
Muslime in England: "Wir sind einfach unsichtbar"
Fotoprojekt mit britischen Muslimen "Da hat sich eine Menge angestaut"
SPIEGEL ONLINE: Ihr Projekt heißt "You get me?". Was soll das bedeuten?
Mahtab Hussain: Diesen Satz habe ich bei den Gesprächen mit den Männern immer wieder gehört. Übersetzt heißt es so viel wie "Verstehst du mich?". Die Leute wiederholten ihn ständig, fast auf aggressive Weise. Gleichzeitig zeigt dieser Ausdruck, wie verwundbar sie sich fühlen. Fast als wollten sie fragen: "Kannst du meinen Standpunkt wirklich nachvollziehen?"
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Hussain: Muslimische Männer sehen sich andauernd mit Etiketten konfrontiert: Terroristen, Barbaren, Grabscher. Natürlich trifft das auf die große Mehrheit nicht zu. Meine Bilder gaben ihnen die Gelegenheit, sich die Hoheit über ihre Identität zurückzuholen. Da hat sich eine Menge angestaut, viele dieser Männer waren wirklich sauer - und dazu haben sie auch allen Grund. Es ist ziemlich hart, in einer Welt aufzuwachsen, die einem ständig signalisiert, dass man nicht dazu gehört.
SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?
Hussain: Naja, sie bekommen ständig zu hören, dass sie sich anpassen und integrieren sollen - Unterschiede und ihr Nicht-Britisch-Sein werden jedoch weiter kommentiert. Wenn man darüber nicht sauer sein soll, worüber denn dann?
SPIEGEL ONLINE: Die Fotos entstanden meist spontan, auf der Straße. Wie sind Sie auf die Männer zugegangen?
Hussain: Ich war immer ziemlich direkt und ehrlich. Wenn ich jemanden gesehen habe, den ich interessant fand, bin ich sofort auf ihn zugegangen und habe mich vorgestellt. Wenn die Männer interessiert waren, habe ich mein Projekt erklärt und die Porträts gemacht. Jede Person war anders - es ging also darum, zuerst eine Verbindung zu ihr zu schaffen.

Muslime in England: "Wir sind einfach unsichtbar"
SPIEGEL ONLINE: Wie waren die Reaktionen?
Hussain: Recht unterschiedlich. Einige Männer waren sehr offen, sind direkt darauf eingegangen und halfen mir, meine Idee umzusetzen. Dabei entstanden sehr offene, intime Gespräche, diese Protokolle erscheinen ebenfalls in meinem Buch. Aber viele Männer haben mich auch abgewiesen. Sie glaubten, dass ich zur Polizei oder zum Geheimdienst gehören würde.

Mahtab Hussain, 1981 in Schottland geboren, wuchs in Birmingham auf und lebt in London. Er studierte Kunstgeschichte, Museum and Gallery Management sowie Fotografie. Seine künstlerischen Arbeiten wurden mehrfach ausgestellt, zuletzt in der Galerie AUTOGRAPH ABP in London. Hussain promoviert derzeit in Fotografie an der Universität von Nottingham.
SPIEGEL ONLINE: Sie selbst haben pakistanische Wurzeln. Hat das Ihre Arbeit erleichtert?
Hussain: Auf jeden Fall. Hieße ich nicht Mahtab Hussain, hätte ich keine dunkle Haut, dann hätten sich die meisten Männer nicht darauf eingelassen - da bin ich sicher. Eine Frage wurde mir übrigens immer zuerst gestellt: "Bist du Muslim?" Ehrlicherweise musste ich zugeben, dass ich kein praktizierender Muslim bin. Aber weil ich offen damit umging, gewann ich ihr Vertrauen.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Projekt widmet sich nur den Männern. Was ist mit den muslimischen Frauen?
Hussain: Die Frauen sind ungeheuer spannend. So spannend sogar, dass ich sie in einem eigenen Projekt zeigen möchte. Da stellen sich ganz andere Fragen, aber ich bin noch nicht so weit. Nur so viel: Die Frauen sind den Männern um Längen voraus. Sie haben einen besseren Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt, sind wesentlich selbstbewusster und unabhängiger.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie selbst auch Erfahrung mit Diskriminierung gemacht?
Hussain: Fast während meiner gesamten Kindheit. Ich bin in Birmingham aufgewachsen, in einem weißen Arbeiterviertel. An meiner Schule mit etwa 1100 Schülern gab es zwei Kinder mit südasiatischen Wurzeln - inklusive mir. Ich wurde ständig wegen meiner Hautfarbe angemacht. Aber es war nicht alles schlecht. Ich habe in dieser Zeit auch sehr liebe Freunde gewonnen. Und später am College erfuhr ich eine andere Art von Diskriminierung. Dort hatten die meisten Studenten einen Migrationshintergrund, denen war ich zu britisch.

SPIEGEL ONLINE: Wurde die Suche nach Identität deshalb Ihr großes Thema?
Hussain: Es ging nicht nur um mich. Am College wurde mir klar, dass alle anderen um mich herum ebenfalls in einer Art Krise steckten. Viele Muslime in Großbritannien suchen nach einer neuen, eigenen Identität. Oft vergleichen sie ihr Schicksal mit dem der schwarzen Bevölkerung. Diese Gruppe wird ebenfalls stark diskriminiert - jedoch mit einem Unterschied: Sie beeinflusst Musik, Mode und Medien wesentlich stärker - und das seit Jahren. Außerdem hat sie mit Muhammad Ali und Malcolm X zwei starke Ikonen. Da beide zum Islam konvertierten, identifizieren sich auch die britischen Muslime mit ihnen.
SPIEGEL ONLINE: Wie deuten Sie das?
Hussain: Menschen wie ich - also mit südasiatischen Wurzeln - finden sich in der britischen Gesellschaft und Kultur nicht wieder und orientieren sich deshalb oft an anderen Bevölkerungsgruppen. Dabei sind wir schon seit Jahrzehnten Teil Großbritanniens. Das ist gut dokumentiert. Aber wir sind einfach unsichtbar. Ein Beispiel: Ich zog nach meinem Studium nach London und arbeitete in verschiedenen Museen und Galerien, zuletzt in der National Portrait Gallery. Das sind Orte, die mir sehr am Herzen liegen, nur habe ich dort niemals ein Werk oder einen Künstler gesehen, der mich in irgendeiner Weise repräsentierte. Diese Lücke wollte ich schließen. Wie soll man sich sonst zugehörig fühlen?
SPIEGEL ONLINE: Sie arbeiten seit zehn Jahren an dem Projekt. Hat sich während dieser Zeit gar nichts verändert?
Hussain: Doch, natürlich. London hat zum ersten Mal mit Sadiq Khan einen muslimischen Bürgermeister. Der Musiker und Schauspieler Riz Ahmed hielt kürzlich eine viel beachtete Rede im Parlament über kulturelle Vielfalt, junge muslimische YouTuber wie Gulam Khan oder Zaid Ali geben ihrer Generation eine ganz eigene Stimme. Aber das sind Ausnahmen. Es muss noch viel geschehen, damit wir zusammenwachsen. Die Muslime in Großbritannien brauchen eine Identität, die auch Teil der britischen Gesellschaft ist.
SPIEGEL ONLINE: Nach den Terroranschlägen von Manchester und London ist diese Diskussion drängender denn je.
Hussain: Richtig. Ich glaube, wir müssen einen Weg finden, unsere Vielfalt zu diskutieren und zu feiern. Der Populismus, der zu Donald Trump sowie zum Brexit geführt hat, teilt unsere Gesellschaft. Aber ich merke auch, dass die Menschen zunehmend bereit sind, über diese Probleme zu sprechen.
SPIEGEL ONLINE: Woran machen Sie das fest?
Hussain: An dem Interesse, auf das meine Arbeit stößt. Ich glaube, vor acht, neun Jahren wäre sie nicht so beachtet worden.
Das Interview führte Lisa Srikiow für das Fotoportal Seen.by .
Zum Weiterlesen:
Mahtab Hussain, "You Get Me?", MACK (2017)