Zu wenige Stimmen Klima-Volksentscheid in Berlin ist gescheitert

Der Berliner Volksentscheid für eine klimaneutrale Stadt ab 2030 ist gescheitert. Zwar gab es eine knappe Mehrheit der Stimmen für das Vorhaben, aber das Quorum von 25 Prozent aller Wahlberechtigten wurde nicht erreicht.
Plakat zum Volksentscheid in Berlin

Plakat zum Volksentscheid in Berlin

Foto: Christophe Gateau / dpa

Der Volksentscheid für ehrgeizigere Klimaziele in Berlin ist gescheitert. Die nötige Mindestzahl von Ja-Stimmen wurde nicht erreicht, teilte die Landeswahlleitung am Sonntagabend mit.

Ein Bündnis »Klimaneustart« wollte mit der Abstimmung eine Änderung des Landes-Energiewendegesetzes erreichen. Konkret sollte sich Berlin verpflichten, bis 2030 und nicht, wie bislang vorgesehen, bis 2045 klimaneutral zu werden. Im Falle eines Erfolgs wäre das geänderte Gesetz beschlossen gewesen und in Kraft getreten.

Laut Wahlleitung stimmte mit rund 442.000 Wählern eine knappe Mehrheit dafür (50,9 Prozent). Etwa 423.000 Wähler votierten dagegen (48,7 Prozent). Das Quorum für einen erfolgreichen Volksentscheid lag indes bei etwa 608.000 Ja-Stimmen (25 Prozent aller Wahlberechtigten) und wurde somit verfehlt.

Gespaltene Stadt

Beim Berliner Klima-Volksentscheid zeigte sich die Stadt ähnlich gespalten wie bei der Wiederholungswahl vor sechs Wochen: Die Wählerinnen und Wähler in den Innenstadtbezirken stimmten am Sonntag mehrheitlich für strengere Klimaziele, die Menschen in den äußeren Bezirken eher dagegen.

  • Laut Wahlleitung fand das Anliegen der Initiative »Klimaneustart« in den sechs Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Pankow, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln eine Mehrheit.

  • Ohne Mehrheit blieb es hingegen in den sechs Bezirken Spandau, Steglitz-Zehlendorf, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick, Lichtenberg und Reinickendorf.

  • Die höchste Zustimmungsquote verzeichnete demnach Friedrichshain-Kreuzberg mit 76,7 Prozent.

  • Den größten Anteil an Nein-Stimmen gab es in Marzahn-Hellersdorf mit 71,4 Prozent.

Erzwungen hatte das Bündnis »Klimaneustart« die Abstimmung mit einer viermonatigen Unterschriftensammlung im Vorjahr.

Klimaneutralität bedeutet, dass keine Treibhausgase emittiert werden, die über jene hinausgehen, die durch die Natur oder sonstige Senken aufgenommen werden. Dafür müssten die klimaschädlichen Emissionen etwa von Verbrennerautos, Flugzeugen, Heizungen, Kraftwerken oder Industriebetrieben um etwa 95 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Die EU will bis 2050 soweit sein.

Umstritten war vor der Abstimmung, ob Berlin dieses Ziel überhaupt bereits 2030 hätte schaffen können. Die Initiatoren des Volksentscheids und ihre Unterstützer etwa bei Umweltorganisationen, Mieterverein, in der Kulturszene oder auch bei Grünen und Linken bejahten das. Der nach der Wiederholungswahl im Februar noch amtierende rot-grün-rote Berliner Senat, der demnächst voraussichtlich von einer schwarz-roten Regierung abgelöst wird, stufte das Zieljahr 2030 in einer Stellungnahme hingegen als unrealistisch ein.

Gleichwohl hätte Berlin mit einem strengeren Klimaziel nicht allein dagestanden. Nach Angaben des Vereins German Zero visieren in Deutschland etwa 70 Städte das Ziel an, bis spätestens 2035 klimaneutral zu werden. Auf europäischer Ebene unterstützt die EU-Kommission 100 Kommunen, die bis 2030 an der »EU-Mission für klimaneutrale und intelligente Städte« teilnehmen.

Die Initiatoren des Bündnisses »Klimaneustart« zeigten sich nach dem gescheiterten Volksentscheid für ehrgeizigere Klimaziele in Berlin kämpferisch. »Es ist nicht nur ein Projekt von einer Initiative gescheitert, sondern das betrifft alle Menschen in Berlin. Es ist schade für alle Menschen in Berlin. Wir machen natürlich weiter, wir kämpfen weiter«, sagte Jessamine Davis vom Bündnis »Klimaneustart«.

Das Ergebnis zeigt aus Sicht der Initiatoren, dass viele Menschen in Berlin finden, dass die Politik nicht schnell genug handelt. »Wir haben eine Mehrheit, das ist immerhin richtig cool«, sagte Davis. Die zahlreichen Nein-Stimmen seien ein Ergebnis aus negativer Berichterstattung sowie negativer Stimmen seitens der Unternehmen. »Ich erkläre mir die Gegenstimmen durch die Gegenkampagnen und dadurch, dass Krisen gegeneinander ausgespielt werden.«

Die Berliner Grünen gratulierten den Organisatoren des Klima-Volksentscheids zu »einer großartigen Kampagne«. »Der Volksentscheid hatte erschwerte Bedingungen, da die Innenverwaltung den Weg versperrte, ihn mit der Wiederholungswahl anzuberaumen«, erklärten die Landesvorsitzenden Susanne Mertens und Philmon Ghirmai am Sonntagabend. »Die Mehrheit hat sich für mehr Klimaschutz ausgesprochen, aber das Ergebnis zeigt auch, dass die nötige Veränderung polarisiert und Ängste auslöst.«

Das ändere aber nichts an der Dringlichkeit des Anliegens. »Es ist klar, dass wir beim Klimaschutz schneller werden und in den kommenden Jahren deutlich mehr Treibhausgas-Emissionen im Verkehr, im Gebäudesektor und bei der Energieversorgung einsparen müssen. Allein das wolkige Versprechen, ein Sondervermögen für den Klimaschutz einzurichten, überzeugt nicht.«

CDU und SPD hatten im Rahmen der Koalitionsverhandlungen bekannt gegeben, »mindestens« fünf Milliarden Euro in die Hand nehmen zu wollen, um den Klimaschutz in der Stadt voranzutreiben.

Giffey bekennt sich zum Ziel 2045

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey betonte nach dem Scheitern des Klima-Volksentscheids die Wichtigkeit des Kampfes gegen den Klimawandel. Er sei eine »unserer zentralen politischen Aufgaben«, teilte Giffey am Sonntagabend mit. »Wir wissen um die Dringlichkeit, auch wenn der Volksentscheid nicht die notwendige Zustimmung erfahren hat.«

Das Land Berlin bekenne sich weiterhin zum Klimaschutzabkommen von Paris. »Wir arbeiten dafür, dass Berlin schnellstmöglich vor 2045 klimaneutrale Stadt wird.« Die SPD-Politikerin spricht von weitreichenden Maßnahmen: »Mit aller Kraft werden wir die energetische Gebäudesanierung vorantreiben, erneuerbare Energien ausbauen und bestehende Förderprogramme, wie Solar Plus, verbessern.«

Klar sei: »Die Auswirkungen des Klimawandels treten auch in Berlin immer gravierender zutage. Deshalb wird die Bewältigung der Klimakrise auch für jede künftige Landesregierung eines der zentralen Themen sein und als Querschnittsaufgabe hohe Priorität haben.«

Für die Berliner CDU sagte ihr Generalsekretär Stefan Evers: »Berlin sagt Ja zum Klimaschutz – aber Nein zu falschen Versprechen. Die Berliner wissen: Dem Klima wäre mit unrealistischen Zielen oder unbezahlbaren Gesetzen nicht geholfen.« Wichtig sei entschlossenes Handeln, um »unsere bundesweit ambitioniertesten Klimaziele« schnellstmöglich zu erreichen.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Texts war eingangs vom Ziel die Rede, bis 2023 klimaneutral zu werden. Tatsächlich war das Zieldatum 2030. Wir haben den Fehler korrigiert.

hej/sev/dpa
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