versucht, den Vorwurf der Vergewaltigung eines Kindergartenkinds in den Siebzigerjahren durch O. aufzuklären. Das Opfer habe den Fall 2010 bei Pesch angezeigt. Sie habe in einem schriftlichen Vermerk an das Erzbistum 2011 darauf hingewiesen, dass der Fall weiter verfolgt werden müsse. Das Bistum habe aber »nichts unternommen«.

»Es ist für mich schwer erträglich, wie der Kardinal und die Bistumsleitung jetzt die Verantwortung von sich wegschieben und an andere weitergeben«, sagte Pesch der Zeitung. Nach Darstellung des Erzbistums konnte Kardinal Woelki nach seinem Amtsantritt 2014 in der Sache nichts mehr unternehmen, weil der zu jenem Zeitpunkt schon schwer kranke Pfarrer nicht mehr vernehmungsfähig gewesen sei.

Der Umgang mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Priester im Erzbistum Köln sorgt seit geraumer Zeit für Schlagzeilen. Woelki hatte dazu ein Gutachten bei einer Münchner Kanzlei in Auftrag gegeben – nach der Fertigstellung aber beschlossen, es doch nicht zu veröffentlichen. Dafür führte er rechtliche Bedenken an. Stattdessen beauftragte er einen Kölner Strafrechtler mit einem neuen Gutachten, das im März fertig werden soll.

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) sagte dem Bericht zufolge, die Kirche, die eine moralische Botschaft in die Welt sende, müsse sich natürlich auch selbst an diese halten. »Ich hätte mir einen anderen Umgang des Erzbistums mit dem Missbrauchsgutachten gewünscht«, sagte Reker.

wit/dpa/AFP
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