
Prozess in Pakistan: Vergewaltigungsopfer Mukhtaran Mai
Pakistanisches Vergewaltigungsopfer Der verlorene Kampf der Mukhtaran Mai
Mukhtaran Mai, 40, weint viel dieser Tage. Man kann sie schlecht verstehen am Telefon, wenn man überhaupt durchkommt. Sie ist eine viel gefragte Frau. Eine, die gerade vor dem höchsten Gericht Pakistans den Kampf ihres Lebens verloren hat. Die aber, wie sie zwischen Schluchzen hervorbringt, noch nicht aufgeben will. "Was bleibt mir anderes übrig? Natürlich werde ich weiterkämpfen. Ich werde niemals schweigen, und wenn es mich mein Leben kostet", sagt sie. Dann weint sie wieder.
Meerwala im Juni 2002, ein Dorf in der Provinz Punjab, Zentralpakistan. Die Stimmung in der Familia von Mukhtaran Mai ist schlecht, eine Familie vom verfeindeten Mastoi-Stamm behauptet, einer ihrer Brüder, der elfjährige Abdul Shakoor, solle eine Beziehung zu einem der Mastoi-Mädchen unterhalten. Polizeiliche Ermittlungen ergeben später, dass drei Männer aus der Mastoi-Familie den Jungen vergewaltigt haben. Sie drohen ihm Schlimmes an, sollte er darüber reden. Doch das Kind lässt sich nicht einschüchtert, der Junge berichtet seiner Familie von dem Missbrauch. Aus Rache hängen ihm die Mastoi-Männer dann eine - unerlaubte - Beziehung zu einer ihrer Frauen an.
Splitternackt durchs Dorf
Wie in ländlichen Gegenden Pakistans nicht unüblich, einigen sich beide Familien darauf, den Streit beizulegen, indem Abdul Shakoor seine angebliche Geliebte heiraten soll. Umgekehrt soll einer der Mastoi-Männer die ältere Schwester Abduls - Mukhtaran Mai - zur Frau bekommen. Doch im letzten Moment entscheidet die Mastoi-Familie sich gegen diese Lösung. Man würde den Streit als beigelegt ansehen, wenn Mukhtaran Mai persönlich vorbeischaue und im Namen ihrer Familie um Entschuldigung bitte.
Am Mittag des 22. Juni 2002 geht die damals Anfang Dreißigjährige zu Fuß zum Haus der Mastois, nur ein paar Minuten Fußweg von ihrem eigenen Haus in Meerwala. Dort wird sie von mehreren Männern überwältigt: Sie zerren sie ins Haus, reißen ihr die Kleider vom Leib, fallen über sie her. Es ist Samstag, 14 Uhr. Mehrere Männer halten sich zu der Zeit in dem Haus auf, vier von ihnen vergewaltigen Mukhtaran Mai. Es heißt, die Männer hätten sich in einer Dschirga, einer Versammlung, auf die Vergewaltigung der Frau als Strafe geeinigt. Bis heute widersprechen sich die Protokolle und Berichte, ob es einen solchen Beschluss gab oder nicht, ob die Vergewaltigung also geplant war oder nicht.
Irgendwann am selben Tag, nach traumatischen Stunden, steht Mukhtaran Mai wieder auf der Straße. Sie ist splitternackt, sie schreit nach ihrem Vater. Der, gerade zu Hause angekommen, hört sie und eilt ihr zu Hilfe. Die Menschen im Dorf sehen, wie der alte Mann seine nackte Tochter nach Hause führt.
Die Familie redet Mukhtaran Mai gut zu, sie solle die Sache auf sich beruhen lassen, nicht noch mehr Porzellan zerschlagen. "Aber wie sollte ich das tun? Ich bin nackt durch das Dorf gegangen, wie konnte ich da noch an Ehre denken?"
Entscheidung zur Anzeige
Mukhtaran Mai entscheidet sich, ihre Vergewaltiger anzuzeigen. Der Fall erhält große Aufmerksamkeit in Pakistan, als sechs Tage später, beim Freitagsgebet, der örtliche Mullah in seiner Predigt die Vergewaltigung zum Thema macht. Er verdammt die Täter und erklärt, man müsse die Geschichte öffentlich machen, damit die Menschen erfahren, was für ein Unrecht geschehen sei. Der Geistliche lädt Journalisten in das Dorf ein und arrangiert Treffen mit Mukhtaran Mais Familie.
Mukhtaran Mai wird zur Heldin der Nation, zu einer Ikone der Entrechteten: eine Frau, die sich wehrt. Eine, die sich nicht wie Hunderttausende andere duckt und schweigt und all das Leid erträgt, das ihnen die Männer in ihrem Umfeld antun; Pakistan ist nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen das Land mit den meisten Ehrenmorden weltweit.
Die Regierung schenkt ihr eine halbe Million Rupien, damals umgerechnet etwa 8500 Euro, eine Menge Geld für eine arme Frau. Wenn eine sechsköpfige Familie in Meerwala über 100 Euro im Monat verfügt, kommt sie schon gut über die Runden. Mukhtaran Mai, die Frau, die nicht einmal lesen und schreiben kann, entschließt sich, mit dem Geld eine Schule für Mädchen in ihrem Dorf aufzubauen. Immer mehr Journalisten berichten über ihre Geschichte, sie erhält Spenden, am Ende kann sie zwei Schulen eröffnen.
Furcht um ihr Leben
Ihr Kampf richtet sich aber gegen 14 Männer, die die Polizei in dem Vergewaltigungsfall verhaftet hat. Acht kann keine Schuld nachgewiesen werden, ein lokales Gericht spricht sie im August 2002 frei. Die anderen sechs, darunter die vier Vergewaltiger, werden zum Tode verurteilt.
Im März 2005 kommen fünf der Verurteilten auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs von Lahore frei, die Strafe des Hauptverantwortlichen wird in lebenslange Haft umgewandelt. Die Richter begründen ihre Entscheidung mit "nicht ausreichenden Beweisen". Es kommt zu landesweiten Protesten, Mukhtaran Mai lebt in Angst vor Vergeltung, fürchtet um ihr Leben. Sie erreicht, dass der Prozess wieder aufgenommen wird.
Der Oberste Gerichtshof Pakistans hat in der vergangenen Woche das Urteil des Gerichts in Lahore bestätigt. Fünf der sechs Verurteilten sind frei, und Mukhtaran Mai fürchtet wieder um ihr Leben. Am Karfreitag brachten Politiker das Thema im Parlament zur Sprache, die Regierung versprach, für ihren Schutz zu sorgen. Allerdings könne man sich nicht in höchstrichterliche Entscheidungen einmischen, hieß es.
"Ich habe mein Vertrauen in die Gerichte verloren", sagt die weinende Frau jetzt. "Ich vertraue nur noch auf Gott." Wegziehen aus Meerwala wolle sie aber "auf keinen Fall". Mukhtaran Mai, inzwischen mit einem der sie beschützenden Polizisten verheiratet, will weiterkämpfen. "Leben und Tod sind in der Hand Gottes", sagt sie. "Ich werde meine Schulen doch jetzt nicht schließen."