

Ettal - Im Skandal um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche hat es zum ersten Mal eine Razzia in einem Kloster gegeben. Der Deutschen Presse-Agentur zufolge durchsuchte an diesem Dienstag die Münchner Staatsanwaltschaft das oberbayerische Kloster Ettal. Dort sollen Schüler von Geistlichen sexuell missbraucht worden sein.
"Seit Nachmittag laufen Ermittlungen vor Ort in Anwesenheit der Staatsanwaltschaft", sagte eine Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft München II. Laut Angaben des Klosters führten die Beamten am Nachmittag "Ermittlungshandlungen" durch. Ob es sich dabei um Durchsuchungen oder Vernehmungen handelte und wie viele Ermittler daran beteiligt waren, konnte die Pressestelle des Klosters nicht beantworten.
Ob bei der Durchsuchung der Benediktinerabtei Beweismittel beschlagnahmt wurden, ist bislang unklar. Die zuständige Polizeidirektion Rosenheim wollte sich auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE nicht zur Razzia äußern. Die Staatsanwaltschaft München II war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
In Ettal waren in der vergangenen Woche mehrere Missbrauchsfälle am Internat des Klosters bekanntgeworden. Mindestens 20 mutmaßliche Opfer haben sich bislang gemeldet und von sexuellen Übergriffen oder körperlicher Züchtigung bis hin zu massiven Schlägen berichtet. Die Vorwürfe richteten sich gegen vier Patres, von denen einer bereits tot ist. Kurz nach Bekanntwerden der Anschuldigungen war der Abt des Klosters von seinem Amt zurückgetreten. Auch der Schulleiter des Internats stellte sein Amt zur Verfügung. Beide übernahmen damit die Verantwortung dafür, dass Verdachtsfälle aus den Jahren 2003 und 2005 nicht ordnungsgemäß gemeldet worden waren.
Im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen an dem Benediktinerkloster wurden nun auch drei Mönche aus dem Kloster Wechselburg in Sachsen suspendiert und von ihren seelsorgerischen Aufgaben entbunden. Gegen sie lägen Missbrauchsvorwürfe aus ihrer Zeit in Ettal vor, teilte das Bistum Dresden-Meißen am Dienstag mit.
Einer der drei Mönche sei für das Jugend- und Familienhaus des Klosters in Wechselburg verantwortlich gewesen. Was genau den Männern vorgeworfen wird, wisse man nicht, sagte ein Bistumssprecher. Verdachtsfälle aus dem Kloster Wechselburg gab es laut Bistum bislang nicht, Bischof Joachim Reinelt kündigte aber an, Anhaltspunkten auf mögliche Verdachtsfälle gründlich nachzugehen.
Immer mehr Missbrauchsfälle werden bekannt
Das Erzbistum München-Freising bestätigte am Dienstag einen Missbrauchsfall in einer Münchner Pfarrei. In den Jahren zwischen 2002 und 2003 habe sich ein ausländischer Ordensgeistlicher mehrmals an einem damals 13-jährigen Mädchen vergangen. Nach seiner Versetzung in eine Pfarrei in Fürstenfeldbruck und einer Bewährungsstrafe wegen sexuellen Missbrauchs kam es dort trotz eines kirchlichen Verbots für Jugendarbeit möglicherweise zu weiteren sexuellen Übergriffen auf zwei Mädchen. Der Bistumssprecher kündigte rückhaltlose Aufklärung an, der Mönch sei inzwischen in seine Heimat zurückgekehrt.
Nach Einschätzung des Vereins ehemaliger Heimkinder sind viel mehr Kinder und Jugendliche in katholischen Einrichtungen sexuell missbraucht worden als bislang angenommen. Rund 70 Prozent der 450 Vereinsmitglieder wurden nach Einschätzung der Vereinsvorsitzenden Monika Tschapek-Güntner in der Kindheit und Jugend in Heimen missbraucht. Der Missbrauch reiche bis zur Vergewaltigung. Der Großteil ihrer Mitglieder - rund 80 Prozent - sei in katholischen Heimen aufgewachsen.
Kardinal Lehmann weist Vertuschungsvorwurf zurück
Seit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals an Jesuitenschulen Ende Januar meldeten sich jeden Tag zahlreiche Opfer bei Tschapek-Güntner. "Leute rufen an und sagen: 'Mir ist das auch passiert'", sagte sie. "Die Menschen halten es nicht mehr aus und müssen reden." Tschapek-Güntner warf der katholischen Kirche "Falschheit" vor. Zwar wolle die Kirche den Eindruck erwecken, die Missbrauchsfälle aufklären zu wollen, jahrelang habe sie Opfer aber unter Druck gesetzt oder mit Geld zum Schweigen gebracht. "Da wird die Decke der Verschwiegenheit ausgebreitet. Das ist grausam, und das halten wir kaum aus."
Der langjährige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, wies den Vorwurf der systematischen Vertuschung scharf zurück. "Dies ist eine ganz und gar unberechtigte Unterstellung", schrieb der Bischof von Mainz in seiner Veröffentlichung "Auf ein Wort" für März 2010 und sprach von Verleumdung. Früher habe es vielleicht "eine Verharmlosung oder gar Verniedlichung in einzelnen Fällen gegeben". Seit Jahren bemühe sich die Kirche aber nun schon um Aufklärung, betonte Lehmann. "Es ist also barer Unsinn zu behaupten, die katholische Kirche habe keinen überzeugenden Willen zur Aufklärung."
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Eingang zum Kloster Ettal: Am Dienstag ermittelte die Staatsanwaltschaft in der Benediktinerabtei.
Im Internat des Klosters sollen Schüler von Geistlichen sexuell missbraucht worden sein. Bislang haben rund 20 Schüler Vorfälle gemeldet.
Die Vorwürfe hatten schon in der vergangenen Woche personelle Konsequenzen. Der Abt des Klosters und der Leiter des Internats traten zurück. Sie übernahmen die Verantwortung dafür, dass Verdachtsfälle nicht ordnungsgemäß gemeldet wurden.
Im Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche kamen zuletzt immer neue Vorwürfe ans Licht. Das deutsche Katholikenoberhaupt, Robert Zollitsch, hat sich dennoch dagegen ausgesprochen, bei jedem Missbrauchsfall in der Kirche sofort und automatisch die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Eine Anzeige sei eine "Frage des Abwägens", so Zollitsch.
Das von Jesuiten geführte Canisius-Kolleg in Berlin. Dort nahmen Ende Januar die zahlreichen Enthüllungen der vergangenen Wochen über Missbrauch von katholischen Geistlichen an Schutzbefohlenen ihren Anfang. In den siebziger und achtziger Jahren wurden Schüler von zwei Mitgliedern des Ordens missbraucht.
Die Juristin Ursula Raue wurde vom Orden mit der Aufklärung der Missbrauchsfälle beauftragt. Bundesweit haben sich nach Worten der Anwältin über 100 Missbrauchsopfer gemeldet, darunter auch Ehemalige anderer katholischer und einer evangelischen Einrichtung. "Ich habe den Eindruck, dass es noch mehr wird", sagte Raue.
Der Rektor des Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes. Er appellierte an weitere Opfer, sich zu offenbaren.
Auch am Bonner Aloisius-Kolleg soll es mindestens zwei Fälle von Missbrauch gegeben haben. Der Rektor der Schule, Pater Theo Schneider, trat bereits zurück.
Pater Eberhard von Gemmingen bemühte im Skandal um die Missbrauchsfälle an Jesuitenschulen eine gefährliche Analogie: Der frühere Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan verglich die Situation des Ordens mit der von Juden zur NS-Zeit.
Der Augsburger Bischof Walter Mixa wies den 68ern eine Mitschuld am Missbrauch zu. Bei der "sogenannten sexuellen Revolution" hätten schließlich manche Moralkritiker die Legalisierung sexueller Kontakte mit Minderjährigen gefordert.
Papst Benedikt XVI. verurteilte den Missbrauch von Priestern und Ordensleuten an Kindern und Jugendlichen, äußerte sich jedoch nicht direkt zu dem Skandal in Deutschland.
Die Vorwürfe hatten schon in der vergangenen Woche personelle Konsequenzen. Der Abt des Klosters und der Leiter des Internats traten zurück. Sie übernahmen die Verantwortung dafür, dass Verdachtsfälle nicht ordnungsgemäß gemeldet wurden.
Foto: ddpDas von Jesuiten geführte Canisius-Kolleg in Berlin. Dort nahmen Ende Januar die zahlreichen Enthüllungen der vergangenen Wochen über Missbrauch von katholischen Geistlichen an Schutzbefohlenen ihren Anfang. In den siebziger und achtziger Jahren wurden Schüler von zwei Mitgliedern des Ordens missbraucht.
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERSDie Juristin Ursula Raue wurde vom Orden mit der Aufklärung der Missbrauchsfälle beauftragt. Bundesweit haben sich nach Worten der Anwältin über 100 Missbrauchsopfer gemeldet, darunter auch Ehemalige anderer katholischer und einer evangelischen Einrichtung. "Ich habe den Eindruck, dass es noch mehr wird", sagte Raue.
Foto: DDPMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
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