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Jerusalems unterirdischer Mega-Friedhof Die Stadt der Toten

Israels Bevölkerung wächst rasant, gleichzeitig sind die Friedhöfe überfüllt - besonders in Jerusalem. Dort entsteht für 50 Millionen Dollar ein riesiger Katakombenfriedhof. Ein Baustellenbesuch.

Am Rand von Jerusalem, im Stadtteil Givat Schaul, steht ein kahler Berg aus Kalkstein, keine Blumen und kaum Bäume. Wer lebend hierhin kommt, trauert. Der "Har ha-Menuchot", der "Berg der Ruhenden", ist ein Ort für die Toten: Mehr als 170.000 Juden sind auf dem größten Friedhof im Westen der Heiligen Stadt begraben.

Männer, Frauen, Kinder, unbekannte und bekannte, darunter Israels zweiter Präsident Jitzchak Ben-Zvi, der legendäre Partisanenführer Tuvia Bielski, aber auch wichtige Rabbiner, deren Gräber Pilgerorte für ihre Anhänger sind.

Der riesige Friedhof ist so groß wie 81 Fußballfelder - und dennoch längst zu klein für die vielen Menschen aus Jerusalem, die dort begraben werden müssen, und die Juden aus dem Ausland, die dort bestattet werden wollen.

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Jerusalem: Der Untergrundfriedhof

Foto: Oded Balilty/ AP

Jerusalem braucht pro Jahr 4400 neue Gräber

Gegenwärtig braucht die Stadt im Schnitt 4400 neue Gräber pro Jahr. Mittlerweile gibt es deshalb auf dem "Berg der Ruhenden" schon Grabkammern in Wandnischen, auf zwölf Stockwerken übereinander, ein Anblick wie in einem Parkhaus.

In den kommenden Jahrzehnten dürften es noch mehr werden. Israel hat die höchste Geburtenrate aller OECD-Mitgliedsländer. Das Zentrale Statistikbüro geht davon aus, dass 2048 mehr als 15 Millionen Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan leben - fast doppelt so viele wie heute. Irgendwann werden auch sie sterben und müssen beerdigt werden.

Der Hauptgrund für den Platzmangel auf den Friedhöfen: Anders als im Christentum werden im Judentum Gräber nicht eingeebnet, dürfen nicht aufgelöst werden. Jüdische Gräber sind für die Ewigkeit. So will es die Tradition und das jüdische Recht, die Halacha. Außerdem ist die Einäscherung von Toten verboten. Land für weitere Gräber hat die Jerusalemer Stadtverwaltung keines mehr.

Hightech-Nekropole nach biblischer Tradition

Arik Glazer hat ergraute Haare, einen Händedruck wie ein Nussknacker und die Lösung für das weltliche Problem an diesem religiösen Ort. Er ist kein gläubiger Mensch, sagt der israelische Bauunternehmer, dafür Spezialist für Tunnelarbeiten.

Glazer baut gegenwärtig einen rund 50 Millionen Dollar teuren unterirdischen Mega-Friedhof für 22.000 Gräber, eine Stadt für die Toten von morgen - direkt im "Berg der Ruhenden".

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Der Weg zu seiner staubigen Baustelle führt über kleine Serpentinen, die den terrassenförmig angelegten Friedhof durchziehen. Hinter dem mehr als 15 Meter hohen und 15 Meter breiten Eingang auf etwa halber Höhe des Berges verbirgt sich ein verzweigtes Höhlensystem aus drei Alleen, sieben Straßen und einem gigantischen Schacht, durch den aus 55 Meter Höhe das Frühsommerlicht fällt.

Künftig sollen hier drei Fahrstühle die Hinterbliebenen in die Jerusalemer Unterwelt bringen. Daneben wird es vier weitere Eingänge geben - und wer nicht gut zu Fuß ist, soll mit einem Elektrowagen durch die Nekropole fahren können, die bis zu einen Kilometer in das Berginnere reichen soll.

"Die Rabbiner sind ausgeflippt vor Freude"

Dutzende Arbeiter schuften gegenwärtig in zwei Schichten unter Tage an dem Projekt. Sie bohren am Boden und auf Kränen, an manchen Stellen wird schon geschweißt und mit großen Baggern Stein für Stein abgetragen - am Ende werden es wohl 300.000 Kubikmeter Schutt sein. Auf Dynamit verzichtet Glazer weitgehend, um die Totenruhe über ihm nicht zu stören.

Sein Auftraggeber ist die "Chevra Kadischa" (auf Deutsch: "Heilige Gesellschaft"), eines von insgesamt 18 privaten Beerdigungsunternehmen in Jerusalem. Die "Chevra Kadischa" hat mit dem unterirdischen Friedhof Platz für die nächsten zehn Jahre, sagt Glazer. Die ersten 7000 Gräber sollen bereits 2019 fertig sein.

"Die Rabbiner sind ausgeflippt vor Freude über den Friedhof", sagt Glazer. Er löst nicht nur ihr Platzproblem, sondern knüpft mit dem Hightech-Projekt auch an eine uralte Tradition an: Bereits der biblische Urvater Abraham beerdigte seine Frau Sara in der Machpela-Höhle von Hebron.

Unterirdischer Friedhof

Unterirdischer Friedhof

Foto: Arik Glazer/ Rolzur

Die Toten in Jerusalem werden unterschiedlich begraben: Es gibt Einzel- und Zweiergräber am Boden und solche, die in die Seitenwände eingelassen sind, aber auch Familiengruften mit bis zu 30 Gräbern. Der 55 Meter hohe Schacht wird ebenfalls genutzt: Wie bei einem Bienenstock sollen auf voraussichtlich zehn Etagen ringsum die Aufzuganlagen 3000 Gräber entstehen.

In vier Jahren soll der unterirdische Friedhof komplett fertig sein. "Fünf Prozent des gesamten Berges haben wir dann ausgehöhlt", sagt Glazer während hinter ihm die Bauarbeiter mit ihren schweren Maschinen lärmen. "Und expandieren nach 2022 wäre kein Problem."

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