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Oktoberfest: Jetzt schlägt's Bier!

Foto: Johannes Simon/ Getty Images

Wiesn-Blog Maß, los!

Von Laura Kaufmann

Es ist leicht, die Wiesn nicht zu mögen. Zu sagen, es wäre ein prolliges Volksfest, bei dem sich Menschenmassen in Festhallen zwängen, um überteuertes Bier hinunterzustürzen, bis vormittags die ersten von den Sanitätern wieder herausgezogen werden. Und das zu grässlicher Schlagermusik und in trachtigen Fantasiekostümen.

Meine beste Freundin sagt das zum Beispiel. Seit drei Jahren hat sie sich nicht mehr in die Nähe der Wiesn begeben. Und, ja, normalerweise verlasse auch ich aus Protest jede Party, sobald Helene Fischer aufgelegt wird, aber für diese 16 Tage mache ich eine Ausnahme.

Ich mag die Wiesn. Und den ganzen Irrsinn, der dazugehört. Die Zelte, die Musik, die Tracht und das Bier; sie sind der Rahmen, das Setting dieser eigenen Welt, die nach ihren eigenen Regeln tickt. Ein 16 Tage dauernder Wahnsinn, der die ganze Stadt ins Fieber reißt.

Um 7 Uhr morgens mit Wodka Bull

Die Vorfreude darauf ist unterschiedlich ausgeprägt bei mir. Ich stand schon um 7 Uhr morgens bewaffnet mit Wodka Bull vor dem Zelteingang, um am ersten Samstag einen Tisch zu ergattern. Ich war da sehr jung und habe mich, kaum saßen wir, sehr gelangweilt - es geht eben erst los, wenn der Oberbürgermeister um zwölf das Fass anzapft.

Meistens habe ich mir den ersten Samstag dann gespart. Gott und die Welt will da auf die Wiesn, selbst die Biergärten sind wegen Überfüllung geschlossen. Das muss ich mir nicht mehr antun. Ich gehe lieber gemütlich am Sonntag, ganz ohne Platzangst und vollgereihertes Dirndl.

Normalerweise. Aber heute bin ich beim Auftakt mit dabei, weil ich eine Reservierung habe. Und ich freue mich drauf.

Das Gefühl des Zockers

Am Samstagvormittag Richtung Oktoberfest zu radeln, von weitem schon das Riesenrad zu sehen: Das ist das Gefühl eines Kindes, das an Heiligabend den leuchtenden Weihnachtsbaum erblickt. Das des Fußballfans, der zum wichtigsten Spiel seines Vereins das Stadion betritt. Das des Zockers, der im weichen Teppich des Casinos einsinkt, das Klingen der einarmigen Banditen im Ohr.

Irgendwann folgt dann die Ernüchterung, irgendwann werden mich aufdringliche Besoffene zu Tode nerven, irgendwann werde ich kein Hendl mehr sehen können.

Und irgendwann kann schneller kommen als gedacht: Morgens sind gerade die Zöpfe fertig geflochten, da klatschen erste Regentropfen gegen die Fensterscheibe und spülen die schöne Vorfreude dahin. Ich schaffe es gerade noch mit dem Rad zur Wiesn - Gott bewahre, sich in die volle U-Bahn quetschen zu müssen, zwischen lauter pickeligen Jugendliche mit Wodka Bull in der Hand - da ploppen schon die Regenschirme auf.

Die Gesichter: mürrisch. Die frisch geföhnten Haare: kleben am Kopf. Die Schritte: eilig. Wiesn kann so schön sein. Wenn das Wetter mitspielt.

Kreischende Britinnen

Vereinzelt sitzen Hartgesottene unter Schirmen im Biergarten und setzen darauf, dass der Regen bald aufhört. Es sieht verdammt trist aus. "Darf ich mit unter deinen Schirm", fragt mich ein Mädchen, das sich ihren teuren Schal schützend über den Kopf hält, als ich vor dem Zelt noch eine rauche. Schweigend beobachten wir die Leute, die mit eingezogenem Kopf zu ihren Reservierungen hasten, und die, die sich mit Regencapes gerüstet haben, um ja nicht den Einzug der Wiesnwirte zu verpassen, die von ihren Kutschen winken wie Könige.

Ich bin müde. Und denke an meine beste Freundin, daran, was sie über die Wiesn sagt, und daran, dass sie damit auch ein bisschen recht hat. Gerade spiele ich mit dem Gedanken, einfach umzudrehen und wieder ins Bett zu fallen, da zieht ein Junggesellentrupp mit Obama-, Prinz-Harry- und Queen-Mum-Masken vorbei. Ein paar junge Britinnen kreischen vor Begeisterung und wollen Fotos von ihnen, und ich muss lachen. Der Irrsinn bahnt sich an.

Im Schottenhamel-Zelt braucht der neue Oberbürgermeister Dieter Reiter vier Schläge, um das Fass anzuzapfen. Vier Schläge sind kein Grund zum Jubeln, aber okay. Er hat es zum ersten Mal gemacht, und ich wette, ihm sind 30.000 Steine vom Herzen gefallen, weil man sich als Münchner OB kaum mehr blamieren kann, als den Anstich zu versemmeln. Jetzt wird in allen großen Zelten gleichzeitig Bier ausgegeben, die Stimmung hebt sich mit den Maßkrügen. Meine auch.

Mitten in der Stadt brodelt ein Hexenkessel, und ich bin mittendrin. Draußen hellt sich erst der Himmel auf, dann die Gesichter, und ich bin mir wieder sicher, dass diese Wiesn eine gute Wiesn wird.

Zur Autorin
Foto: Laura Kaufmann/SPIEGEL ONLINE

Laura Kaufmann, Jahrgang 1984 und gebürtige Münchnerin, wurde schon im Kinderwagen über das Festgelände geschoben. Jedes Jahr nimmt sie sich vor, nur gelegentlich privat auf die Wiesn zu gehen. Und jedes Jahr scheitert sie wieder an diesem Vorsatz.

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