Homosexualität Diesen Text wollte die katholische Kirche nicht veröffentlichen

Liebe zweier Frauen: Ist Homosexualität unbiblisch?
Foto: Yoan Valat/ picture alliance / dpaDie deutschen Bischöfe waren im Herbst 2012 sehr stolz auf ihren Relaunch. Die Webseite "katholisch.de" sollte "neue User" ansprechen, "modernere Milieus" und "jüngere Zielgruppen". Sogar Katholiken, die sich von der Kirche entfernt hatten. Das Design mit schicken Bildern, einer ausgefeilten Typografie und ruhigen Farben entwickelte sogar eine renommierte Werbeagentur, die Hamburger Jung von Matt.
Es hieß, wenn Menschen neuen Kommunikationswegen folgten, könne die Kirche nicht abseits stehen. Der Anspruch des Katholischen Medienhauses in Bonn: führende Marke der deutschen katholischen Kirche im Internet zu werden. Mehr Transparenz, mehr Diskussion. Medienbischof Gebhard Fürst sagte, man wolle "ein Zeichen setzen hin zu einer Kirche, die auf die Menschen zugeht".
Nun setzt die Geschichte eines bestellten und dann nicht veröffentlichten Textes ganz andere Zeichen. Sie lässt erahnen, wie tief die Angst der katholischen Kirche vor offener und ehrlicher Diskussion ist.
Vor gut drei Wochen suchte "katholisch.de" nach einem deutschsprachigen Experten, der das Thema Homosexualität wissenschaftlich und untendenziös aufgegriffen hat. Man fand den Religionspädagogen Stefan Scholz, der darüber unter anderem einen Fachbeitrag publiziert hatte.

Religionspädagoge Stefan Scholz: "Schade eigentlich"
Foto: Stefan ScholzScholz ist wissenschaftlicher Dozent an der Universität in Erlangen, wurde im Fach Neues Testament promoviert und im Fach Religionspädagogik habilitiert. Der Wissenschaftler arbeitet als ökumenisch engagierter evangelischer Pfarrer im Nürnberger Schuldienst. Er wurde von den katholischen Journalisten gefragt, ob er Lust hätte auf einen Gastbeitrag über die Deutung der theologischen Aussagen in der Bibel zu Homosexualität. Scholz sagte zu, einen allgemeinverständlichen Beitrag fertigzustellen und schickte ihn am 5. Mai in die Redaktion.
Zwei Wochen lang hörte er nichts, dann schrieb man ihm, es gebe gerade so viel Wirbel um das Thema Anerkennung der Homo-Ehe, so dass "katholisch.de" in den kommenden Wochen erst einmal gar nichts mehr aus eigenem Antrieb zum Thema Homosexualität veröffentlichen könne. Man habe ja noch die Forderung des Zentralkomitees der Katholiken zu verkraften, der katholische Laienverband wolle neuerdings die Segnung homosexueller Lebenspartnerschaften. Sein Beitrag müsse daher leider erst mal auf Eis gelegt werden.
So etwas ist dem renommierten Religionspädagogen noch nicht passiert. Er wollte Genaueres über die Gründe wissen. Scholz schrieb der Redaktion, er hoffe nicht, dass man auf "katholisch.de" eine "offene Diskussion nur scheinbar führe, tatsächlich aber im modernen Gewand autoritäre Kommunikationsmuster weiterhin bediene".
Die unerwünschte Debatte
Er bekam zur Antwort, es gebe ja in der Kirche traditionell ohnehin schon eine delikate Diskussion über den Umgang mit Homosexuellen. Durch die anstehende Bischofssynode in Rom aber verschärfe sich der Ton zunehmend. "katholisch.de" habe sich ja bereits an der laufenden Debatte beteiligt . Dies sei auch von ihrem Auftraggeber, der Deutschen Bischofskonferenz, mitgetragen worden.
Allerdings habe man Hinweise erhalten, die Debatte nicht in eine bestimmte Richtung zu lenken. Sein Beitrag würde aber die Diskussion nur unnötig weiter anheizen. Scholz antwortete, er sei darüber erschrocken, wie sehr gelenkt offensichtlich auf "katholisch.de" Beiträge erscheinen. Angreifbar mache sich die Kirche nicht durch seinen Beitrag, "sondern durch Ihre inhaltliche Zensur". Die Bischofskonferenz sei offensichtlich immer noch nicht an einer offenen und ehrlichen Diskussionskultur interessiert. "Schade eigentlich!"
Das angebotene Ausfallhonorar lehnte Scholz ab.
Was ist das für ein Text, den moderne katholische User angeblich nicht verkraften können? Lesen Sie selbst:
Ist Homosexualität unbiblisch? - Der Text von Stefan Scholz
Ist Homosexualität unbiblisch?
Überlegungen im Vorfeld der Familiensynode in Rom
Von Stefan Scholz
Männer lieben Frauen und Frauen lieben Männer und die Ehe ist hierzu die rechte Gestalt. Ganz so einfach waren menschliche Partnerschaften freilich noch nie gestrickt, aber seitdem Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender et cetera die Palette an Lebensformen auch in der öffentlichen Wahrnehmung erweitert haben, lässt sich der Bruch zwischen klassisch-christlicher Sexualmoral und gelebter gesellschaftlicher Vielfalt immer schwerer überbrücken.
Ich beschränke mich hier auf den Konflikt zwischen biblischen Aussagen zur Homosexualität und heutigen gleichgeschlechtlichen Beziehungen, die es selbstredend nicht nur außerhalb von Kirche gibt. Im Vergleich zu recht intensiv geführten Debatten in Kirche und Theologie ist Homosexualität in der Bibel jedoch ein klares Randthema mit weniger denn zehn einschlägigen Stellen. Im Grunde ist die Lage klar. Gleichgeschlechtlicher Sexualverkehr ist Sache der Heiden und gilt als unvereinbar mit dem Jahwe-Glauben beziehungsweise dem Leben in Christus und wird daher strikt abgelehnt. Doch wie dies genau zu verstehen und einzuordnen ist, das ist weit weniger eindeutig.
Im Alten Testament werden vor allem folgende drei Stellen herangezogen: Erstens das Heiligkeitsgesetz, welches detailliert Formen erlaubter und verbotener körperlicher Begegnung zu regeln trachtet.
Gleich an zwei Stellen fordert es uneingeschränkt und unmissverständlich für mann-männlichen Geschlechtsverkehr die Todesstrafe, 3Mose 18,22 und 20,13. Umstrittener ist zweitens die Erzählung von der Vernichtung Sodoms und Gomorrhas in 1Mose 19. Ob die Boshaftigkeit der Männer dieser Städte tatsächlich durch gleichgeschlechtliche Gewalt ausgewiesen werden kann und die Orte deswegen untergehen, wird heute so nicht mehr als Mehrheitsmeinung in den Bibelwissenschaften gesehen. Vielmehr dürfte es um die Verletzung des Gastrechts und um andere Formen sexueller Übergriffigkeit gehen. Eventuell nur liegen drittens erotische Anspielungen in der Schilderung der Freundschaft von David und Jonathan in 1Sam 18,1-4 vor.
Im Neuen Testament sind es ebenfalls drei hauptsächliche Stellen, die in diesem Zusammenhang genannt werden: Miteinander verwandt sind zunächst zwei Lasterkataloge, 1Kor 6,9 und 1Tim 1,10. Hier werden verschiedenste Übel und Gräuel aufgezählt. Wer so tut, dem bleibt der Himmel verschlossen. Beides Mal mit dabei sind neben Lügnern, Mördern und Unfrommen eben auch Menschen, die mann-männlichen Geschlechtsverkehr treiben.
Besonders aufschlussreich ist schließlich Röm 1,26+27. Dies ist die einzige Stelle, die auch frau-frauliche Sexualität mitbedenkt. Hier wird gleichgeschlechtliches Begehren nicht als etwas angesehen, das eine bestimmte Sanktion nach sich zieht wie die Todesstrafe oder den Ausschluss vom Heil. Vielmehr wird hier das Verlangen nach dem gleichen Geschlecht selbst schon als quälende Peinigung für eine Verirrung und den falschen Glauben verstanden.
Soweit der ebenso schmale wie klare biblische Befund, dem eine Reihe von schwierigen Anschlussfragen gegenüberstehen. Ich konzentriere mich auf die zwei m.E. zentralen Punkte:
Lässt sich das, was hier ganz selbstverständlich verurteilt wird, mit heutigen homosexuellen Beziehungen vergleichen?
Die Sichtweise und das Verständnis von Homosexualität haben sich in der Vergangenheit mehrfach geändert. Galt sie bis in die Neuzeit hinein als schwere Sünde und Lästerung des Schöpferwillens, derer man sich nur mit dem rechten Glauben und notfalls auch durch das Feuer wehren konnte, so wurde sie mittels des Siegeszugs der Medizin im 19. Jahrhundert dann vornehmlich als Krankheit, Perversion und psychische Störung aufgefasst.
Heilung hieß nun die Strategie, um den Befallenen zu helfen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO strich erst 1992 Homosexualität von ihrer Liste geführter Krankheiten. Heute betrachten die meisten Forscher und Forscherinnen Homosexualität als Variante in der Evolution. Es gibt sie bei Tieren ebenso wie bei uns Menschen, die Ursachen bleiben unklar, weder konnte ein Schwulen-Gen ausgemacht werden noch gibt es einen gesicherten Zusammenhang zwischen Erziehung und Homosexualität.
Völlig absurd aus heutiger aufgeklärter Sicht ist die Verbindung von Homosexualität und moralischem Fehlverhalten. Springen wir von hier nun in biblische Zeiten, die keineswegs als geschlossene Einheit zu sehen sind, dann zeigen sich weitere Verschiebungen im Verständnis von Sexualität und Homosexualität.
Volles Menschsein war gemäß der Gottebenbildlichkeit nach 1Mose 1,27 nur in der Einheit von Mann und Frau vorstellbar. Der Zielpunkt der Sexualität wurde klar in der Fortpflanzung gesehen, sodass ein Mann auch mehrere Frauen haben konnte, vgl. 1Mose 16. Paulus beschrieb die Ehe zwischen Mann und Frau in 1Kor 7 als reines Zugeständnis an den Trieb, besser jedoch sei ein enthaltsames Leben.
Gleichgeschlechtliches Verhalten galt pauschal als unjüdisch und später auch als unchristlich (s.o.). Biblische Schriftsteller, zumal in neutestamentlicher Zeit konnten hierzu Folgendes vor Augen gehabt haben: Im antiken Griechenland und Rom war gleichgeschlechtliches Verhalten vor allem Sexualverkehr eines erwachsenen Mannes mit einem Jungen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren, in Ausnahmefällen vielleicht auch bis 28 Jahren. Der Ältere musste aktiv, der Jüngere passiv sein - alles andere galt als entehrend und bot schnell Stoff für Gespött, Intrigen und Erpressungen.
Der prominenteste Regelverstoß sicherlich wurde Julius Cäsar zur Last gelegt, da er dem unterworfenen König der Bythinier als passiver Geschlechtspartner gedient haben soll. Das asymmetrische Verhältnis zeigte sich nicht nur im Altersunterschied: In Griechenland waren es häufig Lehrer-Schüler-Beziehungen, in Rom dagegen hatten oft Sklaven den unterlegenen Part zu übernehmen.
Daneben gab es auch berufsmäßige männliche Prostitution. Weibliche Homosexualität gab es in der Antike ebenfalls, sie ist allerdings weit weniger dokumentiert und galt allgemein als ausgesprochen verdächtig. Denn Frauen konnten eigentlich nur eine einzige erlaubte Art sexuellen Verhaltens haben: Sie mussten im Dienst des Mannes stehen und passiv sein.
Von diesen knappen Skizzierungen aus können wir eine Ahnung davon erhalten, was im kulturellen Umfeld der Bibel mit Homosexualität verbunden war und wovon sich die Texte des Alten und Neuen Testaments unmissverständlich abgrenzten. Die Andersartigkeit dessen, was hier unter gleichgeschlechtlichem Verhalten, aber auch Sexualität insgesamt verstanden wird, führt zu einem ganz grundsätzlichen Nachdenken hinsichtlich der Bedeutung biblischer Aussagen in diesem Zusammenhang.
Welchen Stellenwert hat die Bibel für heutige sexualethische Fragestellungen?
Eine Verurteilung gleichgeschlechtlicher Praktiken als einfache Anwendung einschlägiger biblischer Aussagen ignoriert sowohl aktuelle humanwissenschaftliche Erkenntnisse zu sexuellen Identitäten als auch historisch-kritische Forschungen zu antiken Sexualkonzepten. Ist Homosexualität nun unbiblisch?
Bezogen auf das, was damals vorstellbar war und praktiziert wurde: gewiss. Heutige homosexuelle Partnerschaften, die Verantwortung füreinander übernehmen, mit und ohne Kinder, sind aber etwas völlig anderes. Es wäre daher gerade verantwortungslos und ehrabschneidend, ihnen die christliche Legitimation ihres Lebenskonzeptes zu bestreiten.
Die evangelische Kirche hat hier bereits einen anderen Weg vorgeschlagen, wenngleich von heftigen Kontroversen begleitet, was bei diesem Thema nicht sonderlich überraschend ist. In ihrer Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit" von 2013 verzichtet sie bewusst auf eine wortwörtliche Übernahme biblischer Regeln und Verbote. Stattdessen leitet sie vom Liebesgebot Jesu das Kriterium der Beziehungsgerechtigkeit ab, welches ausloten soll, ob eine zwischenmenschliche Verbindung gottgefällig ist oder nicht.
An diesem Kriterium lassen sich gleichgeschlechtliche Partnerschaften ebenso messen wie eine Ehe zwischen Mann und Frau, die ja keineswegs von sich aus schon eine erfüllte Form des Zusammenlebens ist. Die Bibel behält damit ihre orientierende Kraft, sie wird als Lernbuch verstanden, die das eigene kritische Nachdenken aber nicht ersetzt, sondern bereichert.
Der katholischen Kirche sind hier größere Hürden gesetzt. Das klassische Verständnis der Ehe als Sakrament bietet weniger Spielraum für eine wirkliche (!) Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensformen und weiterer Familienverbünde jenseits von Ehegemeinschaften. Der hohe Stellenwert der Tradition verhindert einen offenen Dialog mit veränderlichen Lebenswelten. Freiheit scheint hier stärker gebunden zu sein. Man sollte daher von der Familiensynode im Herbst nicht zu viel erwarten. Zu wünschen wäre es freilich sehr.
(Lesen Sie hier mehr zum Thema im neuen SPIEGEL.)