Katastrophe in Australien Chatten gegen das Flutchaos

Katastrophe in Australien: Chatten gegen das Flutchaos
Foto: DANIEL MUNOZ/ REUTERSHamburg - "Rindfleischhauptstadt" wird Rockhampton in Reiseführern genannt. Millionen Kühe weiden um den Küstenort im Nordwesten Australiens - die Stadt schmückt sich stolz mit Dutzenden überdimensionaler Tier-Attrappen. Touristen lieben die knallbunt bemalten Riesenrinder, jeder Durchreisende stoppt für ein schnelles Foto. Jetzt sind die hübsch bepflanzten Straßen von Rockhampton überflutet, verschluckt von einer graubraunen Wassermasse.
Die schlimmsten Überschwemmungen seit 50 Jahren haben die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten, Armeehubschrauber bringen Nahrungsmittel nach Rockhampton. Highways, Brücken und Bahngleise sind gesperrt. Eingeschlossen von den Wassermassen verbünden sich Tausende Bewohner von Rockhampton im Internet, vor allem über das soziale Netzwerk Facebook. Der weitläufige Kontinent gehört zu den wichtigsten Märkten des Netzwerks - nach Angaben des Unternehmens ist jeder zweite Australier bei Facebook registriert.
Die Gruppe "Rockhampton and Queensland Flooding 2010" hat bereits mehr als 5000 Mitglieder. Die Mittdreißigerin Madison Harrisson ist seit Beginn der Flutwarnungen nonstop online. Binnen Sekunden antwortet sie auf eine Nachricht - selbst wenn es in Australien zu diesem Zeitpunkt kurz nach Mitternacht ist.

Telefonieren ginge leider nicht, "die Leitungen sind tot", sagt Madison. Das Internet funktioniere noch, es scheint das wichtigste Kommunikationsmittel in der Krise zu sein. Über Webseiten des australischen Wetterdienstes und der Katastrophenwarnzentren halten sich die Menschen auf dem Laufenden - und geben ihre Informationen sofort in der Gruppe weiter.
Ihr Ehemann arbeite in einer Mine, rund 250 Kilometer weiter im Inland, schreibt Madison. Ungewöhnlich starke Regenfälle machten das Arbeiten im Untergrund unmöglich. "Er ist jetzt die fünfte Woche daheim". In ihren digitalen Fotoalben zeigt die Australierin stolz ihre Hochzeit in Weiß, ihre drei kleinen Kinder.
"Es donnert :("
Mit Naturkatastrophen ist Madison - wie die meisten Australier - vertraut. "Wir hatten eine Riesenflut 1991, sie war schlimm, aber diese hier übertrifft alles". Ihr Haus in der Nähe des Flughafens sei "geschützt bis zu einem Pegel von zehn Metern". Noch sei dieser Wasserstand nicht erreicht, doch Meteorologen sagen neue Regenfälle voraus. "Freunde von uns haben alles verloren", schreibt Madison weiter, "wurden aus ihren Häusern evakuiert". "Noch ist unser Haus trocken, aber unsere Stadt ist isoliert".
Um kurz vor drei Ortszeit lautet ihre Statusmeldung: "Mein Mann hat gerade die Polizei angerufen. In zwanzig Minuten machen sie auch die Straße vor unserer Haustür dicht. Wir sind jetzt komplett abgeschnitten. Gruselig."
Auch Carissa postet gegen drei Uhr nachts, Ortszeit: "Es donnert :( ". Neue Gewitter, neuer Regen. Der Administrator gibt die aktuellen Pegelstände durch. Die Facebook-Gruppe wird zum Massen-Liveticker, zum Minutenprotokoll der Flut.
Zwischendurch gibt's Banales - und australischen Krisenhumor:
Carissa: "Wann wird eigentlich die Weihnachtsdeko in der Gladstone Road abgehängt? Bringt das nicht Unglück, wenn man sie hängen lässt??"
Shaelene: "Vielleicht wird sie runtergespült - und nächstes Jahr kriegen wir endlich neue."
Jungpapa Jorell schlägt vor: "Ladies und Gentlemen, lasst uns eine Arche bauen. Aber nicht das Bier vergessen!!"
Sogar eine Checkliste für den Notfall wird mit Sarkasmus garniert: "Hilf bedürftigen Nachbarn", steht da, aber auch: "Vermeide es, auf die Flüsse zu schauen, guck lieber eine DVD". Australische Laid-back-Attitüde - sie ist selbst im Ausnahmezustand spürbar.
"Ich vermisse meine Liebste!"
Dabei geht es in Rockhampton alles andere als gemütlich zu. Die Kläranlagen quellen über, Abwässer vermischen sich mit den Fluten. "Der Gestank wird langsam unerträglich", schreibt eine Userin. Sherie, kecker Kurzhaarschnitt, sympathisches Lächeln, appelliert: "Wir müssen jetzt zusammenstehen, als Gemeinschaft funktionieren."
Bernadette bangt in der Gruppe: "Verdammt, wenn die Pegel jetzt schon bei 9,1 Metern sind, wie hoch soll das Wasser noch steigen?" Peter hat ganz andere Sorgen: "Ich bin eingeschlossen im Haus eines Kumpels. Grrrr, ich vermisse meine Liebste!!"
Binnen weniger Stunden werden in der Facebook-Gruppe Hunderte Notizen, Statusmeldungen und Fotos veröffentlicht. Am späten Montagabend Ortszeit gibt es Verwirrung über eine angekündigte Lieferung von Lebensmitteln: Wie sollen Trucks die Stadt erreichen? Es entbrennt eine Debatte in der Kommentarschlange. Lastwagen mit Lebensmitteln seien von der Nachbarstadt Mackay aus auf dem Weg, schreibt Anthony. Diskutiert werden verschiedenen Möglichkeiten der Versorgung - Flugzeug, Helikopter, Boote. Endlich schreibt Carissa: "Die ersten Lebensmittel sind schon längst angekommen". Jemand klickt den "like"-Knopf.
Viele User warnen vor riskanten Manövern. "Bleibt wo ihr seid, das Wasser steigt irre schnell", schreibt Sandy. Doch auch wirre Gerüchte machen die Runde, etwa von zwei in den Fluten ertrunkenen Kindern. Offizielle Bestätigungen dafür gibt es nirgends. Nutzerin Tara schreibt: "Das Wasser hat gerade unseren Vorgarten erreicht. Ich habe Angst". Hilfe wird angeboten - Geldspenden, Möbel, Babysachen, Kleidung.
Die Gruppenmitglieder posten, teilen und diskutieren im Minutentakt, unermüdlich werden neue Kommentare und Fotos online gestellt. Jemand hat Schwarz-Weiß-Bilder von Fluten vergangener Jahrzehnte eingescannt, andere teilen Fotos von Spielplätzen, Brückenpfeilern, Hangars, komplett oder teilweise verschlungen von den Wassermassen. Man sieht Fluthelfer im Wassertaxi, in roten Warnwesten. Und ein buntes Plastikrind am Ortseingang von Rockhampton - bis zum Bauch im Hochwasser.
Meteorologen zufolge soll der Wasserpegel bis Mittwoch weiter steigen.