Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses "Historisch beispielloses Desaster"

Bundestagspräsident Lammert, Ausschussvorsitzender Edathy (Mitte): Bericht übergeben
Foto: Rainer Jensen/ dpaBerlin - Mehr als hundert Zeugen und Sachverständige wurden angehört, rund 12.000 Aktenordner ausgewertet: In Berlin hat der Untersuchungsausschuss zur NSU-Terrorzelle seinen etwa tausend Seiten starken Abschlussbericht an Bundestagspräsident Norbert Lammert übergeben.
Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) betonte bei der Vorstellung des Berichtes die Bedeutung der Prävention im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Die Politik müsse überlegen, wie es zu schaffen sei, "dass junge Leute nicht in ein solches menschenfeindliches ideologisches Weltbild abdriften können", sagte Edathy. "Wenn wir es ernst meinen mit der Bekämpfung von Rechtsextremismus, dann reicht es nicht, sich erst dann mit der Frage zu beschäftigen, wenn Rechtsextremismus manifest geworden ist."
Zentrale Versprechen des Rechtsstaats - der Schutz vor Verbrechen und die unvoreingenommene Aufklärung von Straftaten - seien gegenüber den Opfern des NSU gebrochen worden, sagte Edathy. "Das ist in meinen Augen beschämend." Bei den Ermittlungen sei es zu einem "historisch beispiellosen Desaster" gekommen. "Die Gefährlichkeit militanter Neonazis darf nie wieder unterschätzt werden", sagte Edathy. Zuweilen sei diese Gefahr "bagatellisiert" worden.
In dem Abschlussbericht verständigten sich CDU/CSU, SPD, FDP, Linke und Grüne fraktionsübergreifend auf 47 Empfehlungen an Politik und Behörden (mehr zum Abschlussbericht lesen Sie hier). Damit sollen Konsequenzen aus den Versäumnissen der Sicherheitsbehörden gezogen werden. Dem NSU werden zehn Morde zur Last gelegt, neun davon an türkisch- und griechischstämmigen Migranten. Ein fremdenfeindliches Motiv hatten die Fahnder während der Mordserie größtenteils nicht in Erwägung gezogen.
Zuvor hatte Edathy im ZDF-"Morgenmagazin" mehr Polizeibeamte mit ausländischen Wurzeln gefordert. Die Sicherheitsbehörden brauchten eine bessere Personalauswahl, sagte er. Nötig sei mehr Sorgfalt bei Aus- und Weiterbildung, "auch mit Blick auf eine interkulturelle Gesellschaft". "Ich bin ziemlich sicher: Hätte irgendein führender Polizeiermittler selber einen türkischen Hintergrund gehabt, hätten die Behörden bei der Ermittlung der Morde nicht sechs Jahre gebraucht, um das erste Mal einigermaßen ernsthaft die Möglichkeit ins Auge zu fassen, es könnte sich um Rassismus handeln", sagte Edathy.
"Wichtiges Signal"
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) lobte den Abschlussbericht als Beitrag für ein besseres Deutschlandbild im Ausland. "Das ist nicht nur eine wichtige Maßnahme zur Aufklärung nach innen. Das ist auch ein wichtiges Signal der Vertrauensbildung in die Welt", sagte er nach einem Treffen mit dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu in Berlin. Auf diese Weise könne verlorengegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden.
Davutoglu bedankte sich bei der Bundesregierung, die bei der Aufklärung der Neonazi-Mordserie "sehr entschieden" vorgegangen sei. Er freue sich darüber, dass jetzt Justiz und Gerechtigkeit zur Geltung kämen.
Einige Nebenkläger-Anwälte im NSU-Prozess äußerten jedoch auch Kritik an dem Bericht des Untersuchungsausschusses. Das entscheidende Problem, dass es in den Sicherheitsbehörden einen "institutionellen Rassismus" gebe, werde ausgeblendet, erklärten 17 Juristen in einer gemeinsamen Mitteilung. Anwalt Sebastian Scharmer lobte zugleich aber auch, dass die Vertreter der Parteien im Ausschuss viel Aufklärung geleistet hätten.
Der Zentralrat der Muslime (ZMD) forderte daraufhin Reformen der Polizei- und Geheimdienstarbeit. Auch die politische Aufarbeitung des Rassismus in Deutschland solle erneuert werden, erklärte die Organisation. "Leistet die Politik dies nicht, werden sich weitere Katastrophen in unserem Land ereignen", teilte der ZMD-Vorsitzende, Aiman Mazyek, mit. Die Organisation forderte zudem einen Antirassismus-Beauftragten sowie einen Nachrichtendienst-Beauftragten.