Muslime und Christen in Köln "Der Islam fordert uns heraus"

Muslime in Köln: "Ihr seid allein, wir sind zusammen"
Wenn es in Deutschland einen Konflikt zwischen den Religionen gibt, dann müsste er in Köln zu beobachten sein - der Hauptstadt der religiösen Türken in Deutschland und Bastion des Katholizismus.
Hier machen die Katholiken aus Kirchen Altenheime, während die Muslime eine der größten Moscheen des Landes bauen.
Zwei Minarette, je 55 Meter hoch, dazwischen eine Kuppel wie eine stilisierte Weltkugel, darunter ist Platz für 1200 Gläubige. Die Moschee ist der umstrittenste Sakralbau Deutschlands, der jüdische Intellektuelle Ralph Giordano nannte sie eine "Landnahme auf fremdem Territorium". Der Kölner Kardinal Joachim Meisner sprach von einem "Kulturbruch" durch die muslimische Einwanderung.
In Sichtweite des Doms sitzt Werner Höbsch, 58, Leiter des Referats Dialog und Verkündigung beim Erzbistum Köln. Ein Mann mit weißem Bart und blauem Pulli, er sieht aus wie ein Kapitän auf Landgang, und ein bisschen ist er das auch. Ein Kapitän, der den Kurs des Christentums im stürmischen Meer der Religionsvielfalt sucht.
400.000 Katholiken, 120.000 Muslime
Jetzt geht es darum zu definieren, wie Christen und Muslime in der Domstadt zusammenleben können. Denn in Werner Höbschs Aktenordnern stehen beunruhigende Zahlen: Den etwa 120.000 Muslimen in der Stadt stehen 400.000 Katholiken gegenüber, 2500 traten im vergangenen Jahr aus der Kirche aus, 3588 Bestattungen gab es, 2965 Taufen. Geht es so weiter, dann könnte der Islam Ende des Jahrhunderts die stärkste Religion in Köln sein.
Höbsch ist keiner, der Angst vor dem Islam hat, im Gegenteil. Er findet, man könne einiges von den Muslimen lernen. Ehrfurcht etwa und Selbstsicherheit im Glauben. Eigentlich ist nicht der Islam sein Konkurrent, sondern die Indifferenz, die Glaubenslosigkeit. Er sieht die Krise auch als Chance: "Die Christen hier waren in puncto Sichtbarkeit auf dem Rückzug - jetzt müssen wir uns verstärkt in der Öffentlichkeit als Christen einmischen. Der Islam fordert uns heraus, uns der eigenen religiösen Wurzeln zu erinnern."
Gestritten wird wenig im interreligiösen Dialog, es ist eher ein Dialog der Besänftigung, der gegenseitigen Versicherungen von Respekt. Man wünscht statt zu fordern. Eine Kirche im türkischen Tarsus, wie sie der Kardinal schon seit Jahren sehr lautstark wünscht, gibt es allerdings noch nicht. Der türkische Dachverband der Muslime, die Ditib, mag Toleranz von Deutschen verlangen, in der alten Heimat nimmt sie es damit nicht so genau.
Interreligiöser Dialog
In der Praxis läuft der interreligiöse Dialog meist so, dass die Bischöfe Grüße zum Fastenbrechen übermitteln und die Muslime zu Weihnachten gratulieren. Man unterzeichnete eine gemeinsame Friedensverpflichtung, baut jedes Jahr auf einem Spielplatz eine Wippe, Juden, Christen und Muslime zusammen. Ein schönes Bild, weil man ja nicht alleine wippen kann, sondern immer einen anderen braucht.
In diesem Sinne ist Kemalettin Oruç, 41, der Andere auf der Wippe. Oruç ist ein leiser Herr im grauen Anzug, er lebt seit 14 Jahren in Köln, sein ältester Sohn geht auf eine katholische Schule, der jüngere soll bald folgen. Was nicht weiter verwunderlich wäre, wäre er nicht offizieller Theologe im Dienst der Ditib.
"Dort bekommt mein Sohn eine gute Bildung", sagt er. Natürlich, sagt Oruç, katholischer Religionsunterricht ist Pflicht, auch der Besuch eines Gottesdienstes einmal im Monat; sein Sohn betet dann eben nicht mit. Am Wochenende geht er zum islamischen Religionsunterricht. "Unsere Kinder sollen das Christentum kennenlernen", sagt der Theologe. "Aber sie sollen natürlich in unserem Glauben erzogen werden." Da kennt er keine Kompromisse.
Bildung, Respekt, Demut
Die Werte der christlichen Schule, Bildung, Respekt, Demut - sie sollen dazu dienen, dass sein Sohn ein guter Muslim wird. Der Sohn des Herrn Oruç ist der gelebte interreligiöse Dialog, und er zeigt, dass beides friedlich zusammen existieren kann, Christentum und Islam.
Hinter dem Theologen hängt ein Poster der neuen Zentralmoschee, Oruç ist stolz darauf. "Neben den Kirchen gibt es jetzt würdige Moscheebauten, das ist ein normaler Prozess", sagt er. "Eine religiöse Radikalisierung der Gesellschaft lehnen wir ab. Religion ist Privatsache. Alle sollten das Recht haben, ihre Religion in würdigen spirituellen Räumen auszuüben."
Es gibt wütende Gegner und begeisterte Fans des Moscheebaus, und es gibt wie immer eine große Mitte, die sich die Moschee etwas kleiner wünscht, etwas weniger auffällig.
Für sie zeigen die Minarette einen Machtanspruch, der nicht nur religiös, sondern auch politisch und gesellschaftlich ist. Die neue Zentralmoschee wird an der Venloer Straße errichtet, im Zentrum von Köln-Ehrenfeld, und viele haben Angst, sie könnte einen langen Schatten über das ganze Viertel werfen.
"Ihr seid allein, wir sind zusammen"
Auf der Venloer Straße, ungefähr in der Mitte zwischen den beiden türkischen Cafés Damla und Simitland, steht die Kirche St. Joseph, fast immer sind die Türen verrammelt, damit die Jugendlichen nicht hineinpinkeln.
Ein trauriges Mahnmal des Abendlands, an dem vorbei an diesem letzten Freitag im November die Muslime zum Opferfestgebet strömen, Hunderte junge Männer in Feiertagsanzügen, aber nur wenige Frauen. Bis der Neubau fertig ist, beten sie in einer kleinen Zeltstadt neben der Schnellstraße.
Und weil zum Opferfest auch das Opfern gehört, eilen einige der Männer nach dem Gebet zum Schlachthof Sterbing in Neuehrenfeld.
700 Lämmer haben die Muslime der Umgebung bestellt, sie werden geschlachtet nach deutschem Tierschutzgesetz und islamischen Vorschriften. Ein Muslim führt das Messer, und am Ende bekommen die Gläubigen ein nacktes Lamm, dazu Herz, Leber und Gedärm, alles ordentlich in Plastiktüten verpackt. Deutscher kann eine Schächtung nicht sein.
"Reiseführer auf dem rechten Weg"
Der Facharbeiter Ali Kilinç, 46, ist mit seiner Familie gekommen, er hat drei Lämmer bestellt. Ein gläubiger Muslim aus Anatolien, er betet fünfmal am Tag. "Der Koran ist eine Art Reiseführer auf dem rechten Weg, der den Menschen durch das Leben führt", sagt er. "Der Gläubige soll im Kontakt mit seinem Schöpfer stehen, daher beten wir fünfmal am Tag, fasten im Ramadan und besuchen Kranke und unsere Toten." Das fehle den Christen in Deutschland, meint Kilinç, in seiner Stimme klingt Mitleid mit. "Ihr seid allein, wir sind zusammen", das ist für ihn das Erfolgsgeheimnis des Islam.
"Es gibt nichts Schöneres, als sich zwischen anderen Gläubigen vor Gott niederzuwerfen. Eine Bewegung, ein Gedanke, das ist Glaube." Er versteht nicht, dass die Deutschen sich so wenig für ihren Gott interessieren. Und kann es wirklich sein, dass der Schöpfer am siebten Tag ruht? "Gott ist nie müde", sagt Kilinç. "Was ist das für ein Gott?" Für ihn steht die Müdigkeit des Schöpfers für die Müdigkeit der Christen, im Gegensatz zum Islam, dessen Gott nie ruhe, und vielleicht gebe es auch daher immer mehr Muslime in der Welt.
Blickt man vom Pfarrhaus der Gemeinde St. Theodor auf die Kölner Muslime, dann sieht das Ergebnis etwas anders aus. Es ist der Islam, der Hilfe braucht, und das Christentum, das gibt. "Und unsere Stärke ist, dat wir nie auf Konkurrenz jehen", so sieht es Franz Meurer, Pfarrer in den Stadtteilen Vingst und Höhenberg, er trägt Birkenstocksandalen und Priesterkragen, und kann in einem Satz Jacques Derrida, Hannah Arendt, Richard Sennett und Die Ärzte zitieren.
"Zwei Liter heiliges Wasser aus Ephesus"
Der Pfarrer macht interreligiöse Feiern mit Schulklassen, bringt im Kirchenuntergeschoss türkischen Jungs Gabelstaplerfahren bei, verteilt kostenlos Kleidung und Essen. Die Hälfte der Bewohner hier haben einen Migrationshintergrund, und es gibt viele, die schon bei Pfarrer Meurer Hilfe gesucht haben.
Meurer hat schon Krippenspiele nur mit muslimischen Schülern erlebt und eine Samba-Gruppe zu einem Musikfestival nach Izmir geschickt. "Und was brachten die mit? Zwei Liter heiliges Wasser aus Ephesus", triumphiert der Pfarrer. "Da hätten unsere Katholischen nicht mal dran jedacht."
Der Pfarrer hat eigenhändig die Plakate der Anti-Moscheebau-Partei "Pro Köln" vor seiner Kirche abmontiert, wofür ihn ein Gericht zu einer Geldbuße von 600 Euro verurteilte. "Ökumene stärkt die Religion", findet er. Deshalb hat er auch keine Angst um den Katholizismus in der Stadt. "Jeder Dritte hier war mal Mönch oder Nonne, dat war den Leuten zu viel, die haben dem Napoleon zujeklatscht, als er hier einritt. Dat jeht auf und ab."
"Wetteifert in den guten Taten"
Und so hatte der Pfarrer auch kein Problem damit, der Moschee vor zwei Jahren seine Sonntagskollekte zu spenden. Das Erzbistum rügte die Entscheidung und verwies auf die eigenen notleidenden Gemeinden. Aber als Ende November der Schriftsteller und Muslim Navid Kermani den Hessischen Kulturpreis verliehen bekam, spendete er das Preisgeld der Gemeinde von Pfarrer Meurer.
In seiner Rede sagte Kermani zur Begründung: "Hätte Gott es gewollt, Er hätte euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Doch wollt Er euch prüfen in dem, was Er jedem von euch gab. Wetteifert darum in den guten Taten."
Übrigens, das ist ein Satz aus dem Koran.