Prostitution Chinas sinnloser Kampf gegen den Sex
Hamburg - Eine Weile lief alles gut. Die Mädchen strippten, die Besucher kamen, die Polizei schwieg. Doch das einträchtige Leben in einem Rotlichtviertel von Luzhou in der südwestchinesischen Provinz Sichuan fand vergangene Woche ein jähes Ende: Die Behörden schlossen das Etablissement, verhafteten fünf Hauptverdächtige und brachten sie für bis zu zwölf Jahre hinter Gitter.
Die Begründung des Gerichts: Weil sie nahe eines Mausoleums Sex angeboten hätten, sei die "patriotische Erziehung" der Touristen gefährdet gewesen. Prostitution schade der pädagogischen Wirkung von Denkmälern für Revolutionäre, so der vorsitzende Richter. Polizisten und Behördenmitarbeiter, die in diesem Zusammenhang Bestechungsgelder angenommen hätten, seien bereits verurteilt worden, hieß es.
Dass örtliche Beamte Liebesdienste von Prostituierten nicht nur schweigend tolerieren, sondern auch selbst in Anspruch nehmen, ist in der Volksrepublik kein Geheimnis. Doch mancher Behördenvertreter investiert auch öffentliche Gelder in sein privates Vergnügen: In China ist es Usus, dass niedere Beamte ihre Vorgesetzten mit der kostenlosen Bereitstellung von Sex-Dienstleistungen umgarnen - und das immer häufiger auf Staatskosten.
Pech hat, wer bei einer der zahlreichen Razzien erwischt wird. Im Jahr 2003 wurden zwei Angestellte eines Nobelhotels in der Küstenstadt Zhuhai zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie sollen eine Sex-Orgie organisiert haben, bei der sich 400 Japaner fast eine Woche lang mit mehr als 500 chinesischen Liebesdienerinnen vergnügt hatten. Zwölf weitere Angeklagte wanderten für bis zu 15 Jahre hinter Gitter - die japanischen Geschäftsleute kamen mit dem Schrecken davon.
Nicht immer bleibt es bei langjährigen Haftstrafen: Im Zuge einer Verhaftungswelle zu Beginn der neunziger Jahre wurde ein Zuhälter-Paar in Wenzhou in der Provinz Zhenjiang zum Tode verurteilt, weil es mehrere Bordelle betrieben hatte. In Peking war bereits 1988 ein 55-Jähriger hingerichtet worden, weil er Prostituierten die Büros eines Krankenhauses zur Verfügung gestellt hatte.
Gesetz ist wenn man's trotzdem macht
Mit bisweilen skurrilen Maßnahmen versuchen die Behörden, den ideologiekonformen Kampf gegen die käufliche Liebe voranzutreiben: So erließen die Behörden im südchinesischen Guangzhou Anfang des Jahres eine Verordnung, nach der es Masseurinnen in Schönheitssalons untersagt ist, ihre Kunden unterhalb der Schulter zu massieren.
Hausbesitzer in Peking müssen seit einer Woche einen "Sicherheitsvertrag" mit der örtlichen Polizei unterschreiben und in Zukunft kontrollieren, welchem Geschäft ihre Mieter nachgehen. Sollte der Vermieter es versäumen, Prostitution oder illegalen Handel jeder Art bei den Behörden anzuzeigen, drohen Geldstrafen in Höhe von bis zu zehn Monatsmieten.
Auch der Koberei soll jetzt der Garaus gemacht werden: Im März 2006 tritt ein vom Volkskongress verabschiedetes Gesetz in Kraft, wonach jeder, der in der Öffentlichkeit Kunden für sexuelle Dienste wirbt, mit einer Bußgeld- oder Gefängnisstrafe von bis zu fünf Tagen bestraft werden kann.
Von Vibratoren und virtuellen Bordellen
Trotz sozialer Kontrolle und intensiv ermittelnder Behörden ist das rasante Wachstum der Prostitution im Land offenbar nicht zu stoppen. In den Hinterzimmern von Friseurläden, Massagesalons oder Karaoke-Klubs tummeln sich grell geschminkte Liebesdienerinnen in hautengen Outfits, wachen wenig zimperliche Zuhälter über deren Einnahmen. Auf sechs Millionen wird die Zahl der Sex-Dienstleisterinnen in China geschätzt. Und die erwirtschaften schon heute weit über drei Milliarden Euro, schätzen Vertreter des Uno-Gesundheitsprogramms Unaids.
Längst haben umtriebige Chinesen das Geschäft mit der Lust für sich entdeckt. Gab es noch 1993 lediglich einen einzigen Sex-Shop in Peking, können Kunden heute unter geschätzten 2000 Läden für "Erwachsenengesundheit" wählen. Für Nachschub ist gesorgt: Die verruchten Spielzeuge werden in der Volksrepublik selbst hergestellt - früher für den Export, heute vermehrt für den heimischen Markt.
So feiere die "Shaki"-Fabrik in Shenzhen mit der Herstellung "riesiger pinkfarbener Vibratoren" und Plastik-Vaginas wahre "Produktionsorgien", witzelte der britische "Guardian". Bevor Shaki-Gründer Fang Hong sein Unternehmen im Jahr 1995 starten konnte, habe er bei 36 verschiedenen Behörden Erlaubnisse einholen müssen, berichtet die Zeitung. Jetzt allerdings verzeichne Hong Wachstumsraten von mehr als 20 Prozent im Jahr - und liegt damit voll im Trend: Landesweit werden die Zuwächse auf 30 Prozent geschätzt.
Trotz massiver staatlicher Zensur boomt das Geschäft auch in den neuen Medien. Im Dezember nahm die Polizei 29 Verdächtige fest, weil sie auf einer Website Callgirls in 20 chinesischen Provinzen vermittelt hatten. Bei "Playchina" waren zu diesem Zeitpunkt bereits 15.700 User registriert, die Zugang zu 65.000 Fotos hatten.
Bereits Ende des Jahres soll die Zahl der chinesischen Internet-Nutzer bei 134 Millionen liegen - die Volksrepublik ist damit schon jetzt der weltweit zweitgrößte Markt nach den Vereinigten Staaten. Und die Regierung ist sich der Macht des Instruments bewusst: Erst am Sonntag erließen Staatsrat und Informationsministerium eine neue Verordnung, wonach in Zukunft ausschließlich "gesunde und zivilisierte Nachrichten und Informationen, die der Verbesserung der Qualität der Nation dienen" den Weg zum User finden sollen. In den Internet-Cafes von Shanghai wurden zu diesem Zweck bereits Überwachungskameras installiert.
Wo das Reich der Mitte im Schatten versinkt
Nicht alle Chinesinnen, die ihren Körper verkaufen, sind mittellos, ungebildet und wurden von skrupellosen Menschenhändlern auf dem Land rekrutiert. Es gibt sie, die klugen, schönen und lebenshungrigen Huren, die in der Prostitution einen Weg sehen, zu Wohlstand zu kommen. Aber sie sind nicht die Mehrheit.
Selbst die "Ernai", die traditionellen Zweitfrauen, profitieren nur selten von ihrem angeblich privilegierten Status. Sie sind in der Regel nur einem Mann zu Diensten und werden von diesem für eine gewisse Zeit finanziell unterstützt. Mit dem Ende der Beziehung gleiten viele dieser Frauen jedoch in die Prostitution ab.
Der vorrevolutionäre Brauch des Brautverkaufs erlebt seine Renaissance in den hässlichsten Varianten: So wurde erst im Juli eine Frau in der Provinz Jiangsu festgenommen, weil sie die Unschuld ihrer 17-jährigen Tochter für umgerechnet 100 Euro an einen Geschäftsmann verkauft hatte.
Bis zum Beginn der achtziger Jahre fand in China praktisch keine sexuelle Aufklärung statt. Doch die steigende Zahl von Teenager-Schwangerschaften, Vergewaltigungen und Jugendkriminalität alarmierte die Behörden. Bis 1988 erhielten die Schüler aller Mittelschulen Aufklärungsunterricht - der beschränkte sich allerdings vor allem auf die Weitergabe von praktischen Tipps in Sachen Empfängnisverhütung.
"Sie denken, wir seien Polizisten"
Die Folgen der jahrzehntelangen Desinformation sind unübersehbar: Offiziell sollen 840.000 Menschen in China HIV-positiv, 80.000 an Aids erkrankt sein - die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher. Mit jährlichen Zuwachsraten von 30 Prozent rechnen die Vertreter von "China Aids Survey".
Auch Prostituierte sind sich inoffiziellen Umfragen zufolge des Risikos einer HIV-Übertragung nur selten bewusst. Der Gebrauch von Präservativen wird dadurch erschwert, dass die Polizei bei Razzien Kondome als Beweismittel für illegale Prostitution ansieht. Zudem verdienen die Frauen mit ungeschütztem Sex bis zu 60 Prozent mehr, heißt es in Studien des Uno-Gesundheitsprogramms Unaids.
Aids-Aufklärer berichten von großen Schwierigkeiten, Zugang zu den Risikogruppen zu finden. "Es ist schwer, das Vertrauen von Prostituierten zu gewinnen. Sie denken, wir seien verdeckt ermittelnde Polizisten", erklärte Gynäkologin Tan Meirong aus der Provinz Guangxi Zhuang der unabhängigen "China Aids Info".
Zwar hat die Regierung ihre Haltung zur HIV-Prävention angesichts steigender Infektionsraten geändert. Ein Ende des sündhaften Gewerbes ist jedoch nicht in Sicht. Im Gegenteil: Weil Abtreibungen und Säuglingstötungen im Zuge der Ein-Kind-Politik die Zahl der weiblichen Chinesen drastisch reduziert hat, rechnen Experten damit, dass schon in 15 Jahren etwa 40 Millionen Chinesen keine Frauen mehr finden werden. Und das sind 40 Millionen potentielle Kunden.