Großscheich und de Maizière im Dialog "Terror ist des Teufels"

Auf dem Kirchentag sprachen Innenminister de Maizière und der ägyptische Großscheich Ahmed el-Tayeb über Toleranz. Aber ist der islamische Gelehrte ein geeigneter Dialogpartner? Er soll Selbstmordattentate verteidigt haben.
Ahmed el-Tayeb und Thomas de Maizière

Ahmed el-Tayeb und Thomas de Maizière

Foto: Steffi Loos/ Getty Images

Am Anfang war viel Dank. Fast überschwänglich lobten Veranstalter und Gäste der Podiumsdiskussion zu Religion und Toleranz die Tatsache, dass der ägyptische Imam und Großscheich Ahmed el-Tayeb sich auf dem Kirchentag "der Auseinandersetzung" stellen wolle. Genau die fand dann allerdings gar nicht statt.

Der Saal im Messezentrum Berlin war voll, als Innenminister Thomas de Maizière seinen Gast aus Kairo empfing. Wie funktioniert interreligiöser Dialog, wie können Christen und Muslime sich annähern, wie können sie Terror und Islamismus gemeinsam bekämpfen? Das waren die Fragen, die das Publikum beschäftigten.

Doch zunächst wurden Nettigkeiten zum Dialog von Orient und Okzident ausgetauscht. Der Wert von Religion und Moral wurde hervorgehoben, der Islamismus einhellig verurteilt. "Verabscheuungswürdig" seien diese Verbrechen, erklärte der einflussreiche sunnitische Geistliche Tayeb, der Anhänger des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi ist und den Rang eines Ministerpräsidenten besitzt.

"Terror ist des Teufels und kann kein Werk von Gottesgläubigen sein", sagte der Großscheich. Der Islam und die Muslime trügen keine Schuld am Terror, vielmehr sei die Mehrzahl der Opfer von Attentaten selbst muslimisch.

In Ägypten kommt es immer wieder zu Anschlägen, oft sind koptische Christen unter den Opfern, wie Anfang April, als am Palmsonntag bei einem Doppelanschlag auf Kirchen in Alexandria und Tanta mehr als 45 Menschen starben. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" bekannte sich zu den Taten.

Traurige Koinzidenz: Mitten in der Veranstaltung erreichte die Podiumsteilnehmer die Nachricht, dass es nahe Kairo erneut einen Anschlag auf Christen mit mindestens 28 Toten gegeben hat. Die Menschen erhoben sich von ihren Sitzen, hielten eine Schweigeminute ab wie kurz zuvor für die Flüchtlinge, die im Mittelmeer umgekommen sind.

"Die Täter sind keine Ägypter", erklärte Tayeb unumwunden. Vielmehr handele es sich um Menschen, die sein Land destabilisieren und ins Chaos stürzen, Christen und Sunniten entzweien wollten. "In Ägypten werden keine Terroristen herangezogen." Wen er denn dann im Verdacht habe, sagte er nicht.

Großscheich Ahmed el-Tayeb

Großscheich Ahmed el-Tayeb

Foto: KOALL/EPA/REX/Shutterstock

Der Großscheich leitet die 1060 Jahre alte Traditionsuniversität al-Azhar und gilt als eine der höchsten Autoritäten des sunnitischen Islam. Es ist allerdings kein Geheimnis, dass unter den Gelehrten der Azhar, "der Leuchtenden", auch islamische Extremisten sind, denen vermutlich nichts fernerliegen dürfte als der interreligiöse Dialog. Auch das Lehrmaterial soll keineswegs durchgehend geprägt sein von Friedensappellen und dem ideologischen Kampf gegen Islamismus.

Tayeb soll 2002 Selbstmordattentate gegen Israel verteidigt haben. "Der Islam gestattet Waffen nur zur Selbstverteidigung", sagte der Geistliche nun in Berlin.

Solche Statements kann der ägyptische Islamkritiker Hamad Abdel-Samad nicht mehr hören. "Tayeb hat immer zwei Sorten von Islam im Gepäck: einen für den Export und einen für den Import." Der sunnitische Geistliche äußere sich im Ausland eher positiv zu Themen wie Frauenrechten und interreligiöser Toleranz, während er bei sich zu Hause einen rückwärtsgewandten Islam praktiziere und sich Andersgläubigen gegenüber sehr negativ verhalte. Der Kirchentag sei manchmal Forum für diese Art der "Dialogindustrie", sagt Abdel-Samad, der heute selbst in Berlin auf dem Kirchentag auftritt.

Als Präsident Sisi von der Universität al-Azhar eine Reform des religiösen Diskurses eingefordert habe, so Abdel-Samad, habe die Lehranstalt zwei Kommissionen eingerichtet: eine zur Bekämpfung des Atheismus in Ägypten und eine zur Verbesserung des Rufs des Islam im Westen. Ein Professor der Universität soll zudem vor vier Jahren zum Mord an ihm, Abdel-Samad, aufgerufen haben, berichtet der Islamkritiker.

Ein Projekt hob Tayeb auf dem Kirchentag hervor: Man habe einen zweimonatigen Intensivkurs für muslimische Geistliche aus dem Ausland an der Universität al-Azhar eingerichtet. Die Gelehrten könnten sich mit der Theologie seiner Lehranstalt vertraut machen und lernen, wie man extremistischem Gedankengut vorbeuge.

Thomas de Maizière

Thomas de Maizière

Foto: Maurizio Gambarini/ dpa

Das Publikum horchte auf: Deutschland hat seit geraumer Zeit ein Problem mit überwiegend im Ausland ausgebildeten Imamen, die fast ausschließlich in ihrer Muttersprache und nicht auf Deutsch predigen, was eine Überprüfung der verbreiteten Inhalte für die Sicherheitsbehörden schwierig macht. Innenminister de Maizière betonte denn auch schnell, dass eine solche Fortbildung "bitte auch in Deutschland" stattfinden möge, "damit die Verankerung in der Gesellschaft" noch besser sei.

De Maizière empfing seinen Gast wohlwollend und mit warmen Worten, stellte aber auch klar, dass zwischen dem Wunsch nach Frieden und der Wirklichkeit derzeit noch eine große Kluft herrsche. Der Minister konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Definition von Toleranz, die nicht Beliebigkeit bedeute, "Friede, Freude, Eierkuchen", sondern viel mit "Erdulden" zu tun habe: "Sie ist ein verdammt mühsames Geschäft", so de Maizière. Die deutsche Erfahrung mit der Weimarer Republik habe gezeigt, dass ein demokratischer Staat wehrhaft sein müsse, "intolerant gegen die Intoleranten", sozusagen.

Toleranz sei vonnöten, weil mit der Globalisierung die Zeit der großen Entfernungen vorbei sei. "Die Religionen der Welt können sich nicht mehr aus dem Weg gehen." Es brauche mehr interkulturelle Kompetenz, denn: "Unwissenheit ist der erste Schritt zur Intoleranz."

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