

Kinder spielen in langen Gängen, durch die ein Jahr zuvor noch Häftlinge geführt wurden. Über den Geländern vor den Zellen hängen geblümte Bettwäsche und bunte Tücher zum Trocknen. Im Innenhof, umgeben von hohen Schutzmauern, spielen Männer Fußball. Vieles erinnert erst auf den zweiten Blick daran, dass diese Menschen nicht in einer großen Plattenbausiedlung leben, sondern in einem ehemaligen Gefängnis.
Bijlmerbajes im Südosten von Amsterdam: Sechs hohe Türme, sechs Außenbereiche, drei Sporthallen und ein Religionscenter, das als Kirche sowie als Moschee diente. Im Juni 2016 musste die Haftanstalt schließen: Zu wenig Straftäter, die Zellen blieben leer.
Während die USA, Italien, Venezuela oder auch Deutschland mit überfüllten Gefängnissen zu kämpfen haben, gibt es in den Niederlanden immer weniger Straftäter und dadurch einen Überschuss an freien Zellen. Einen Teil davon hat das Land bereits an Norwegen und Belgien vermietet. Für die anderen hatte COA, die niederländischen Regierungsbehörde für die Unterbringung von Asylbewerbern, einen ungewöhnlichen Vorschlag: Warum nicht die leeren Gefängnisse zu Flüchtlingsunterkünften machen?
2015 gab es laut der niederländischen Behörde für Immigration knapp 60.000 Asylanträge, 2016 dagegen nur noch etwas über die Hälfte. Aber es kommen noch immer Zehntausende.
Und so wurde aus der Idee schnell Realität: Mittlerweile leben mehr als 600 Asylbewerber in vier der sechs ehemaligen Gefängnistürme von Bijlmerbajes. Laut Associated Press haben viele der Bewohner schon eine Genehmigung ihres Asylantrags erhalten und warten jetzt auf die Zusage für eine Wohnung. Bis dahin ist das ehemalige Gefängnis ihr Zuhause. "Wir tun unser Bestes, um den Bewohnern, neuen wie alten, das Gefühl zu geben, Teil einer Gemeinschaft zu sein", sagt der Leiter des Heims, Menno Schot.
Der Fotograf Muhammed Muheisen hat die Bewohner von Bijlmerbajes fünf Wochen lang mit der Kamera begleitet. Seine Bilder zeigen fröhliche wie traurige Momente - und immer wieder Momente des Wartens. Warten auf die Annahme des Asylantrags, warten auf eine Wohnung, warten auf einen Job. "Du musst genug Zeit dort verbringen, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, um unsichtbar und irgendwann Teil ihrer Landschaft zu werden und dann ihre Geschichte zu hören", sagt der Fotograf.
Muheisen hat bereits das ehemalige Gefängnis De Koepel in Haarlem porträtiert, das ebenfalls zu einem Asylheim umgewandelt wurde. Er ist zweifacher Pulitzer-Preis-Gewinner und Chef-Fotograf der Associated Press für den Mittleren Osten, Pakistan und Afghanistan.
Insgesamt zehn leer stehende Gefängnisse in den Niederlanden wurden laut COA in den vergangenen zwei Jahren vorübergehend zu Flüchtlingswohnheimen umfunktioniert. Im Moment sind davon noch vier in Benutzung. Die Reaktionen auf die Idee seien anfangs durchmischt gewesen: "Klar, Flüchtlinge in einem Gefängnis unterzubringen, klingt erst mal nicht nett", sagt Jan-Willem Anholts, Sprecher von COA. Aber die regulären Aufnahmeeinrichtungen waren überfüllt, die Lage drängte. Das hätten schließlich auch die Zweifler eingesehen. Ohne Gitterstäbe und Schlösser seien die Gefängnisse sehr geeignet für schnelle Übergangslösungen.
In den unbewohnten Türmen von Bijlmerbajes engagieren sich Integrationshelfer und Nachbarn und bieten Sprachkurse und Workshops für die Flüchtlinge an. "Die Integration fängt hier bereits an", sagt Anholts. Dass sich ihr Alltag in einem ehemaligen Gefängnis abspielt, scheint die wenigsten der Bewohner zu stören. "Ich hatte nie das Gefühl, in einem Gefängnis zu sein", sagt Zafar Sahil aus Afghanistan, "Im Gegenteil, ich habe eine Menge Freundschaften mit Menschen aus lauter verschiedenen Ländern geschlossen."
Zu Hause im Gefängnis - was für die meisten unvorstellbar klingt, ist für die Flüchtlinge in Bijlmerbajes längst Normalität geworden. Ein Gefühl vereine die meisten der Bewohner dort, erzählt Fotograf Muheisen: Sie seien froh, hier zu sein, in einem sicheren Land, in dem ihre Kinder eine bessere Zukunft haben werden - auch wenn die erst mal im Gefängnis beginnt.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Vier syrische Brüder spielen Tischkicker. Noch vor einem Jahr wurden durch diese Gänge die Häftlinge des Gefängnisses Bijlmerbajes im Südosten von Amsterdam geführt. Heute dienen vier der sechs Gefängnistürme vorübergehend als Flüchtlingswohnheim.
Wäsche auf dem Geländer vor den ehemaligen Zellen, aufgehängt zum Trocknen. Fünf Wochen hat der Fotograf Muhammed Muheisen in Bijlmerbajes verbracht und den Alltag der Bewohner mit der Kamera begleitet.
Improvisation ist alles: Eine Frau aus Eritrea vor ihrem provisorischen Altar, den sie auf dem kleinen Kühlschrank in ihrem Zimmer aufgebaut hat. Menschen aus Dutzenden Nationen treffen hier aufeinander, geflohen vor Krieg, Armut oder Verfolgung in ihren Heimatländern.
Ein Mann aus Syrien betet auf dem Boden seines Zimmers. Viele der 600 Bewohner von Bijlmerbajes haben bereits einen genehmigten Asylantrag und warten nun auf eine Wohnung.
Bis dahin will ein Zuhause sauber gehalten werden. Die Bewohner sorgen selbst dafür, dass sie sich in den Räumen wohlfühlen. Insgesamt zehn ehemalige Gefängnisse wurden in den vergangenen zwei Jahren in den Niederlanden zu Flüchtlingsunterkünften umgewandelt. Bijlmerbajes ist eins von vier, die im Moment noch in Benutzung sind.
Der Alltag in dem ehemaligen Gefängnis unterscheidet sich kaum vom Alltag in üblichen Flüchtlingsunterkünften. Hier rasiert sich ein iranischer Bewohner in seinem Zimmer.
Eine Gruppe junger Männer spielt Fußball. Im Hintergrund ragen die Türme von Bijlmerbajes in den abendlichen Himmel. Während 2015 fast 60.000 Asylanträge bei den niederländischen Behörden eingingen, waren es im vergangenen Jahr etwas mehr als 30.000.
In einem der Räume wurde ein provisorischer Friseursalon eingerichtet. Ein Bewohner schneidet seinem iranischen Landsmann die Haare.
Persönliche Erinnerungsfotos aus der Heimat verleihen der kargen Zellenwand etwas Heimeliges.
Ein ältere Mann aus Iran auf dem Weg zurück zu seinem Zimmer. Ein Bewohner Bijlmerbajes sagte einmal zu dem Fotografen: "Wenn ein Land keine Gefangenen hat, um sie ins Gefängnis zu stecken, dann bedeutet das, dass das das sicherste Land ist, in dem ich leben möchte."
Die langen, kargen Flure strahlen nach wie vor etwas Abweisendes aus. Manch einer sucht hier trotzdem hin und wieder die Einsamkeit fernab des Alltagstrubels. Das Gefängnis Bijlmerbajes galt als "modernes" Gefängnis: Gitterstäbe vor den Fenstern gab es hier auch früher nicht.
Ländermix: Einer der Bewohner musiziert in seinem Zimmer. An der Wand hinter ihm die Länderflaggen von Südafrika, der Türkei, seinem Heimatland Pakistan und Holland.
Eine Gruppe syrischer Mädchen genießt die wilde Schaukelei. "Was passiert mit den Menschen, wenn sie ihr Ziel in Europa erreicht haben? Das ist es, was ich herausfinden will", sagt Fotograf Muheisen.
Ein Bewohner aus Afghanistan wartet auf Neuigkeiten von der Asylbehörde. Das Training helfe ihm dabei, die Tage des Wartens zu überstehen, sagt er.
Und gewartet wird hier viel: Auf angenommene oder abgelehnte Asylanträge, auf eine Wohnung, auf einen Job.
Für viele ist das ehemalige Gefängnis zum ersten Mal seit Langem wieder ein Ort in Sicherheit - und so zumindest vorübergehend auch ein Ort, an dem man sich zu Hause fühlt.
Der Fotograf Muhammed Muheisen ist für die Nachrichtenagentur Associated Press in niederländische Gefängnisse gefahren, die als Flüchtlingsunterkünfte genutzt werden. Dort hat er etwa diesen Mann aus Marokko getroffen, der in einer ehemaligen Haftanstalt in Haarlem untergebracht ist.
In den Niederlanden gibt es nicht genug Straftäter, um die Gefängnisse zu füllen. Nun werden die Einrichtungen genutzt, um Flüchtlinge unterzubringen. Hier ist die Essensausgabe in Haarlem zu sehen.
Vorteil der Gefängnisse: Die Infrastruktur für Kochen und Waschen ist ebenso vorhanden wie viele für ein bis zwei Personen ausgelegte Räume. Hier ist Siratullah Hayatullah, 23, aus Afghanistan im Waschkeller zu sehen.
Hamed Karmi, 27, aus Afghanistan lebt mit seiner Frau Farishta Morahami, 25, gemeinsam in einer Zelle des früheren Gefängnisses De Koepel in Haarlem. Hier spielt Karmi Keyboard.
Ein Flüchtling aus Syrien schneidet einem anderen Mann die Haare.
Soweit es möglich ist, hat Alaa Mohammed aus Syrien versucht, es sich in seiner Zelle gemütlich zu machen.
Fahrt ins Ungewisse: Fatima Hussein, 65, aus dem Irak (l.) ist mit anderen Flüchtlingen in einem Bus von ihrer Unterkunft, dem früheren Gefängnis, zu den Behörden unterwegs. Die Gespräche sind Teil des Asylverfahrens.
Der Gefängnis-Look lässt sich nicht so leicht ablegen. Noch immer erinnern Zäune und Stacheldraht daran, dass einst niemand die Einrichtung auf eigene Faust verlassen sollte.
Improvisierter Beautysalon statt Zelle: Yassir Hajji, 24, ist aus dem Irak in die Niederlande gekommen. Er zupft die Augenbrauen seiner Frau Gerbia, 18.
Blick nach draußen: Ein afghanischer Flüchtling hält ein Kind auf dem Arm, während er nach draußen auf einen Spielplatz blickt. Beide sind in einem ehemaligen Gefängnis in Westlingen in der Gemeinde Heerhugowaard untergebracht.
Sie fliege hoch: Ein Flüchtling spielt mit einem kleinen Mädchen. Beide wohnen ebenfalls in dem ehemaligen Gefängnis in Westlingen.
Trinkpause vor der Tür: Es gibt gemütlichere Orte, um eine Tasse Tee zu sich zu nehmen. Siratullah Hayatullah aus Afghanistan hat immerhin von dem Balkon im früheren Haarlemer Gefängnis einen guten Überblick.
Eine ehrenamtliche Helferin zeigt einer jungen Frau, wie Fahrradfahren funktioniert - ein kleiner Beitrag zur Integration der Flüchtlinge.
Janet Helder von der Regierungsbehörde, die für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig ist, sagt, es werde niemand gezwungen, in den früheren Gefängnissen zu wohnen. "Wenn jemand wirklich ein Problem damit hat, finden wir einen anderen Platz."
Ijaawa Mohamed ist 41 Jahre alt und aus Somalia geflohen. Hier sitzt sie vor einem Raum im einstigen Frauenflügel des Gefängnisses.
Gespräch über Stockwerke hinweg: Zwei Flüchtlinge aus Afghanistan unterhalten sich.
Betreuern zufolge bieten die Gefängnisse als Flüchtlingsunterkünfte eine Reihe von Vorteilen: Unter anderem sind ausreichende Küchenkapazitäten und Sportanlagen vorhanden - wie dieses Basketballfeld, auf dem Naaran Baatar aus der Mongolei spielt.
Reda Ehsan aus dem Iran liegt auf einem Tisch, im Hintergrund die Stockwerke mit den Zellen.
Was ist draußen los? Shazia Lutfi, 19, aus Afghanistan schaut aus einer Zelle heraus.
Eine aus dem Irak geflüchtete Frau betet in der Zelle, die ihr als Unterkunft dient.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden