
Initiative Sauberes Hamburg: "Die Obdachlosigkeit ist unser Feind"
Satire-Initiative "Weg mit den Obdachlosen"
Hamburg - Das Rätselraten um die Initiative Sauberes Hamburg ist beendet. Seit Anfang Februar hatte die Initiative im Internet Stimmung gegen Obdachlose gemacht - was bei Facebook und Twitter für reichlich Aufregung sorgte. Nun kommt heraus: Hinter der satirisch gemeinten Aktion steckt die Hamburger Firma Farbflut Entertainment, die auf die Situation von Obdachlosen aufmerksam machen will.
Die Initiative veröffentlichte auf ihrer Homepage radikale und meist abstruse Hetzparolen gegen Obdachlose:
- Obdachlose, konnte man dort lesen, blockierten stundenlang Pfandrückgabeautomaten - zu Lasten hart arbeitender Menschen.
- Es wurde lamentiert über "scheiß Stress beim Shopping", weil es in der Innenstadt Hamburgs von Obdachlosen nur so wimmele.
- Obdachlose, so hieß es, beschmutzten Straßen, wenn sie den Müll nach Brauchbarem durchwühlten. Wer wollte, konnte sich auf der Homepage der Initiative über "Pennerstop2013" informieren - einen "undurchwühlbaren Mülleimer" mit abwärtszeigenden Metallzacken im Einwurfloch.
War das noch Satire oder doch tatsächlich denkbar? Das proklamierte Ziel der Initiative schien populistisch genug, um in einer sozial kalten Gesellschaft plausibel zu klingen: "Wir fordern: Weg mit den Obdachlosen, für ein sauberes Hamburg!"
Nun geben sich Marius Follert und Niels Wildung als die Köpfe hinter der Kampagne zu erkennen. Ihre Spielefirma Farbflut Entertainment hatte 2008 schon einmal mit einer ähnlichen Aktion bundesweit und international Schlagzeilen gemacht: Sie entwickelte das "Pennergame", das zeitweilig zu den populärsten Webseiten Deutschlands gehörte.
Auch bei der Initiative Sauberes Hamburg sei es darum gegangen, etwas für die Obdachlosen zu tun, sagt Marius Follert im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE: "Unser Feind ist die Obdachlosigkeit, es sind nicht die Obdachlosen."
Angestoßen worden sei die aktuelle Aktion durch Vorgänge wie die Vertreibung der Obdachlosen vom Hamburger Hauptbahnhof durch die Deutsche Bahn. Schon früher hatten sich die Initiatoren über die Installation von Sprinkleranlagen, die Obdachlose von Parkbänken vertreiben sollten, geärgert. "Das ist echt menschenunwürdig", sagt Marius Follert. Als öffentliche Empörung über den Umgang mit den Obdachlosen ausblieb, hätten sich die Initiatoren der umstrittenen Aktion gedacht, dass es Zeit sei, auf das Verhalten der Stadt Hamburg hinzuweisen.
Das nun von vielen kritisierte Mittel der Satire ist seiner Ansicht nach angemessen. Die Situation in Hamburg sei "Hardcore", das müsse man entsprechend klar machen: "Freundlich darauf hinweisen, das nützt nichts!"
Gezielte Provokation, um eine Diskussion in Gang zu bringen
Satire ist immer Geschmackssache, manch einer findet die Überspitzung geschmacklos. Im Falle der Initiative Sauberes Hamburg habe die Satire aber immerhin funktioniert, meint Follert: Das Thema Umgang mit Obdachlosen sei nun breit in der Öffentlichkeit.
Das kann man so sagen: "Online-Initiative hetzt gegen Obdachlose" titelte die "shz" am 23. Februar. Über "Dubiose Hetze im Netz" und "Fingierte Hetzjagd gegen Obdachlose?" wunderten sich das Hamburger Straßenmagazin "Hinz & Kunzt" und die "taz". Gegen die Macher liegt eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Hamburg vor. Und der Senat der Hansestadt distanzierte sich sogar ganz offiziell von der Initiative Sauberes Hamburg - für den Fall, dass jemand diese fälschlich für eine kommunale Aktion halten könnte.
Was trotz teils despektierlicher, mitunter diffamierender Beiträge ja hätte passieren können: Forderungen, etwas gegen die Präsenz von Obdachlosen zu unternehmen, kommen immer wieder - und nicht nur aus dem stramm rechten Lager. Selbst wenn das alles gut gemeint wäre, merkte früh ein skeptischer Facebook-Nutzer an, bestehe doch die Gefahr, dass das jemand ernst nehmen könne.
Facebook-Nutzer als Verteidiger der Obdachlosen
Die Initiative Sauberes Hamburg hatte viele ihrer verächtlichen Behauptungen über Obdachlose untermauert mit tatsächlich erschienenen Medienartikeln. Die aber entpuppten sich bei näherem Lesen oft als Beiträge, die eher auf das Leid von Obdachlosen hinwiesen. Die Reaktion erfolgte so prompt wie geplant: Es hagelte Hass-Mails und Beschimpfungen, vor allem aber wütende Facebook-Postings, die für Obdachlose Partei ergriffen - ein Shitstorm, wie ihn sich die Macher gewünscht hatten.
Marius Follert: "Die Leute waren total schockiert und haben uns beschimpft. Aber kaum jemand hat sich mit dem Kontext auseinandergesetzt. Die Leute sagen zu uns: 'Das könnt ihr nicht machen.' Sie tun aber auch nichts dagegen."
Auch den Initiative-Machern ist klar, dass die Provokation allein nur ein "erster Schritt" sein kann. In den letzten Tagen flochten sie durchaus geschickt Informationen über die Aktion Pfand gehört daneben in ihre Artikel ein: Diese - real existierende - Initiative plädiert dafür, entsorgte Pfandartikel wie Flaschen und Dosen für Obdachlose besser erreichbar zu machen, indem man sie neben den Mülleimer stellt, statt sie wegzuwerfen.
Auf die Publicity-Aktion soll nun eine Petition folgen. Mit ihr wollen die Provokateure erreichen, dass sich die Politik mit der Obdachlosenproblematik auseinandersetzt. Für die Distanzierung von der vermeintlich obachlosenfeindlichen Aktion hatte der Senat nur wenige Tage gebraucht. Follert: "Wir hoffen jetzt, dass sie sich genauso schnell zu unserer Petition äußern."