Miss Atom 2009 Ein Leben voller Energie
Moskau - Zum sechsten Mal hat die Webseite Nuclear.ru den skurrilen Beauty-Contest veranstaltet - doch diesmal wurde in aller Welt darüber berichtet, weshalb die Organisatoren ihren PR-Coup feiern. Seit der Katastrophe von Tschernobyl geisterten "so viele falsche Vorstellungen über unsere Branche" in den Köpfen der Mitbürger herum, sagt Ilja Platonow, der das Projekt auf Nuclear.Ru leitet. Das sei nun vorbei. Er ergänzt mit am internationalen Frauentag leicht deplatziert wirkender Attitüde: "Der Wettbewerb zeigt doch, dass hier ganz normale Leute und sogar ziemlich hübsche Mädchen arbeiten."
Die Misswahl hat nicht nur finanzkräftige, sondern vor allem mächtige Unterstützer im Hintergrund. Als Hauptsponsor fungiert die Aktiengesellschaft Atomenergoprom, eine vor zwei Jahren gegründete Holding, die aufs engste mit der russischen Atomenergiebehörde Rosatom verwoben ist. Letztere kontrolliert sowohl die zivilen als auch militärischen Bereiche der Branche - und damit fast das gesamte nukleare Material des Landes.
Das neue PR-Gesicht der Industrie ist nun Ekaterina Bulgakowa, 25, Mitarbeiterin eines Forschungsreaktors an der Wolga. Sie hat bei der Wahl zur Miss Atom 2009 insgesamt 3404 Stimmen erhalten und darf als Geschenk nun für eine Woche die Energiewirtschaft in der Provinzstadt Dimitrowgrad gegen die Kraft der Sonne auf Kuba eintauschen. Als ihr Lebensmotto wird "Ich lebe gerne energiegeladen" angegeben.
Der Reklamegag wäre vielleicht gar nicht nötig gewesen angesichts der Tatsache, dass die Russen auch ohne AKW-Schönheiten mehrheitlich hinter der Kernkraft stehen. Andere Wirtschaftsbranchen des Landes haben einen deutlich schlechteren Ruf und bedienen sich der gleichen Methode - vor allem Industrien mit massiven Imageproblemen, hervorgerufen unter anderem durch miese Löhne, überaus harte Arbeit oder abgelegene Produktionsstätten. So gibt es eine "Miss Bikini der Metallindustrie" und einen Wettbewerb für Wärmekraftwerk-Arbeiterinnen, Eisenbahnfahrkarten-Verkäuferinnen und Postlerinnen. Gelegentlich folgen auch höhere Ehren. 2008 wurde die Zweitplatzierte des Wettbewerbs "Miss Öl und Gas", Xenia Suchinowa, in Johannesburg zur "Miss World" gewählt.
Dass auch der Staat bei den Beauty-Contests mitmischt, ist nicht ungewöhnlich. Die russischen Streitkräfte lassen Offiziersanwärterinnen um den Ehrentitel "Roter Stern" antreten. Oxana Fjodorowa, Polizistin aus St. Petersburg, brachte es 2002 zur "Miss Universum" und wurde umgehend zur Majorin befördert. Ihr Vorgesetzter hatte in seiner Lobrede einen ähnlichen Unterton wie jetzt Miss-Atom-Organisator Platonow: Oxana wisse nicht nur mit ihren Reizen zu überzeugen, sagte er, sondern könne sogar eine Kalaschnikow zusammenbauen, "ohne sich die gepflegten Fingernägel zu ruinieren".