Nach Missbrauchsfällen Katholiken treten massenhaft aus der Kirche aus

Die katholische Kirche schrumpft: 2010 traten mehr Menschen aus als getauft wurden
Foto: dapdHamburg - Immer neue Missbrauchsvorwürfe wurden laut, Bischöfe versuchten sich und ihr Bistum zu verteidigen, um später drastische Versäumnisse einräumen zu müssen: Es ist sicher nicht übertrieben, den Umgang der katholischen Kirche mit dem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen als PR-Desaster zu bezeichnen.
Vielleicht ist das sogar eine Untertreibung. Denn an diesem Freitag legte die Deutsche Bischofskonferenz Zahlen für das Jahr 2010 vor. 181.193 Katholiken traten demnach in dem Jahr aus der Kirche aus. Das sind 47 Prozent mehr als im Jahr 2009. Allein im Erzbistum München und Freising kehrten der Statistik zufolge mehr als 21.000 Menschen ihrer Kirche den Rücken.
Der Zusammenhang zwischen dem Missbrauchsskandal um dem Mitgliederschwund wird am Beispiel des Bistums Augsburg deutlich: Der dortige Bischof Walter Mixa hatte nach anhaltenden Berichten über Misshandlungsvorwürfe seinen Rücktritt erklärt. Zuvor hatte er erst alle Vorwürfe abgestritten, dann aber zugeben, Heimkinder geohrfeigt zu haben. In seinem ehemaligen Bistum verdoppelte sich die Zahl der Kirchenaustritte nahezu auf 12.073.
Anteil der Kirchgänger sinkt weiter
Insgesamt hatte die katholische Kirche nur im Jahr 1992 mit 192.000 Austritten einen größeren Mitgliederschwund zu beklagen. Dies ging allerdings auf einen Sondereffekt nach der Wiedervereinigung zurück: Viele in den Kirchenbüchern der DDR geführte Katholiken traten damals wegen der Kirchensteuerpflicht aus.
Die Zahl der registrierten Taufen lag 2010 bei 170.339. Damit verließen laut Kirchenstatistik der vergangenen Jahrzehnte in einem Jahr erstmals mehr Mitglieder die Kirche als neu getauft wurden. Im Jahr 2007 war die Zahl der Taufen mit rund 186.000 noch doppelt so groß gewesen wie die der Austritte.
Rund 253.000 Kirchenmitglieder starben. Der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung sank im vergangenen Jahr um 0,3 Punkte auf 30,2 Prozent.
Die Zahl der Taufen ist auch aufgrund des demografischen Wandels seit Jahrzehnten rückläufig. Lag sie Anfang der sechziger Jahre noch bei rund 500.000 im Jahr, pendelte sie von Mitte der siebziger Jahre an lange Zeit zwischen 250.000 und 300.000. Im Jahr 2005 wurde erstmals die Marke von 200.000 unterschritten.
Selbst Gläubige, die ihrer Kirche noch die Treue halten, scheinen immer weniger Lust zu haben, sich auch näher auf sie einzulassen: 2009 nahmen noch 13 Prozent der Katholiken an den Heiligen Messen teil, im vergangenen Jahr waren es 12,6 Prozent. Laut den Eckdaten der Bischofskonferenz ( hier als pdf) liegt die Teilnahmequote nirgends über 22 Prozent. Im Bistum Essen gehen gar nur 9,5 Prozent zur Messe, in Erfurt immerhin 21,4 Prozent.
Auch im kirchlichen Dienst schrumpfte die katholische Kirche weiter. Zuletzt gab es 9857 Priester im aktiven Dienst, im Jahr 2009 waren es noch 10.182 Geistliche.
"Jeder Austritt ist für uns ein vor allem menschlicher Verlust"
Bei der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) lagen die aktuellen Zahlen für das Jahr 2010 noch nicht vor. Im Jahr 2009 gab es dort laut EKD 198.936 Taufen und 148.450 Kirchenaustritte. Nach Schätzungen der EKD in Deutschland werden die Kirchenaustritte 2010 wieder leicht unter 150.000 liegen. Damit wären 2010 erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik mehr Katholiken aus der Kirche ausgetreten als Protestanten.
Die katholische Kirche bleibt dennoch mit rund 24,65 Millionen Mitgliedern die größte Glaubensgemeinschaft in Deutschland, vor der evangelischen Kirche mit fast 24,2 Millionen Mitgliedern.
Für die katholische Kirche bedeutet der Mitgliederschwund auch ein finanzielles Problem: Schon jetzt droht Hunderten Kirchen die Schließung, durch den Rückgang der Einnahmen aus der Kirchensteuer dürfte die Zahl weiter steigen.
Vor kurzem hatte bereits eine Umfrage der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" einen deutlichen Rückgang der Mitgliederzahlen ergeben. "Jeder Austritt ist für uns ein vor allem menschlicher Verlust", sagte daraufhin der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp. Die Krise des vergangenen Jahres sei nicht wegzureden, aber: "Wir schauen nach vorne." Die katholische Kirche wolle die verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.