Nur einen Klick entfernt Die Porno-Pandemie

Kein Flirt in der Bar, kein Date via Tinder – dafür viel Einsamkeit und Langeweile im Lockdown: In Corona-Zeiten geht der Konsum von Sexseiten im Internet durch die Decke.
»Je länger der Lockdown dauert, umso mehr Pornos schaue ich.«

»Je länger der Lockdown dauert, umso mehr Pornos schaue ich.«

Foto: Silas Stein / picture alliance/dpa

Es fiel ihm erst auf, als er die ganzen Filme auf seine Festplatte lud. 800 Gigabyte Pornos, ganz schön viel, fand Jan-Phillip Kozalla, dessen Nachname eigentlich anders lautet. Früher, schätzt er, war er drei- bis viermal pro Woche auf seinen Lieblingsseiten »Brazzers«, »Bangbros«, und »Pornhub«. Dann kam der erste Lockdown, und Kozalla schaute täglich Pornos, manchmal auch mehrmals am Tag. »Wenn man im Homeoffice sitzt, ist der Porno nur zwei Klicks entfernt«, sagt er im Videocall. »Niemand anderes sitzt mit im Büro, da ist man deutlich stärker verleitet.« Sein Konsum, sagt der 34-jährige Jurist, korreliere mit den Corona-Beschränkungen: »Je länger der Lockdown dauert, umso mehr Pornos schaue ich.«

Kozalla ist bei Weitem kein Einzelfall. Nur wenige Pornoseiten veröffentlichen ihre Zugriffszahlen. Doch die Daten, die der SPIEGEL recherchiert hat, zeigen, dass der Pornokonsum seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie stark gestiegen ist.

Der Branchenriese Pornhub hatte nach eignen Angaben zwischen März und Juli 2020 täglich bis zu 26 Prozent mehr Klicks aus Deutschland als in der Zeit vor Corona.

Erika Lust, Produzentin feministischer Pornos, teilt mit, dass ihre Kunden seit Beginn der Pandemie im Schnitt 20 bis 30 Prozent mehr Zeit auf ihren Webseiten verbringen. Aus Deutschland hatte Lust im März 2020 um zwölf Prozent mehr Aufrufe als im März 2019. Für die 44-Jährige ist der Anstieg keine Überraschung: »Pornos schauen ist großartig, um die Sorgen zu vergessen, die wir alle gerade haben.«

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Auch OnlyFans wächst stark, für 2020 wurde ein Umsatz von zwei Milliarden Dollar prognostiziert. Auf der Onlineplattform können Anbieter zahlenden Abonnenten unter anderem Erotikinhalte zur Verfügung stellen. OnlyFans ist wie Instagram und TikTok, nur dass Nacktfotos explizit erlaubt sind, und manche Inhalte Geld kosten. OnlyFans berichtet von einer »enormen Zunahme der Anmeldungen«. Im März 2020 hatte die Plattform nach eigenen Angaben noch 24 Millionen Nutzer und 500.000 aktive Uploader. Im Januar 2021 hat sich die Nutzerzahl fast vervierfacht: Inzwischen nutzen 91 Millionen Menschen das Portal, eine Million bieten dort exklusive Inhalte an.

Corona-Schnäppchen für Einsteiger

Mitunter wurden die neuen Nutzer auch gezielt mit Corona-Schnäppchen geködert. Pornhub etwa bot im ersten Shutdown seinen Premiumzugang für einen Monat kostenlos an. Auch Jan-Phillip Kozalla nutzte das Angebot von Pornhub damals. »Es war geschicktes Marketing«, sagt er zehn Monate später.

»Es gab viele Discounts auf Pornoseiten«, sagt Madita Oeming, »das hat sicherlich in den Anstieg mit reingespielt.« Die Kulturwissenschaftlerin promoviert im Fachbereich »Porn Studies« an der Universität Paderborn. Einen weiteren Grund für den Anstieg der Porno-Aufrufe sieht Oeming darin, dass andere Formen sexueller Befriedigung während der Pandemie schwieriger zugänglich sind. »Menschen sind räumlich getrennt von ihren Partnern, Dating ist massiv erschwert.« Die Bars und Klubs sind geschlossen. Prostitution durch die Corona-Maßnahmen de facto verboten. »Da ist Masturbation zu Pornografie eine einfache, immer verfügbare Alternative.«

Ein weiterer Faktor sei ganz einfach Langeweile: »Gerade im ersten Lockdown hatten viele Menschen auf einmal sehr viel Zeit.« Außerdem suchen viele nach Glückshormonen, dem guten Gefühl nach dem Orgasmus. Umgeben von Nachrichten zu Virusmutanten, Lockdown-Verlängerung und drohenden Pleitewellen biete Pornografie da eine kleine Ablenkung. »Essen und Masturbation sind zwei zentrale Quellen von Glückseligkeit, die uns auch der Lockdown nicht nehmen kann«, sagt Wissenschaftlerin Oeming.

Auch Jan-Phillip Kozalla lenkt sich während der Pandemie mit Pornos ab. Kozalla ist Single, er hält sich an die Corona-Regeln, trifft sich mit viel weniger Menschen als früher. »Früher habe ich viel gedatet«, sagt er. Er vermisse nicht nur den Sex. Ihm fehlen Berührungen, Zärtlichkeit. Wenn Kozalla jetzt Pornos schaut, achtet er auf das Vorspiel, das Streicheln und Küssen. »Die Darstellerinnen sind die gleichen, aber der Fokus verschiebt sich«. Ihm fehlen die Spieleabende mit seinen Freunden, die Umarmung zur Begrüßung.

Neue Fantasie: Sex im Homeoffice

Pornoforscherin Oeming erzählt von sogenannten »Custom-made Porn«, Sexfilmen, die nach Wünschen von zahlenden Kunden produziert werden. Eine Darstellerin habe berichtet, dass sie vermehrt Anfragen bekomme, Homeoffice-Sex und Masturbieren während Videokonferenzen zu spielen. Für Oeming ist das ein Hinweis darauf, dass die Pandemie ihren Weg in die sexuellen Fantasien vieler Menschen gefunden hat. »Das ist naheliegend, weil sich die Realität vieler Menschen stark verändert hat.«

Auch der Alltag von Pornodarstellerinnen und -darstellern hat sich radikal gewandelt. Die Produzentin Erika Lust berichtet, dass die Aufrufe ihrer Pornos zwar gestiegen, doch ihren größtenteils selbstständigen Darstellern durch die Drehstopps alle Einnahmen weggebrochen sind: »Viele von ihnen befinden sich in ernsthaften Notlagen.« Vielleicht erklärt auch das den Aufstieg von Plattformen wie OnlyFans, auf denen sich Darsteller nun direkt an ihr Publikum wenden können.

Jan-Philipp Kozalla würde mit seinen Lieblingsdarstellerinnen inzwischen am liebsten ein Bier trinken gehen. »Durch Corona habe ich gemerkt, dass der soziale Kontakt für Menschen das Essenzielle im Leben ist«, sagt er. Solange das noch nicht geht, wird er weiter mehr Pornos schauen als früher. »Je mehr man dafür sorgt, dass das kein Tabu mehr ist, umso besser.«

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