Räumung der Sperrzone Japans Regierung setzt Fukushima-Anwohnern Ultimatum

Notunterkunft nahe Fukushima: Flüchtlinge suchen sich Klamotten heraus
Foto: Sergey Ponomarev/ APTokio - Die Menschen stehen vor dem Nichts: Binnen fünf Wochen müssen rund 10.500 Bewohner mehrerer Städte nahe Fukushima ihre Häuser verlassen. Die japanische Regierung forderte die Bürger ultimativ auf, drei Orte außerhalb der 20-Kilometer-Sperrzone zu räumen. Die Bürger von Iitate, Katsurao, Namie und teilweise auch Kawamata und Minamisoma hätten dafür bis Ende Mai Zeit, sagte Regierungssprecher Yukio Edano.
Die Regierung weitet damit die 20-Kilometer-Sperrzone faktisch aus. Dort mussten schon etwa 80.000 Überlebende des Tsunamis vor sechs Wochen vor der Radioaktivität fliehen. Außerdem legten die Behörden einen vorläufigen Grenzwert für die Strahlenbelastung an Schulen fest.
Schulen und Spielplätze dürfen demnach nur aufgesucht werden, solange die Strahlendosis unter freiem Himmel nicht mehr als 3,8 Mikrosievert pro Stunde beträgt, berichtet die japanische Nachrichtenagentur Jiji Press. Wenn sich ein Mensch bei diesem Strahlenwert jeden Tag acht Stunden lang draußen aufhält, sammelt er nach Regierungsangaben binnen Jahresfrist eine Radioaktivität von rund 20 Millisievert an - zur Erklärung siehe den Kasten:
Von Sievert bis Becquerel: Kleines Lexikon der Strahlenmessung
Eine Substanz ist dann radioaktiv, wenn sie zerfällt und dabei Strahlung aussendet. Um anzugeben, wie stark eine radioaktive Substanz strahlt, benutzt man den Begriff der Aktivität (A). Sie wird in Becquerel (Bq) gemessen und gibt die Strahlung an, die eine Substanz innerhalb einer bestimmten Zeit durch Zerfall erzeugt. Per Definition entspricht ein Becquerel einem Zerfall pro Sekunde. Je schneller eine Probe zerfällt, desto intensiver strahlt sie also.
Weiß man, wie stark eine radioaktive Substanz strahlt, sagt das noch nichts darüber aus, wie sich die Strahlung auf den Körper auswirkt. Dafür ist es wichtig zu bestimmen, wie viel Energie von einer bestimmten Masseneinheit des Körpers absorbiert wird. Angegeben wird die absorbierte Energiedosis (D) in der Einheit Gray (Gy), wobei ein Gray der Energiemenge von einem Joule pro Kilogramm entspricht.
Um die biologische Wirksamkeit der radioaktiven Strahlung auf den Körper anzugeben, benutzt man anstelle der Energiedosis den Begriff der Äquivalentdosis (H). Sie berücksichtigt die Tatsache, dass verschiedene Arten von Strahlen ganz unterschiedliche Wirkungen auf den Körper haben. So ionisiert Alphastrahlung bei weitem mehr Moleküle als etwa Betastrahlen - und richtet deshalb eine größere Zerstörung im Körper an. Daher wird jede Strahlungsart mit Hilfe einer physikalischen Größe gewichtet, dem sogenannten Strahlenwichtungsfaktor. Gemessen wird die Äquivalentdosis in Sievert (Sv). Sie ergibt sich aus der Multiplikation der Energiedosis mit dem Strahlenwichtungsfaktor. 1 Sievert (Sv) sind 1000 Millisievert (mSv). 1 Millisievert sind 1000 Mikrosievert (µSv).
Um die Auswirkungen von radioaktiver Strahlung auf den Körper genauer einschätzen zu können, ist es wichtig zu wissen, wie lange eine bestimmte Dosis auf den Körper einwirkt. Daher wird die Strahlenbelastung meist in Sievert pro Zeiteinheit gemessen. Also etwa Millisievert pro Jahr oder Mikrosievert pro Stunde. Die durchschnittliche natürliche Strahlenbelastung liegt in Deutschland bei 2,1 Millisievert pro Jahr, also 0,24 Mikrosievert pro Stunde. Im Schnitt kommen zwei Millisievert pro Jahr durch künstliche Quellen von Radioaktivität hinzu. Den Löwenanteil dazu steuert die Medizin bei.
Die Strahlenbelastung von Böden oder in Lebensmitteln etwa wird in Becquerel pro Quadratmeter oder Becquerel pro Kilogramm angegeben. Doch was bedeutet dieser Wert für die Auswirkungen auf den Körper? Um eine Beziehung zwischen Aktivität und Äquivalentdosis herstellen zu können, gibt es den sogenannten Dosiskonversionsfaktor. Er hängt unter anderem von der Art der Strahlung und der radioaktiven Substanz ab, sowie von der Art, wie die Strahlung in den Körper gelangt (Inhalieren, Aufnahme durch die Nahrung). So entspricht die Aufnahme von 80.000 Becquerel Cäsium 137 mit der Nahrung einer Strahlenbelastung von etwa einem Millisievert. Der Verzehr von 200 Gramm Pilzen mit 4000 Becquerel Cäsium 137 pro Kilogramm hat beispielsweise eine Belastung von 0,01 Millisievert zur Folge. Das lässt sich mit der Belastung durch Höhenstrahlung bei einem Flug von Frankfurt nach Gran Canaria vergleichen.
Nach der Tschernobyl-Katastrophe hatte die EU Grenzwerte für den Import von Lebensmitteln aus jenen Ländern geregelt, die durch das Atom-Unglück kontaminiert wurden. Zusätzlich hat die EU am 26. März 2011 weitere Grenzwerte für Importe aus Japan festgelegt - die Grenzen wurden jedoch als zu lasch kritisiert. Am 8. April reagierte die EU - und passte die Grenzen an japanische Normen an. Für Cäsium 134 und Cäsium 137 gilt künftig bei Lebensmitteln ein Grenzwert von 500 Becquerel pro Kilogramm. Bei Säuglings- und Kindernahrung senkte Brüssel den Grenzwert für Cäsium von 400 auf 200, für Jod von 150 auf 100 Becquerel.
Die Pläne für den Wiederaufbau gehen derweil voran: Auf die japanischen Steuerzahler dürften dabei enorme Kosten zukommen. Das Kabinett von Ministerpräsident Naoto Kan einigte sich auf einen Nachtragshaushalt in Höhe von 4,02 Billionen Yen (33,4 Milliarden Euro). Neue Schulden sollen jedoch vermieden werden.
Die Sperrzone um die Atomruine trat um Mitternacht (Ortszeit) in Kraft. Das Gebiet im Umkreis von 20 Kilometer um das zerstörte AKW herum darf jetzt nur noch mit staatlicher Genehmigung betreten werden. Derweil versucht Japan, die Auswirkungen der Katastrophe auf die Wirtschaft einzudämmen. So lässt der Staat ab dem kommenden Donnerstag seine Überseeschiffe und Container auf radioaktive Strahlen untersuchen, um Befürchtungen im Ausland auszuräumen, wie Transportminister Akihiro Ohata am Freitag sagte.
Bis Ende Mai 30.000 vorübergehende Unterkünfte
Hart getroffen von den Folgen des Erdbebens und Tsunami wurde auch die Autoindustrie. Der weltgrößte Autobauer Toyota rechnet erst gegen November oder Dezember mit einer Normalisierung der Produktion. In dieser Woche war die Fertigung an allen Standorten in Japan wieder angelaufen, allerdings vorerst nur mit halber Auslastung. Es fehlen immer noch Teile von Zulieferern. Toyotas eigene Teilewerke fielen ebenfalls vorübergehend aus. Das bremst auch die Produktion im Ausland.
Um den Wiederaufbau voranzutreiben, will die Regierung den Entwurf für den geplanten Nachtragshaushalt am nächsten Donnerstag dem Parlament vorlegen. Der Etat soll voraussichtlich am 2. Mai verabschiedet werden. Damit will der Staat unter anderem die Beseitigung von Trümmern, den Wiederaufbau von Straßen und Häfen sowie die Errichtung von Behelfshäusern finanzieren, hieß es. Kan erklärte nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo, man wolle bis Ende Mai 30.000 vorübergehende Unterkünfte errichten.