Sexarbeit in Österreich Vom Straßenstrich zum Laufhaus
Wer vom Westen über die Autobahn nach Wien kommt, der kann ihn sehen, den Müll auf der Wiese neben dem Lkw-Parkplatz: gebrauchtes Klopapier, Taschentücher, Kondome. Es sind Hinterlassenschaften der Dutzend Frauen, die hier in Auhof stehen und darauf warten, dass sie für 20 oder 30 Euro auf den Rücksitz eines Fremden klettern können. Eine Toilette steht den Prostituierten hier nicht zur Verfügung, geschweige denn eine Dusche.
Im letzten Jahr organisierte eine Bürgerinitiative in Wien Fackelzüge gegen den Straßenstrich in Wohngebieten. Es folgte ein neues Gesetz, das im November 2011 in Kraft trat und Sicherheit für die Frauen und Ruhe für die Anwohner bringen sollte. Seither ist der Straßenstrich nur mehr an zwei Orten Wiens erlaubt: in Abschnitten in Auhof und im Wiener Prater. Im Rest der Stadt, wo er zuvor in einigen Zonen möglich war, wurde er ganz verboten. NGO kritisieren, die Lage für die Frauen hätte sich seither verschärft.
Ein Abend in den Seitenstraßen des Wiener Praters: Alle paar Meter stakst ein junges Mädchen in Hotpants den Gehsteig entlang, beugt sich zu den vorbeirollenden Autos hinunter, lächelt verkrampft hinein; immer unter den Argusaugen von Halbstarken, die sich breitbeinig in der zweiten Reihe hinter den Kastanienbäumen postiert haben.
Das neue Gesetz habe neue starke Männer nach Wien gebracht, heißt es in der Szene. Viele der Frauen, die vorher keinen "Beschützer" hatten, brauchen jetzt einen. Der sorgt dafür, dass sich nicht noch mehr billige Konkurrentinnen aus dem Osten auf dem begrenzten Platz drängeln. Gegen Schutzgeld, versteht sich. Handfeste Konflikte stehen auf der Tagesordnung.
Für das Geschäft gehen die Prostituierten mit dem Freier meistens ins Parkhaus, in der Nähe gibt es nur ein einziges erlaubtes Stundenhotel, das aber bereits im Sperrgebiet steht. Laut Gesetz dürfen sie mit dem Kunden zwar dorthin fahren - verlassen sie anschließend das Lokal ohne Begleitung, laufen sie aber Gefahr, wegen "Anbahnung im Wohnbereich" bestraft zu werden. "Alleine, dass sie als Prostituierte polizeilich registriert sind, reicht für eine Anzeige aus", schildert Christian Knappik von der Plattform Sexworker.at, die vor allem von Professionellen betrieben und genutzt wird. In den vergangenen Monaten habe es fast täglich Razzien rund um den Prater gegeben.
Viele Pflichten, wenig Rechte
Auch an diesem Abend stehen fünf Polizisten mit einem Bus vor der Tür des Lokals, sie kontrollieren jedes Mädchen. "Auf Wunsch der Anwohner", sagt einer von ihnen. Mehr als 3000-mal wurden Wiener Prostituierte in einem Jahr angezeigt, die Strafen liegen zwischen 300 und 1600 Euro. Auch Freier können neuerdings belangt werden, allerdings zahlen sie nur 100 Euro.
Die Grünen wollten die Freierstrafe auf keinen Fall im Gesetz haben, sie befürchteten eine Verdrängung der Frauen in isolierte Gegenden. Jetzt wird die Maßnahme ein Jahr lang getestet. Im Sommer verschärfte die Polizei auf Druck der Bezirkspolitiker die Einschränkung noch weiter, seither dürfen die Frauen im Prater nur noch nachts anschaffen. Und auf die von der rot-grünen Stadtregierung versprochenen Extra-Zonen, zusätzlich zum Prater und zu Auhof, warten sie bis heute vergeblich - kein Bezirkspolitiker wagt es, den Bürgerzorn auf sich zu ziehen.
In Österreich regeln die neun Bundesländer Prostitution größtenteils auf Landesebene. Am strengsten ist es im westlichen Vorarlberg, wo es bis heute kein einziges bewilligtes Bordell gibt, nur illegale. Ein "de-facto-Verbot der Prostitution", heißt es dazu in einem Bericht des Bundeskanzleramtes. In Salzburg ist der Straßenstrich schon seit Jahren verboten, Verwaltungsstrafen betragen bis zu 10.000 Euro, 20.000 im Wiederholungsfall.
Bis zum April dieses Jahres galt Prostitution in ganz Österreich zwar grundsätzlich als legal, das Geschäft mit sexuellen Dienstleitungen jedoch als sittenwidrig. Prostituierte konnten sich bis dahin trotzdem schon registrieren lassen: Sie müssen mindestens 18 Jahre alt sein, eine Aufenthaltsbewilligung haben und sich wöchentlich von einem Amtsarzt untersuchen lassen.
Doch wegen der Sittenwidrigkeit konnten Prostituierte ihren Lohn weder einklagen, wenn sich ein Freier ohne zu zahlen aus dem Staub machte, noch angestellt werden. Dass der Oberste Gerichtshof die Klausel aufhob, änderte nicht viel - im Gegenteil: Beratende NGO und Vereine kritisieren unisono, dass Sexarbeiterinnen weiterhin als Scheinselbstständige geführt werden - viele Pflichten, wenig Rechte.
Sie zahlen Sozialversicherung und Einkommensteuer, die Möglichkeit, Dienstverträge abzuschließen, bleibt ihnen jedoch verwehrt, weil Sexarbeit als Gewerbe nicht anerkannt ist. Birgit Hebein von den Grünen hat das Gesetz mitverhandelt. Die Aufhebung der Sittenwidrigkeit sei ein wichtiger, aber nur symbolischer Schritt gewesen. "Es fehlen sämtliche rechtliche Konsequenzen aus dem Urteil."
Die Angst der Politiker ist groß, eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland zu begünstigen, wo die Flatrate-Puffs mit dem Fall der Sittenwidrigkeit ab 2001 wie Pilze aus dem Boden schossen.
"Das Gesetz fördert die Illegalität"
Die zuständige Wiener Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) macht keinen Hehl daraus, dass sie Prostitution am liebsten verbieten würde. Jede Art der Regelung sei ein Bekenntnis zur Ausbeutung, sagt Frauenberger. "Das ist eine einzige Gratwanderung." Immer wieder betont sie, dass sich die Sexarbeit zumindest nach "indoor" verlagern muss, wo es sicherer sei für die Frauen.
Die Stadt meint, auch dafür die Voraussetzungen geschaffen zu haben: Seit dem 1. November brauchen auch Bordelle in Wien eine Genehmigung, zuvor handelte es sich um geduldeten Wildwuchs mit wenigen Auflagen. Von den etwa 450 Lokalen haben bisher nur rund 40 die Bewilligung bekommen, alle anderen müssten theoretisch zumachen.
Umso erstaunlicher war die Nachricht, dass einige Rotlichtgrößen für 15 Millionen Euro "Europas größtes Laufhaus" vor den Toren Wiens planen: Rund um die Uhr sollen "80 bis 120 Damen" dem Freier auf tausend Quadratmetern zur Verfügung stehen. Werner Schmuck ist der Gesellschafter des Fun-Motels, der Standort wird noch geheim gehalten. "Um keinen Ärger mit Bürgerinitiativen zu bekommen", sagt der Geschäftsmann, der schon in einige andere Etablissements in Österreich investiert hat.
Bis Januar 2014 soll das Mega-Laufhaus stehen, die Prämie auf das Grundstück ist bereits bezahlt. Für das Zimmer sollen die Frauen bei ihm etwa hundert Euro am Tag bezahlen, ein durchaus üblicher Preis.
Seit dem neuen Prostitutionsgesetz haben sich in Wien 400 Frauen mehr als im Vorjahr registrieren lassen. Mittlerweile sind es fast 3000, in ganz Österreich rund 6500, die Dunkelziffer ist mindestens doppelt so hoch. "Das Gesetz fördert die Illegalität", sagt Knappik. Zunehmend mehr Frauen würden sich für verbotene Prostitution in der Wohnung oder als Escort-Girl entscheiden, bevor sie ins Bordell gehen und viel Geld dafür bezahlen.
Für Knappik von Sexworker.at ist die Tendenz zu Bordellen ohnehin keine gute: "Die meisten Frauen schlafen wochenlang dort, die Kosten sind enorm und treiben die Frauen in eine Kettenschuld."