Nach Kritik von Missbrauchsopfern Kardinal Marx verzichtet auf Bundesverdienstkreuz

Kardinal Marx möchte kein Bundesverdienstkreuz mehr haben
Foto: Tobias Hase / dpaKardinal Reinhard Marx hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem Brief darum gebeten, ihn nicht wie geplant mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen. Das teilte die Diözese München mit. Demnach dankte Marx Steinmeier für die »hohe Ehre der Verleihung«, an der das Staatsoberhaupt »auch in Reaktion auf die öffentliche Kritik wertschätzend und wohlwollend« festgehalten habe.
»Meine große Bitte an Sie ist, die Auszeichnung nicht vorzunehmen«, heißt es demnach wörtlich in dem Schreiben an Steinmeier. »Ich bin überzeugt, dass das mit Rücksicht auf diejenigen, die offensichtlich an der Auszeichnung Anstoß nehmen, und insbesondere mit Rücksicht auf die Betroffenen, der richtige Schritt ist.« Kardinal Marx erklärte, er wolle damit auch negative Interpretationen verhindern im Blick auf andere Menschen, denen die Auszeichnung zuteil geworden sei.
Der Betroffenenbeirat im Erzbistum Köln hatte zuvor an den Bundespräsidenten appelliert , die Auszeichnung wegen des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche vorerst nicht vorzunehmen. Der Vorwurf der Vertuschung sei bei Marx »noch längst nicht ausgeräumt«, verschiedene Untersuchungen dazu seien noch nicht abgeschlossen, so der Beirat, der die Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester vertritt. Für Betroffene sei die Ehrung kaum zu ertragen.
Betroffenenbeirat fordert genaue Untersuchung
»Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Kardinal Marx darf nur erfolgen, wenn eindeutig nachgewiesen ist, dass er sich keiner Vertuschung schuldig gemacht und keine Aufklärung ver- oder behindert hat«, so Peter Bringmann-Henselder, Mitglied im Betroffenenbeirat.
Das Bundespräsidialamt hatte trotz der Kritik an der für Freitag geplanten Auszeichnung festgehalten und argumentiert, Marx habe sich in besonderer Weise für Gerechtigkeit und Solidarität eingesetzt. Marx schrieb zu den Vorwürfen des Betroffenenbeirats: »Die Kritik, die nun von Menschen geäußert wird, die von sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche betroffen sind, nehme ich sehr ernst, unabhängig von der Richtigkeit der einzelnen Aussagen in offenen Briefen und in der medialen Öffentlichkeit.«
Missbrauchskommission erhält Hunderte Anträge von Geschädigten
Derweil beschäftigt der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche eine unabhängige Kommission stärker als erwartet. Anfang des Jahres nahm die von den Bischöfen eingesetzte Kommission die Arbeit auf, um Entschädigungen für Missbrauchsopfer zu prüfen. Seitdem hat die Kommission einen regelrechten Ansturm erlebt. Seit Januar seien 909 Anträge auf Anerkennungsleistungen von Geschädigten eingegangen, teilte die Kommissionsvorsitzende Margarete Reske mit.
Entschieden werden konnten allerdings erst 67 Fälle – die Kommission habe sich wegen der vielen Anträge für eine Priorisierung der Bearbeitung entschieden, die sich vor allem am Alter der Antragssteller orientiere.
Von den Anträgen sind den Angaben zufolge 744 sogenannte Altanträge von Betroffenen, die bereits in der Vergangenheit Anerkennungsbeträge erhalten hatten – diese lagen allerdings meist niedriger als mittlerweile möglich. 165 Fälle seien Erstanträge. Die sieben ehrenamtlichen Fachleute der Kommission tagten bisher fünfmal. Statt wie vorgesehen mindestens vierteljährlich soll die Kommission wegen der hohen Antragszahlen weiter deutlich häufiger tagen.
Opferinitiative kritisierte das Verfahren
Erst im vergangenen November hatte die katholische Deutsche Bischofskonferenz die Kommission eingerichtet. Nachdem davor jedes Bistum Entschädigungen selbst geregelt hatte und dabei Missbrauchsopfer teils sehr unterschiedlich entschädigt worden waren, soll die Kommission nun für nachvollziehbare Entschädigungen sorgen. Die Kommission arbeitet unabhängig. Bei besonders schweren Fällen, in denen Zahlungen von mehr als 50.000 Euro im Raum stehen, muss vor einer Entschädigung aber Einvernehmen mit der Kirche erzielt werden.
Die Opferinitiative »Eckiger Tisch« hatte das Verfahren im vergangenen Jahr kritisiert. Für angemessen hielt die Opferinitiative Zahlungen in sechsstelliger Höhe, zumal viele Betroffene berufsunfähig seien. Noch kritischer als die Summen sah die Initiative die Verfahren, denen sich die Opfer unterziehen müssten, um das Geld zu erhalten. Hier sei eine »tiefe Retraumatisierung« in unprofessionellen Settings zu befürchten.