Mein Tag mit dem Corona-Test vom Discounter Fünfmal Freiheit? 24,99 Euro

Fünf Schnelltests von Aldi? Unser Autor ging früh morgens zum Discounter, ergatterte Corona-Tests und machte einen Fehler: Er traf sich mit Freunden zu Kaffee und Kuchen.
Foto: Benjamin Maack / DER SPIEGEL

Aus dem Wohnzimmer höre ich das Stöckeln hoher Absätze. Ich bin verwirrt. Ich rufe den Namen meiner Frau. »Bist du das?«, frage ich.
»Ja«, kommt es gut gelaunt von nebenan.
»Trägst du in der Wohnung hohe Schuhe?«
»Ja«, antwortet sie ebenso freudig.
»Warum?«
»Weil es mir gut geht, weil wir kein Corona haben, weil wir das erste Mal seit Weihnachten Besuch bekommen.«

Stimmt. Weihnachten. Heiligabend ist meine Mutter zu uns gekommen. Bevor sie zu Hause losfuhr, hatten wir Tests gemacht, die wir über Irrwege ergattert hatten. Als wir über Videotelefon von einem Profi dabei beraten wurden, wie tief wir uns die Stäbchen nun genau in die Nase stecken müssten (irre tief, so tief, dass es sich anfühlt, als würde man sein Hirn anstupsen), fühlten wir uns ein bisschen wie Verbrecher.

Eigentlich sollten wir solche Tests nicht haben. Sie waren nicht für uns. Warum? Warum nicht einfach alle solche Tests machen konnten? Das wussten wir nicht. Aber so konnten wir meine Mutter treffen, die Kinder konnten Heiligabend mit der Oma verbringen, ohne Angst haben zu müssen, sie vielleicht auf eine Intensivstation zu befördern.

An diesem Samstag ist es noch aufregender: Wir treffen Freunde. In unserer Küche. Zu Kaffee und Kuchen. Ich weiß gar nicht mehr, wann wir das letzte Mal richtigen Besuch hatten. War es Ende November? Anfang Dezember? Aber ich weiß noch ganz genau, dass wir in einer Ecke der Küche saßen und die Freundin in der anderen, direkt neben dem offenen Fenster. Und ich erinnere mich, dass es sich ein wenig anfühlte, als wäre sie kein Gast, sondern eine Gefahr. Nachdem sie gegangen war, öffneten wir alle Fenster, als würden wir versuchen, auch noch den allerletzten Rest von ihr aus unserer Blase der Gesunden zu exorzieren.

Fünfmal Freiheit: 24,99 Euro

Der Tag, an dem wir uns bei Aldi ein paar Stunden Normalität kaufen, beginnt mit einem heftigen Streit.

Meine Frau und ich stemmen uns kurz nach sieben aus dem Bett, um rechtzeitig beim Aldi zu sein. Der Discounter hat Corona-Tests im Angebot. Als erster Laden, der sie frei verkaufen darf. 24,99 Euro für fünf Tests, jeder Kunde nur eine Packung.

In meinem Kopf spielen sich Endzeitszenarien ab. Riesige Pyramiden von Testpackungen, die binnen Minuten von einem aufgeregten Mob zerpflückt und aufgekauft würden. Endlose Schlangen an den Kassen, Kassierer und Kassiererinnen, die mit Tunnelblick im Akkord die Fünferschachteln Freiheit an die Leute bringen.

Als wir zwei Minuten nach acht ankommen, ist eine Kasse geöffnet. Drei oder vier Leute stehen an. Ich sehe, wie die Kassiererin eine grüne Packung unter ihrem Tisch hervornestelt und einem Kunden hinlegt – und will sofort zur Kasse.

Ich bin voll im Endzeitfilm

»Ich hol noch kurz ein paar Sachen«, sagt meine Frau. Ich schaue sie verwirrt an und eile ans Ende der kurzen Schlange. Ich bin noch voll im Endzeitfilm. Ich bekomme meinen Test. Die Kassiererin scannt meine EC-Karte, dann ist der nächste dran. Irgendwie hatte ich mir vorgestellt, dass der Erhalt einer Testschachtel mehr wie eine Preisverleihung ist oder der Moment, wenn man in einem Videospiel ein super seltenes Extra bekommt. Pling! ZOOOOOOOMMM.

Da ist das Ding: Corona-Schnelltest vom Discounter

Da ist das Ding: Corona-Schnelltest vom Discounter

Foto: Benjamin Maack / DER SPIEGEL

Ist es nicht. Die Kassiererin kassiert weiter, ich setze mich auf eine der Bänke in der Einkaufspassage und warte auf Friederike. Zwei Minuten, vier Minuten. Es ist erst zehn oder zwölf Minuten nach acht, als ein Moment der Irritation die Kassenschlange durchzuckelt. Die Kassiererin erklärt der ersten Kundin, dass die Tests ausverkauft seien. Es können keine 50 Packungen gewesen sein, die sie unter ihrer Kasse hervorgezogen hat, eher 20 oder 30. Auch Friederike geht leer aus. Statt einer Packung Tests stopft sie eine Packung Tortellini in ihren Rucksack, dann öffnet sie eines dieser Mini-Ingwer-Getränke und stürzt es hinunter. Und ich benehme mich wie ein Idiot.

»Puh, cool, dass du vorher noch eingekauft hast. Die Tortellini wären um halb neun bestimmt landesweit ausverkauft gewesen.«

Natürlich gibt das Ärger. Denn natürlich ist Friederike viel saurer auf sich selbst, als ich auf sie. Es braucht den halben Fußweg nach Hause, bis wir wieder einigermaßen miteinander reden können – und bemerken, dass es ohnehin eine total asoziale Idee war, sich gleich zwei Schachteln von den wenigen Tests zu sichern. So hat immerhin auch noch jemand anders die Chance, jemanden zu treffen. Endlich mal wieder. Und mit weniger Angst, sich oder andere anzustecken.

Hallo, kleines Lockdown-Baby!

Der Test unserer Gäste im Flur ist ein ziemliches Hallo. Wenn es das Begrüßungsritual, das alle sich ein Stäbchen supertief in die Nase stecken müssen, bevor sie sich gemeinsam zu Kaffee und Kuchen an den Tisch setzen, nicht ab jetzt gäbe, man müsste es erfinden.

In den Wochen zuvor waren wir so überordentlich mit den Lockdown-Regeln, dass sich die Frage, wie viele Leute man eigentlich treffen darf, nie stellte. Und nun sind wir so aufgeregt, mal wieder andere Menschen zu sehen, dass wir gegen die Regeln verstoßen. Bemerkt habe ich das erst später: Zu Gast sind nicht nur – wie es schon jetzt erlaubt wäre – eine erwachsene Person plus Kind, sondern eine Freundin, ihr Mann und ihr gemeinsames Baby. Vom Treffen zweier Haushalte ist zwar seit Tagen die Rede, es ist aber erst ab Montag wieder erlaubt.

Der Kleine ist vier Monate alt und wir sehen ihn das erste Mal. Ich muss daran denken, dass der Zeitraum, der uns lang vorkommt, für ihn sein ganzes Leben ist. Dieser rundgesichtige blonde Kerl ist ein Lockdown-Baby. Für ihn muss das alles der totale Wahnsinn sein. Die fremden Stimmen, die neuen Gerüche.

Auch unsere Kinder haben mit ihren vier und acht Jahren einen ziemlichen Teil ihres Lebens mit Corona verbracht. Mit Abstand, Masken, Nichtumarmen. Der Kleine ist seit Ende Dezember nicht mehr in der Kita, der Große nicht mehr in der Schule. Wir zwei Erwachsenen sind nicht nur ihre Familie, sondern ihre Lehrerinnen, Spielkameradinnen, Freunde und Freundinnen – und egal wie viel Mühe wir uns damit geben, wir sind in allem schlechter als die Originale. Was für ein seltsames Leben das für ein Kind sein muss.

Lichtblick im Corona-Kater?

Aber nun sitzen wir da. Gemeinsam um den Tisch. In unserer bei Aldi erkauften Zeitblase Normalität.
»Kaffee?«
»Ja, gern.«
»Mit oder ohne Milch?«
Ein paar Stunden Sicherheit. Wie viel Zeit genau wir haben? Wie hoch die Sicherheit ist? Und ob uns das sicher genug ist? Das wissen wir noch nicht. Was wir aber wissen: Das Treffen ist wunderbar.

Wie oft wir uns diese Tests leisten werden und können, wenn sie ab nächster Woche in vielen Läden frei erhältlich sind. Wie viele Blasen wir uns erkaufen können. Auch das müssen wir noch überlegen. Noch viel wichtiger ist, dass die Regierung auch allen, die für ein Treffen nicht jedes Mal 25 Euro ausgeben können, die Freiheit ermöglicht, sich ein paar Stunden Normalität zu erselbsttesten.

Dieser Tag ist ein wichtiger und wertvoller Lichtblick im endlosen Corona-Kater, eine Erinnerung daran, was wir alle mal hatten. Irre, dass diese Freiheit, dass Kaffee und Kuchen mit Freunden noch vor knapp einem Jahr geradezu albern selbstverständlich war.

Weniger als in der ersten Begeisterung erhofft

Am Abend lese ich nach, was der Schnelltest kann. Im Durchschnitt erkennt er 88 Prozent der Infektionen. Das ist nicht schlecht, denke ich. Dann wird mir klar, dass dieser Wert sich wohl auf die erste Woche nach Symptombeginn bezieht. Ansteckend ist man aber schon davor. Der Test ist nur eine Momentaufnahme. Kann er also wirklich die Freiheit schenken, die wir uns heute genommen haben?

Zwar isolieren wir uns streng, tragen FFP2-Masken (ich habe mir deswegen sogar den Bart abrasiert), treffen Freundinnen, Freunde und Bekannte nur draußen beim Spaziergang. Aber, ob wir beim Einkaufen jemandem zu nahe kommen? Ob wir es übers Herz bringen, die Kinder jedes Mal rigoros genug zu trennen, wenn sie draußen einmal so richtig schön und innig mit anderen Kindern spielen und raufen? Ob wir wirklich jedes Mal die vollen anderthalb bis zwei Meter Abstand halten, wenn wir mit Verabredungen in der Frühjahreskälte auf einer Bank sitzen? Oder ob jemand die neue Virusmutante hat und uns trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ansteckt? All das können wir nicht mit Sicherheit sagen.

Und ob wir andere anstecken oder von ihnen angesteckt werden können – das verraten uns diese Tests nicht. Nur, ob wir akut erkrankt sind. Das ist viel. Das ist wichtig. Richtig eingesetzt sind die Antigen-Tests ein wichtiger Meilenstein in unserem Ringen mit Corona. Aber an unserem derzeitigen Miteinander ändern sie für mich viel weniger, als ich in der ersten Begeisterung gehofft hatte.

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