
Doku über Parkinson: Der Kampf mit der Starre
Parkinson-Dokumentation Eingefrorenes Leben
Fredl Fesl war Künstler und Kraftprotz zugleich: Erst brachte er es zum oberbayerischen Juniorenmeister im Gewichtheben, dann wurde er als Musikkabarettist mit hintersinnigen Jodel-Oden auf Freibier und Knödel berühmt in Bayern, bekannt in Deutschland. In Fernsehauftritten aus den Siebzigern ist Ferdl ein begnadeter Gitarrist mit Vollbart, der seine Pointen gekonnt setzt und den Applaus selbstbewusst genießt.
Heute sitzen die Lachfalten wie gemeißelt in den Mundwinkeln des 67-Jährigen. Seine Stimme verschleppt die Vokale, verwäscht den bayerischen Dialekt. Manchmal verstummt er ganz. Die Gitarre fasst Fesl kaum noch an; seine Motorik reicht nicht mehr zum Spiel.
Vor 17 Jahren wurde bei Fredl Fesl Parkinson diagnostiziert. Gehirnzellen sterben, die Dopamin produzieren, dadurch wird die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen gestört, die Kontrolle über die Muskeln nimmt ab. Fesls Gesicht, seine Bewegungen frieren nach und nach ein.
Erster Besuch vor acht Jahren
Im fortgeschrittenen Stadium wird die Sprache leise und undeutlich. Medikamente verlangsamen den Verlauf, aufgehalten werden kann die Krankheit nicht. Die Deutsche Parkinson Vereinigung schätzt, dass es in Deutschland zwischen 240.000 und 280.000 Patienten gibt, gesicherte Zahlen fehlen aber.
Die Filmemacherin Annette Baumeister hat Fesl für die ZDF-Reportagereihe "37 Grad" in seinem Alltag auf einem Hof im oberbayerischen Pleiskirchen begleitet. In ihrer Dokumentation bildet sie einfühlsam ab, womit Parkinson-Kranke zu kämpfen haben - und wie eindrucksvoll ihre Protagonisten den Kampf nicht nur annehmen, sondern weiter leben im besten Sinn: Pläne schmieden, Pläne umsetzen, Neues entdecken.
Neben Fesl trifft Baumeister auch Gisela Steinert: Vor knapp 20 Jahren bekam die ehemalige Sekretärin und begeisterte Läuferin die Diagnose Parkinson. In ihrem Reihenhaus im hessischen Sulzbach reihen sich noch heute die Medaillen von den früheren Marathonläufen an der Wand. Die sportliche Figur hat Steinert behalten. Aber heute scheitert die 56-Jährige daran, einen Touchscreen am richtigen Punkt zu treffen, eine Dose zu öffnen oder eine neue Plastiktüte im Supermarkt.
"Im Off"
Bereits vor acht Jahren begleitete die Filmemacherin Fesl und Steinert in ihrem Lebensalltag. Fesl spielte damals das erste Konzert seiner Abschiedstournee, Steinert lief einen ihrer letzten Halbmarathons. Schon damals gelang es Baumeister, eine beeindruckende Nähe zu den beiden Protagonisten herzustellen. Offen sprachen die beiden mit der Filmemacherin über ihre Ängste; auch darüber, dem Leben selbst ein Ende zu setzen, wenn die Krankheit schlimmer wird.
Heute glänzt Steinerts Gesicht schon nach fünf Minuten auf dem Laufband vor Erschöpfung. Ins Fitnessstudio geht sie trotzdem noch zweimal pro Woche. "Wichtig ist, dass man nicht stehenbleibt", sagt sie. Neue Grenzen und neue Chancen liegen in ihrem Leben ganz nah beieinander. Baumeister zeigt den berührenden Moment, als wieder ein Stückchen Lebensinhalt wegfällt: Steinert ist zum Schlittschuhlaufen verabredetet, doch sie kann nicht mehr gleiten, sondern stolpert in zerhackten Bewegungen über das Eis. "Nicht so gut, wenn du merkst, dass etwas nicht mehr geht", sagt Steinert. Sie kämpft mit den Tränen.
Trotz solcher Erfahrungen: Steinert bleibt in Bewegung. Sie gründete eine eigene Selbsthilfegruppe, im Moment organisiert sie in ihrem Haus einen Tango-Kurs für Parkinson-Patienten und moderiert für einen Radiosender im Internet eine eigene Frühstückssendung - bei ihr ist die Aussprache noch von der Krankheit unberührt.
Fesl büßte Stimme und Motorik ein, im Blick des Musikers liegt oft eine tiefe Trauer über diesen Verlust: "Es ist eine Mischung aus dem, dass man stolz ist, was man alles geschaffen hat. Und dem, dass man gleichzeitig sieht, dass noch so viel zu tun wäre", sagt er. Aber auch ihm gelang es, sich Neues zu suchen: Der Kabarettist schreibt an einer Autobiografie aus Anekdoten, tüftelt in seiner Scheune an charmanten Nonsens-Erfindungen wie der Schunkelhilfe, einer Plastiksitzschale, mit der ungeübte Volksfestbesucher auf Bierbänken den richtigen Rhythmus finden sollen.
"Im Off sein" nennen es die Erkrankten, wenn die Wirkung der Medikamente nachlässt und die Starre sich im Körper ausbreitet. Für Steinert fühlt sich das "Off" an wie eingesperrt: "Du bist wie in einem Kasten. Und der Kasten wird immer kleiner um dich rum."
Zugleich wird der Zugang für Freunde und Angehörige zu Parkinson-Kranken immer schwieriger. Kaum Mimik, kaum Gestik, kaum Sprache. Jedes Gefühl braucht länger, um sichtbar zu werden.
"Ich besiege die Krankheit", sagte Fesl vor acht Jahren, als Baumeister ihn zum ersten Mal traf. Heute sagt er: "Ich hoffe, dass mein Gesicht mal im Lachen einfrieren wird."
"Außer Kontrolle - Leben mit Parkinson", Dienstag, 22.15 Uhr, ZDF