Kardinal-Predigt Meisner warnt vor "entarteter" Kultur

Heftige Kritik an Kölns Erzbischof: In einer Ansprache im Kölner Dom warnte Kardinal Meisner vor einer Entartung der Kultur – und bediente sich damit der Terminologie der Nationalsozialisten.

Köln - Bei der Einweihung des neuen Kunstmuseums Kolumba sagte Kardinal Joachim Meisner im Kölner Dom: "Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet."

Meisner bezeichnete Kolumba als einen "Sakralbau in den Dimensionen eines Museums". Der auf den Ruinen einer alten Pfarrkirche errichtete Bau sei "eine neue Möglichkeit, Menschen mit der Wirklichkeit Gottes in Berührung kommen zu lassen". Das neue Museum ist ab Samstag für die Öffentlichkeit zugänglich.

Der nordrhein-westfälische Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU) wies die Bewertung nicht-religiöser Kultur als "entartet" scharf zurück. "Dass Kardinal Meisner sich zu einem solchen Sprachgebrauch hinreißen lässt, ist erschreckend und zeigt, dass er keinerlei Zugang zu Kunst und Kultur hat", sagte der CDU- Politiker dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstagausgabe).

Meisner rechtfertigte die umstrittene Passage im Gespräch mit dem Kölner Domradio. Er habe "nur ganz schlicht sagen wollen, dass wenn man Kunst und Kultur auseinanderbringt, dann leidet beides Schaden". Grosse-Brockhoff hielt dem entgegen, das Wort "entartete Kunst" stehe für eines der schlimmsten Kapitel der deutschen Geschichte und einen katastrophalen Umgang mit Kunst und Kultur.

Die Nationalsozialsten hatten rund 16.000 moderne Kunstwerke beschlagnahmt und damit eine so bezeichnete "Säuberung" der deutschen Kunstsammlungen eingeleitet. Schon unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren ab 1933 Berufsverbote gegen moderne Künstler, Käufer moderner Kunst oder Hochschullehrer verhängt worden. In München hatte Hitlers Chef-Propagandist Joseph Goebbels eine Ausstellung "Entartete Kunst" initiiert. Sie zeigte 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen.

Bereits Meisners Äußerungen zum neuen, von Gerhard Richter entworfenen Fenster im Kölner Dom hätten "bewiesen, dass es wenig Sinn macht, mit ihm über Kunst zu diskutieren. Und das sage ich nicht nur als Kulturstaatssekretär, sondern auch als Katholik", sagte Grosse-Brockhoff. Kardinal Meisner hatte sich gegen das neue, vor knapp drei Wochen eingeweihte, abstrakte Glasfenster des Künstlers Gerhard Richter im Kölner Dom ausgesprochen.

Der frühere nordrhein-westfälische Kulturminister Michael Vesper äußerte sich in der Kölner Zeitung "Express" (Samstagausgabe) "erschrocken darüber, dass der Begriff 'entartet' noch verwendet" werde. "Ich dachte, dass das in Deutschland Geschichte sei", fügte er hinzu. Und ausgerechnet ein hoher katholischer Würdenträger greife das auf.

"Kunst ist frei, darf von niemandem vereinnahmt werden. Wer, wie Kardinal Meisner, bereit ist, Kunst, die nicht in die eigene
Denk-Schublade passt, auszusortieren, sie an den Pranger zu stellen, der schürt ein gefährliches Feuer", sagte Vesper, der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) ist.

Der Kölner Kulturausschuss-Vorsitzende Lothar Theodor Lemper
(CDU) sagte, der Begriff "entartet" sollte im heutigen Sprachgebrauch tabu sein. Zudem erwachse Kultur nicht nur aus Gottesverehrung. "Den Absolutismus, den Kardinal Meisner hier predigt, halte ich für falsch und unangebracht", sagte Lemper.

kai/asc/ddp/dpa

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