

Torgau/Leipzig - Nach Bekanntwerden von Misshandlungsfällen im DDR-Jugendwerkhof Torgau in Sachsen haben sich weitere Betroffene gemeldet. Die Zahl der Opfer, die von Übergriffen und Misshandlungen berichteten, sei auf mehr als 30 gestiegen, sagte die Leiterin der Gedenkstätte "Geschlossener Jugendwerkhof Torgau", Gabriele Beyler, am Samstag.
Auch aus Spezialkinderheimen in den sächsischen Orten Meerane, Eilenburg, Leipzig sowie aus Pretzsch in Sachsen-Ahalt berichteten Betroffene nach Angaben der "Berliner Zeitung" von sexuellen Misshandlungen.
In etlichen DDR-Kinderheimen soll es Fälle von sexuellem Missbrauch gegeben haben, die sogar in Akten notiert wurden. "Es gibt in Stasi-Unterlagen Hinweise darauf", hatte Beyler bereits am Freitag gesagt. Sie geht davon aus, dass sich in nächster Zeit noch mehr ehemalige Insassen melden. Auch das Interesse der Öffentlichkeit steige: In der Gedenkstätte gebe es deutlich mehr Besucher.
Beyler hatte Mitte März unter dem Eindruck der Missbrauchsfälle in Berlin und in den alten Bundesländern Betroffene aufgerufen, über entsprechende traumatische Erlebnisse in DDR-Heimen zu berichten.
"Torgau war die Endstation"
Insgesamt existierten in der DDR 474 staatliche Kinderheime. Davon waren 38 sogenannte Spezialkinderheime und 32 Jugendwerkhöfe, in denen jene Kinder verwahrt wurden, die als schwer erziehbar und verhaltensauffällig galten.
Eine Anstalt wie der Geschlossene Jugendwerkhof war nach Beylers Worten einzigartig in der DDR: "Torgau war die Endstation und wurde wie ein Gefängnis geführt."
In Torgau mussten von 1964 bis 1989 mehr als 4000 Teenager massive Demütigungen sowie körperliche und psychische Gewalt ertragen - ohne dass für die Einweisung ein Gerichtsurteil nötig war. Wenn Jugendliche nach Torgau kamen, mussten sie zunächst drei Tage in Einzelarrest, die Haare wurden ihnen kurz geschoren, persönliche Gegenstände durften nicht mitgebracht werden.
Nach Angaben der Gedenkstätte lebten zur Wende etwa 30.000 Kinder und Jugendliche in den staatlichen Heimen der DDR.
"Wir hatten keine Rechte, waren Freiwild"
Eine inzwischen 52-Jährige hatte am Freitag ihre in dem geschlossenen Heim erlittenen Qualen geschildert. "Wir hatten keine Rechte, waren Freiwild", sagte Heidemarie Puls der Nachrichtenagentur dpa. Die Frau berichtete, sie sei von einem Erzieher und dem damaligen Heimleiter auch mehrfach vergewaltigt worden.
Nach einem Selbstmordversuch mit Reinigungsmitteln sei sie in der geschlossenen Anstalt in Torgau in den "Fuchsbau" gesperrt worden, sagte Puls. "Das war ein 1,30 mal 1,30 Meter kleines Loch in der Wand mit Stahltür, wo ich weder sitzen noch stehen konnte." Wie lange sie eingesperrt gewesen sei, wisse sie nicht: "Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen." Als sie später auf der Krankenstation aufwachte, sei ihre Seele gebrochen gewesen.
Puls berichtete, bei der Entlassung habe sie sich schriftlich zum Schweigen verpflichten müssen. Ohne Schulabschluss und Berufsausbildung arbeitete sie als Näherin, später als Kindergärtnerin. "Ich war seelisch tot, aber funktionierte."
Auch in Thüringen soll es in Heimen Misshandlungen gegeben haben. Am nächsten Mittwoch trifft sich eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Landessozialministerin Heike Taubert (SPD). "Die Untersuchungen zu den Zuständen in den Heimen stehen noch am Anfang." Erste Gespräche mit Betroffenen hätten gezeigt, dass in den Heimen physische und psychische Gewalt ausgeübt wurde. In einzelnen Fällen solle es auch sexuelle Übergriffe gegeben haben.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Nach Bekanntwerden von Misshandlungsfällen im DDR-Jugendwerkhof Torgau in Sachsen haben sich weitere Betroffene gemeldet. Die Zahl der Opfer, die von Übergriffen und Misshandlungen berichteten, sei auf mehr als 30 gestiegen, sagte die Leiterin der Gedenkstätte "Geschlossener Jugendwerkhof Torgau", Gabriele Beyler.
Insgesamt existierten in der DDR 474 staatliche Kinderheime. Davon waren 38 sogenannte Spezialkinderheime und 32 Jugendwerkhöfe, in denen jene Kinder verwahrt wurden, die als schwer erziehbar und verhaltensauffällig galten. Eine Anstalt wie der Geschlossene Jugendwerkhof in Torgau, hier auf einer undatierten Aufnahme aus der Gedenkstätte, war nach Beylers Worten einzigartig in der DDR: "Torgau war die Endstation und wurde wie ein Gefängnis geführt."
Heute ist in der Anlage eine Gedenkstätte untergebracht. Die Leiterin Gabriele Beyler geht davon aus, dass sich in nächster Zeit noch mehr ehemalige Insassen melden und von Misshandlungen berichten. Auch das Interesse der Öffentlichkeit steige: In der Gedenkstätte gebe es deutlich mehr Besucher.
Mitarbeiter Michael Wildt von der Initiativgruppe "Geschlossener Jugendwerkhof Torgau e.V." steht auf diesem Archivfoto aus dem Jahr 2009 vor einer Zellentür im Dunkelzellentrakt des ehemaligen Jugendwerkhofes. In Torgau mussten zwischen 1964 und 1989 mehr als 4000 Teenager massive Demütigungen sowie körperliche und psychische Gewalt ertragen.
Blick auf das frühere Verwaltungsgebäude (vorne) des ehemaligen Jugendwerkhofes in Torgau mit dem sich anschließenden Zellentrakt
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden