Kirchenmusik in der Coronakrise »Drei Meter Abstand in Blasrichtung«

Möglichst wenige Bläser: Nicht alle Gläubigen finden Kirchenmusik in der Coronakrise angebracht
Foto: miguelangelortega / Getty ImagesDrei Kantaten von Johann Sebastian Bach, live vorgetragen – das wäre wohl für so manchen Kulturausgehungerten im zweiten Shutdown ein kleines Fest.
In der Nicolaikirche im niedersächsischen Herzberg wurde am Sonntag auf eben diese Weise gefeiert: Auf der Empore hatten sich Mitglieder des Barockorchesters Camerata Allegra und des örtlichen Kammerchors versammelt, um den Gottesdienst mit Musik zu begleiten.
Fünf Sänger, fünf Streicher, ein Organist und drei Bläser traten auf – die Gesangstexte schienen wie gemacht für die Coronakrise.
Doch nicht jedem gefiel das aerosolreiche Musizieren in Zeiten hoher Infektionsraten und mutierter Coronaviren. »Ich habe keine Ahnung, wie man so etwas genehmigen kann«, schrieb ein besorgter SPIEGEL-Leser, der selbst Kirchenmitglied ist. Das Verhalten der evangelischen Kirche habe sehr wenig mit den derzeitigen gesellschaftlichen Erfordernissen zu tun, auch nicht »mit den ständigen Moralvorgaben an die Bürger*innen von der Kanzel herab«.
Die Vorsitzende des Kirchenvorstands, Elke Peters, reagiert erstaunt auf die Kritik. »Wir halten uns strikt an die Vorgaben der Landeskirche Hannovers«, sagt sie. Man gebe ja keine Konzerte, es handele sich um einen Gottesdienst mit musikalischer Begleitung.
In ihren Handlungsempfehlungen vom 22. Januar 2021 untersagt die Landeskirche Hannovers den Gemeindegesang. Allerdings dürften maximal acht Bläser und Sänger Musik machen, wenn sie drei Meter Abstand zueinander und mindestens sechs Meter zur Gemeinde einhalten. Nehmen mehr als zehn Menschen an einem Gottesdienst teil, ist das örtliche Ordnungsamt zu informieren.

Herzberg am Harz: Ein kleines Fest für Kulturausgehungerte
Foto: Swen Pförtner / picture alliance/dpa»Genau so haben wir es auch gehandhabt«, sagt der Kreiskantor Jörg Ehrenfeuchter. Zwischen 55 und 60 Gläubige hätten den sonntäglichen Gottesdienst mit Musik besucht. »Die Nicolaikirche ist groß, die Abstände ebenfalls, die Aerosole verteilen sich.« Das Gotteshaus biete im Normalfall Platz für 900 Menschen, in der Coronakrise habe man die maximale Besucherzahl auf 74 reduziert.
Schon in der Debatte über Weihnachtsgottesdienste hatten Vertreter der evangelischen Landeskirchen betont, dank ausgeklügelte Hygienekonzepte seien Gottesdienste nicht zu Massen-Spreading-Events geworden.
Tatsächlich ist es Gläubigen weiterhin untersagt zu singen, es gelten strikte Abstandsregeln, vielerorts muss man sich für jeden Gottesdienst vorher anmelden. Seit dem 19. Januar sind auch in den Kirchen medizinische Mund-Nasen-Bedeckungen für Erwachsene Pflicht.
Doch genauso, wie es Unterschiede bei der Corona-Bekämpfung zwischen den Bundesländern gibt, wählen die Landeskirchen oft leicht abweichende Ansätze, auch wenn sie sich grundsätzlich eng mit den Krisenstäben und den Gesundheitsämtern absprechen.
Schleswig-Holstein lässt nur Profis musizieren
In der evangelischen Nordkirche zum Beispiel darf Kirchenmusik nur im Einvernehmen mit dem Kirchengemeinderat praktiziert werden. Soloinstrumente, auch Blasinstrumente, sind hier wie in Niedersachsen erlaubt – allerdings reichen drei Meter Abstand zur Gemeinde und zweieinhalb Meter Abstand zueinander. »Die Zahl der Musiker*innen sollte im Sinne der Kontaktbeschränkungen bewusst klein gehalten werden«, heißt es in den Handlungsempfehlungen .
Hamburg empfiehlt, die Zahl der Musizierenden auf acht zu beschränken; generell werde die Ensemblegröße über die Abstandsregeln definiert, abhängig von der Größe der Kirche. In Mecklenburg-Vorpommern dürfen keine Chöre auftreten, das Singen in geschlossenen Kirchenräumen ist nur einer Person gestattet. In Schleswig-Holstein ist »solistisches oder berufsmäßiges« Musizieren in den Kirchen erlaubt.
Musik verstummt rund um Berlin
Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) verbietet Gemeinde- und Chorgesang in Innenräumen – eigentlich. Wenn allerdings liturgischer Gesang vorgesehen sei, »um den Gemeindegesang zu unterstützen oder zu ersetzen, dann sollte keinesfalls eine Obergrenze von fünf bis sechs Beteiligten überschritten werden«, heißt es in den aktuellen Handlungsempfehlungen .
Instrumentalisten sollen demnach einen Abstand von mindestens zwei Metern zur nächsten Person einhalten – »bei Bläserinnen und Bläsern beträgt der Abstand in Blasrichtung drei Meter zur nächsten Person«.
»Diese Regelungen werden so gut wie gar nicht in Anspruch genommen«, sagt EKBO-Sprecherin Ulrike Mattern. »Musikalisch läuft derzeit in den Gemeinden nicht viel – man will das Ansteckungsrisiko so gering wie möglich halten.«
Bayern setzt auf weniger Bläser
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern erlaubt einem Liturgen oder einer Liturgin oder einem kleinen Ensemble das Singen. Maximal zehn Musizierende dürfen zusammenkommen, darunter möglichst nur ein Bläser. »Das gilt auch für sehr große Kirchen«, sagt ein Sprecher. Chöre dürften nicht auftreten. Ein Abstand von zwei Metern in alle Richtungen müsse eingehalten werden.
»Letztlich hängt die Größe der Ensembles von den örtlichen Gegebenheiten in den Gemeinden ab«, sagt EKD-Sprecher Carsten Splitt. »Wir sind froh, dass wir einigen Musikern die Möglichkeit geben können, in dieser beschäftigungsarmen Zeit überhaupt auftreten und ein wenig Geld verdienen zu können. Dort, wo es möglich ist.«