
Manipulierte Tierfilme: Naschen am Kadaver
Manipulierte Tierfilme Naschen am Kadaver
Hamburg - Ein Rudel Wölfe reißt Fleischstücke aus einem toten, am Boden liegenden Tier. Gierig machen sich die Raubtiere über den Kadaver her. Die Stille des Waldes wird nur vom Brechen der Knochen und ihren Fressgeräuschen durchbrochen.
Aufnahmen wie diese gehören zum Standardszenario von Filmdokumentationen über den Wolf in freier Wildbahn. Als Fernsehzuschauer sollte man jedoch nicht glauben, dass hier alles immer mit rechten Dingen zugeht.
Der 63-jährige Filmemacher Chris Palmer ist seit über 25 Jahren im Geschäft, drehte Dokumentationen über Tiger in Indien, Bären in Alaska, Delfine, Wale und die Welt der Korallenriffe.
Auch in Palmers Dokumentation "Wölfe" macht sich ein hungriges Rudel über einen Kadaver her. Allerdings räumte Palmers kürzlich in der US-Fernsehsendung "Nightline" ein, dass diese Filmsequenz alles andere als echt ist.
"Wir haben ein totes Tier am Straßenrand gefunden und es an unseren Set gelegt", sagte Palmer. Die Wölfe im Film seien außerdem keine Wildtiere gewesen, sondern extra für die Arbeit vor der Kamera trainiert worden. Die Höhle, in der sie angeblich lebten, sei nachgebaut worden. "Die Wolfsmutter verhält sich so, als wäre sie in einem echten Bau. Das könnte man so im Prinzip auch in freier Wildbahn beobachten", sagt Palmer. "Aber unsere Wölfin ist an die laute Kamera und den Kameramann gewöhnt." Fazit: Die Filmszenen seien "alle erfunden."
Mit seinem Buch "Shooting in the Wild" stellt der Regisseur die Dokumentarfilm-Branche bloß. "Wenn Sie in einem Film einen Bären sehen, der einen Rehkadaver verspeist", schreibt Palmer darin laut "Washington Post", "dann ist es höchstwahrscheinlich ein gezähmtes Tier, das nach Süßigkeiten sucht, die der Tierfilmer im Bauch des Rehs versteckt hat."
Er selber habe für Filme außerdem Schicksalsgeschichten um Tiere erfunden, gibt Palmer zu. Als Beispiel nennt er die Wale aus einer erfolgreichen Dokumentation über die Wanderung der Meeressäuger von Hawaii nach Alaska. In dem Film legen Wal-Mutter "Misty" und ihr Kalb "Echo" die gesamte Strecke gemeinsam zurück - gefährliche Hindernisse inklusive. "Das haben wir uns ausgedacht", gibt Palmer zu. "In Hawaii gibt es viele Wale, weil sie dort bevorzugt kalben. Mutter und Jungtier, die Alaska erreichen, sind aber nicht die selben wie beim Start ihrer Reise in Hawaii." Kurz: "Misty" und "Echo" gibt es nicht.
"Wir sind Filmemacher, wir müssen unterhalten"
Was den Zuschauern im Fernsehen als spontanes Naturereignis präsentiert wird, hat manchmal nur noch sehr wenig mit Beobachtung der freien Wildbahn zu tun - Tierfilme werden oft mit Kommentaren und Skripten unterlegt, die eine Dramaturgie entwickeln, die Tiere vermenschlichen, ihr Verhalten damit erklären, dass es von Gefühlen gesteuert sei.
Gute Tierdokumentationen sollen die Realität abbilden, sie sollen aber auch eine Geschichte erzählen, mit der sich der Zuschauer identifiziert. Das ist fast unmöglich.
"Wir sind Filmemacher, wir müssen unterhalten. Oft sitze ich tagelang im Tarnzelt und langweile mich. Das will aber keiner sehen", sagt der deutsche Regisseur Christian Baumeister. Die Diskussion um den Realitätsgehalt von Tierfilmen hält er per se für absurd: "Ein Film kann nie die Realität darstellen. Was ein Film zeigt, ist alles sehr komprimiert und damit zwangsläufig auch manipuliert."
Der ethische Grundsatz der Tierfilmer beruht darauf, nichts zu zeigen, was nicht auch in freier Wildbahn passieren könnte. Nach dieser Regel wäre das Wolfsrudel am geschickt platzierten Kadaver zu rechtfertigen - allerdings nicht, wenn die Tiere etwas fressen, was ihnen sonst nicht in den Magen käme. "Für uns ist es das oberste Gebot, die Tiere zu schützen", sagt Baumeister. Einen Bären mit Süßigkeiten zu locken, kann er sich nicht vorstellen.
"Es wird so viel betrogen"
Der 38-jährige Tierfilmer Baumeister ist erfolgreich auf dem internationalen Fernsehmarkt, zuletzt wurde war seine Dokumentation "Kamtschatka - Land aus Eis und Feuer" für den US-Fernsehpreis Emmy in der Kategorie "Beste Kamera in einem Naturfilm" nominiert. "Es ist meist ein großes Problem, das Budget einzuhalten", sagt Baumeister. "Als Filmemacher steht man immer unter Druck." Für eine 50-minütige Dokumentation muss Baumeister zwischen 120 und 180 Drehtage einplanen, an vielen passiert - nichts.
Die Qualitätsansprüche sind extrem hoch, das Budget meist zu klein. Oft können es sich Dokumentarfilmer schlicht nicht leisten, noch länger auf ein Tier in der freien Wildbahn zu warten.
Palmer gibt an, bei den Zuschauern ein kritisches Bewusstsein für diese Manipulationen schaffen zu wollen. "Es wird so viel betrogen", sagt er. "Deshalb möchte ich mit meinem Buch eine weltweite Kampagne starten, um zu fragen, ob das, was wir tun, richtig ist."
Natur, so Palmer, sei größtenteils "sehr langweilig". Die meisten Tiere zögen es vor, nicht gesehen zu werden. Nach tagelangem erfolglosen Warten entschließe sich manche Film-Crew dann, nachzuhelfen. "Du musst mit dramatischem und aufregendem Drehmaterial zurückkommen", sagt Palmer. "Wenn du diesen Druck hast und das Geld langsam ausgeht, das Wetter schlechter wird - dann ist Ethik das Letzte, was du im Kopf hast. Du willst nur diese Aufnahme."