

Lidia Roacoronell liebt das Rampenlicht und den Laufsteg. In ihrem Körper fühlt sie sich wohl, gern zeigt sie ihn. Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, in denen sie sich am liebsten versteckt hätte; vor den Blicken anderer, vor Beschimpfungen und beleidigenden Kommentaren. Doch das ist vorbei. Heute gehört sie zu den Gewinnerinnen der "Miss Gordita" - einem Wettbewerb für Frauen mit Übergewicht. "Seit ich ein XXL-Mannequin bin, zeige ich mich auch in kurzen Hosen und im Badeanzug", sagt sie.
Mike Beras, Gründer einer Model-Agentur für Übergewichtige, rief den Schönheitspreis 2012 ins Leben. Seitdem kommen jedes Jahr Teilnehmerinnen in Paraguays Hauptstadt Asunción. Hunderte Frauen melden sich über Facebook an, 14 von ihnen konkurrieren um den Titel "Miss Gordita".
Mit dem Wettbewerb will sich Beras gegen die "Herrschaft der Dünnen" wehren. Die Mehrheit der Frauen in Paraguay ist laut dem Institute for Health Metrics and Evaluation übergewichtig, viele von ihnen werden wegen ihres Gewichts diskriminiert.
In seiner Fotoserie "198 Pounds of Fame" zeigt der Fotograf Jean-Jérôme Destouches die Teilnehmerinnen des Wettbewerbs - allerdings nicht bei der Veranstaltung, sondern bei der Arbeit oder zu Hause: " Ich wollte ihren Glamour einfangen, aber gleichzeitig auch die harte Realität ihres Alltags. Der Wettbewerb ist eine Scheinwelt, es ist eine Show. Ich wollte ihr wahres Leben zeigen." Ungeschönt, ganz ohne Photoshop.
Die Modeindustrie und die Medien würden den Menschen eine verquere Darstellung der Wirklichkeit liefern, sagt Destouches: "Wir wollen keine dicken Menschen sehen. Wir leben lieber in einer Lüge. Deshalb wollte ich diese Frauen zeigen: So sieht die Realität wirklich aus!"
Der Fotograf erfuhr von den Frauen, wie ihre Wirklichkeit aussieht: abfällige Äußerungen, diskriminierende Witze über ihr Gewicht, das Gefühl von Scham und Hilflosigkeit. Häufig hätten sie auch Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. So ging es etwa Laura Ochipinti: "Ich wollte als Mannequin arbeiten, aber der Chef sagte, ich sei zu dick und mein Anblick verjage die Kundschaft."
Viele der Frauen fühlen sich dank "Miss Gordita" zum ersten Mal akzeptiert. Die Teilnahme verändert oft auch die Sichtweisen ihres Umfeldes: Statt Ablehnung und Hänseleien gibt es auf einmal Bewunderung. Das erlebte auch Leticia Ocampos: "Früher hat mir niemand gesagt, dass ich schön bin. Heute habe ich viele Bewunderer."
Aber das gilt nicht für alle. Deshalb setzen sich Teilnehmerinnen bei TV-Auftritten dafür ein, übergewichtige Frauen anders darzustellen. "Sie zeigen immer nur Frauen mit den perfekten Maßen von 90/60/90", sagt "Miss Gordita"-Teilnehmerin Vivian Barreto. Und abgesehen von einem gesellschaftlichen Sinneswandel haben die meisten vor allem einen Wunsch: berühmt zu werden.
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Obwohl in Paraguay über die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig ist, werden Betroffene oft Opfer von Diskriminierungen. Der Fotograf Jean-Jérôme Destouches hat füllige Frauen porträtiert, die bei einem Schönheitswettbewerb um den Titel der "Miss Gordita" (Miss Mollig) kämpfen. Eine von ihnen ist Laura Ochipinti. Sie erzählt Destouches von negativen Erfahrungen: Sie wurde beispielsweise mitten auf der Straße von ihrer Nachbarin schwer beleidigt.
Mit dem Schönheitswettbewerb versucht der Initiator Mike Beras, die negative Einstellung gegenüber den übergewichtigen Frauen, zu ändern. Rebecca Orihuela arbeitet als Chirurgin in einem Militärkrankenhaus. Viele Jahre lang hat sie sich in ihrem Haus zurückgezogen und wollte nicht rausgehen: "Ich war Gefangene meines eigenen Körpers, den ich hasste." Heute sucht sie die mediale Aufmerksamkeit und hat angefangen, ihr Spiegelbild zu mögen.
Viele der Frauen finden durch den Wettbewerb zu neuem Selbstvertrauen, so wie Lidia Roacoronell: "Auch wenn es heiß war, habe ich lange Kleidung getragen und meinen Körper versteckt. Seit ich ein XXL-Mannequin bin, zeige ich mich auch in kurzen Hosen und im Badeanzug."
Leticia Velaztiqui ist von sich überzeugt: "Ich war schon immer sehr eingebildet. Obwohl ich dick bin, habe ich nie den Glauben an mich verloren." Sie liebe es, von anderen bewundert zu werden. Viele ihrer dicken Freunden seien sehr deprimiert und würden sie sehr beneiden: "Sie sehen mich im Fernsehen mit einem enganliegenden Kleid und tiefem Ausschnitt und versuchen, mich nachzuahmen."
Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, verkauft Cinthia Colina mit ihrer Mutter Sandwiches. "Es ist schwer, im einen Moment in der Küche zu stehen und im nächsten vor einem Fotografen zu posieren."
Diana Chamorro wurde 2013 zur Miss Gordita gewählt. Beim Finale imitierte sie Madonna und ist nun als Madonna Paraguays bekannt. "Ich habe es in die Medien geschafft, ohne mich zu entblößen."
Tamara Luraschis Mutter ist evangelisch, und lehnte es ab, dass die Tochter zu Castings geht. Doch Tamara setzte sich durch: "Ich wollte eine XXL-Modell werden, um allen zu zeigen, dass dicke Frauen auch sexy sein können."
Leticia Ocampos, 23, arbeitet in der familieneigenen Schneiderei. Sie hat schon immer davon geträumt, ein Model zu werden - trotz ihrer 90 Kilogramm. Bevor sie eine "Miss Gordita" wurde, machten sich die Nachbarn über ihre Ambitionen lustig. Jetzt, wo sie im Fernsehen zu sehen ist, seien Nachbarn und Familie gleichermaßen stolz auf sie: "Früher hat mir niemand gesagt, dass ich schön bin. Heute habe ich viele Bewunderer."
Sofia Larosse sagt, dass ihr Übergewicht erblich bedingt sei. Viele in ihrer Familie hätten dasselbe Problem. Sie selbst wiegt 130 Kilogramm.
Ana d'Oliviera hat über 20 Diäten ausprobiert, doch keine wirkte. "Eigentlich esse ich nicht viel, aber ich ernähre mich schlecht. Mein Vorgesetzter sagt, dass ich dick sei und dass ich abnehmen müsse. Er bringt mir jeden Tag Obst mit." Dünn zu sein, war nie ihr Ziel, nur an den Armen würde sie gerne abnehmen: "Ich bin kurz davor, mich operieren zu lassen."
Wie viele andere "Miss Gorditas" träumt Vivian Barreto davon, ein richtiges Model zu werden. Sie klagt das paraguayische Fernsehen an: "Sie zeigen immer nur Frauen mit den perfekten Maßen von 90/60/90." Die übergewichtigen Frauen fordern ein gesellschaftliches Umdenken.