Nach Räumung von Lützerath Klimaaktivisten besetzen Kohlebagger im Tagebau Hambach

Bagger schlagen Lücken in die Gehöfte von Lützerath: Der Rückbau geht weiter voran
Foto: Dwi Anoraganingrum / Panama Pictures / IMAGONach der von Protesten begleiteten Räumung des Braunkohleorts Lützerath geht der Energiekonzern RWE davon aus, dass der Abriss schon bald abgeschlossen sein wird. Man erwarte, dass der Rückbau noch acht bis zehn Tage dauere, sagte ein Firmensprecher der »Rheinischen Post« . »Im März oder April könnte der Tagebau dann das frühere Dorf erreichen und abbaggern.« Bis zum Ende des Rückbaus wolle die Polizei vor Ort bleiben.
Unterdessen haben Klimaaktivisten einen Bagger im Braunkohletagebau Hambach im rheinischen Braunkohlerevier besetzt. Insgesamt vier Menschen seien seit den frühen Morgenstunden auf dem Bagger, sagte ein RWE-Sprecher der Nachrichtenagentur dpa. Dieser habe den Betrieb eingestellt. Die Polizei sei informiert.
Gegenseitige Gewaltvorwürfe
Nach Angaben der Protestgruppe »Gegenangriff – für das gute Leben« haben acht Aktivisten den Bagger besetzt. Mit der Aktion wolle man sich mit den Menschen im Dorf Lützerath solidarisch zeigen. Zudem kritisierte die Gruppe das dortige Vorgehen der Polizei und forderte die Vergesellschaftung der Energieproduktion.
Gut vier Kilometer Luftlinie von Lützerath haben sich außerdem Klimaaktivisten von einer Autobahnbrücke abgeseilt. Es handelte sich um insgesamt fünf Personen, zwei davon im Rollstuhl, sagte ein Polizeisprecher. Der Verkehr auf der Autobahn 44 lief während der Aktion weiter, auf der Landstraße unter der Brücke ging dagegen nichts mehr.
Die gegenseitigen Gewaltvorwürfe von Polizei und Aktivisten sind weiter eines der zentralen Themen in Zusammenhang mit der Räumung. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hat die Polizei gegen den Vorwurf unverhältnismäßiger Gewaltanwendung bei der Anti-Kohle-Demonstration am Samstag nahe Lützerath in Schutz genommen. Die Polizei habe »hochprofessionell« gearbeitet, sagte der Politiker am Sonntagabend in der ARD-Talkshow »Anne Will«.
Neubauer: »Das sah in keiner Weise professionell aus«
Er werde jeden Fall von unangemessener Polizeigewalt untersuchen lassen. »Wir haben ein, zwei Filme im Netz gesehen, wo wir sagen: ›Das sieht nicht gut aus.‹ Das werden wir uns genau anschauen, da haben wir auch Strafanzeige gestellt vorsichtshalber, weil ich finde, das muss gecheckt werden. Das habe ich die letzten Jahre immer gemacht, und das wird auch jetzt so gemacht.«
Es sei aber nicht so, als wären bei der Demo massenhaft »wild gewordene Polizisten« unterwegs gewesen. Von den Veranstaltern der Demo hätte er sich gewünscht, sich klar von Gewalt zu distanzieren, aber das sei nicht geschehen.
Klimaaktivistin Luisa Neubauer widersprach dem und warf der Polizei in der Sendung einen unverhältnismäßig gewalttätigen Einsatz vor. »Das sah in keiner Weise professionell aus«, kritisierte sie. Neubauer verwies darauf, dass nach Angaben einer Sanitäterin der Demonstranten viele Menschen von der Polizei schwer verletzt worden seien. Der Protest dagegen sei friedlich gewesen. Die Demonstration hatte sich gegen den Abriss des Dorfes Lützerath westlich von Köln und das Abbaggern der darunter liegenden Kohle gerichtet.
Am Rande der Großdemo hatten laut Polizei rund tausend großenteils vermummte »Störer« versucht, auf das abgesperrte Gelände von Lützerath vorzudringen. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray gegen sie ein. Zwölf Personen wurden fest- oder in Gewahrsam genommen. Nach Polizeiangaben wurden neun Aktivisten mit Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Eine Sprecherin des Sanitätsdienstes der Demonstranten hatte aber gesagt, es sei eine »hohe zweistellige bis dreistellige Zahl« von Teilnehmern verletzt worden.
Aktivisten harren in Tunnel aus
Nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist die Räumung weitgehend so gelaufen wie erwartet. Allerdings hätten die Wetterbedingungen mit Dauerregen und tiefem Morast den Einsatz erschwert, sagte Andreas Roßkopf, Vorsitzender des GdP-Bezirks Bundespolizei, der Nachrichtenagentur dpa. Für ihn sei unverständlich, dass es friedliche Teilnehmer nicht geschafft hätten, »sich von den gewalttätigen Teilnehmern zu distanzieren«. Dies habe es den Polizisten und Polizistinnen erschwert, »hier angemessen einzuschreiten«. Insgesamt hätten die Einsatzkräfte mit Besonnenheit und »dem nötigen Augenmaß« agiert.
Die Polizei hatte am Sonntag die Räumung des Protestdorfes bis auf zwei Aktivisten in einem Tunnel abgeschlossen. »Es befinden sich keine weiteren Aktivisten in der Ortslage Lützerath«, teilte die Polizei mit. Die meisten Gebäude waren am Sonntag schon abgerissen – darunter der Bauernhof des letzten Landwirts von Lützerath. Wann die beiden Aktivisten im Tunnel herausgeholt werden können, war nach Angaben von RWE am Sonntag noch unklar. Die Werkfeuerwehr hat die als »Rettung« bezeichnete Aktion übernommen. Ein Sprecher von RWE sagte am Montagmorgen, man sei in Kontakt mit den Aktivisten.
Die Polizei teilte am Abend mit, dass auch die insgesamt 35 »Baumstrukturen« sowie knapp 30 Holzkonstruktionen in Lützerath geräumt worden seien. Knapp 300 Personen seien aus Lützerath weggebracht worden, wobei es zu vier Widerstandshandlungen gekommen sei. Seit Beginn der Räumung seien 154 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Mehr als 70 Polizistinnen und Polizisten seien seit Beginn des Räumungseinsatzes verletzt worden. Ein Sprecher hatte am Sonntag aber gesagt, dass die Verletzungen nur zum Teil auf Gewalt durch Demonstranten zurückgingen, teilweise seien die Beamten zum Beispiel auch im schlammigen Boden umgeknickt.