Transplantationsskandal Kliniken umgehen offenbar Warteliste für Spenderorgane

Notaufnahme der Uniklinik in Regensburg: Akten manipuliert
Foto: Armin Weigel/ dpaBerlin - Gerade warnte der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller, die gängige Organspendepraxis in Deutschland könne in Zukunft viele Menschen das Leben kosten. Jetzt legt ein Bericht der "Frankfurter Rundschau" nahe, dass die Situation sich kontinuierlich verschlechtert hat.
Unter Berufung auf Zahlen aus dem Bundesgesundheitsministerium berichtet die Zeitung am Dienstag, dass hierzulande bereits jedes vierte Herz, jede dritte Leber und jede zweite Bauchspeicheldrüse direkt von den Kliniken an selbst ausgesuchte Patienten verteilt würden. Der Anteil auf diese Art vermittelter Organe habe im Jahr 2002 noch bei weniger als zehn Prozent gelegen.
Die Hospitäler beriefen sich dabei auf das sogenannte beschleunigte Vermittlungsverfahren. Dies kann laut geltenden Richtlinien dann angewendet werden, wenn Organe von älteren oder kranken Spendern zur Verfügung stehen, für die es nur wenige geeignete Empfänger gibt. Lehnen mindestens drei Kliniken aus medizinischen Gründen ein Organ ab, weil es zu alt ist oder der Spender an einer Virus- oder Tumorerkrankung litt, wird das beschleunigte Vermittlungsverfahren möglich.
Organe kränker gemacht
Wiederholt war der Verdacht geäußert worden, Organe würden "kränker" gemacht, um das bestehende System der Verteilung über eine Warteliste zu unterlaufen. Was früher eine Ausnahme war, sei inzwischen zur Regel geworden, moniert die "Frankfurter Rundschau".
Demnach stieg der Anteil der beschleunigten Vermittlung bei der Leber in den vergangenen zehn Jahren von 9,1 auf 37,1 Prozent. Beim Herz kletterte der Wert von 8,4 auf 25,8 Prozent, bei der Lunge von 10,6 auf 30,3 Prozent. Die größte Steigerung verzeichne man bei der Bauchspeicheldrüse: Wurden 2002 nur 6,3 Prozent dieses Organs nach dem beschleunigten Verfahren verteilt, waren es in diesem Jahr bereits 43,7 Prozent.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Harald Terpe nannte die Zahlen erklärungsbedürftig. Das Verfahren müsse transparent gemacht und von einer unabhängigen Einrichtung evaluiert werden. "Nach den Ereignissen in Göttingen und Regensburg müssen wir alles tun, um sicherzugehen, dass nicht auch an anderer Stelle manipuliert wird", sagte er der Zeitung.
Die Bundesregierung gab an, das Alter der Spender habe stark zugenommen. Damit allein sei der extreme Anstieg aber nicht zu erklären, kritisierte der Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch. Er sprach von einer "Einflugschneise für Manipulationen". Brysch forderte eine genaue Aufklärung über die Ursachen der bedenklichen Entwicklung.
An der Universitätsklinik Göttingen stehen der ehemalige Oberarzt sowie ein weiterer leitender Arztim Verdacht, Akten manipuliert zu haben, um bestimmten Patienten eine schnellere Lebertransplantation zu ermöglichen. Derzeit wird geprüft, ob dies zum Tod von Menschen geführt haben könnte, die nicht zum Zuge kamen. Die Staatsanwaltschaften Braunschweig und Göttingen ermitteln in Dutzenden Fällen wegen Bestechlichkeit beziehungsweise wegen des Anfangsverdachts auf Tötungsdelikte.