Rechtsextremismus Im rechten Winkel der Republik

25.000 Rechtsextremisten gibt es in Deutschland, 9500 von ihnen gelten als gewaltbereit: Der braune Kern ist nicht mehr als eine gesellschaftliche Splittergruppe - doch seine Ansichten sind bei vielen salonfähig. Wie verwurzelt ist Rechtsextremismus in Deutschland? Eine Bestandsaufnahme.
Neonazi-Kundgebung (Archivfoto) mit Polizeischutz: Harter Kern von 9500 Gewaltbereiten

Neonazi-Kundgebung (Archivfoto) mit Polizeischutz: Harter Kern von 9500 Gewaltbereiten

Foto: dapd

Hamburg - Zwei Männer, eine Frau, einige Helfer - und eine Gesinnung, die den Tod des erklärten Gegners zum Ziel hat, das Töten selbst als Ideologie verklärt und das Morden höhnisch inszeniert. Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt lebten für das Töten. Sie waren es, die festlegten, welches Leben lebenswert war - und welches ausgelöscht gehörte. Sie suchten keine Öffentlichkeit für ihre Taten, die Gesinnung war ihnen offenbar Ansporn genug, der Rechtsextremismusforscher Hajo Funke spricht von der "Propaganda der Tat".

Politischer Irrsinn gepaart mit individueller Psychopathologie, so scheint es. Was aber weiß man über Terroristen?

Eine 2010 veröffentlichte Studie im Auftrag des Bundeskriminalamts hat die Biografien extremistischer Gewalttäter untersucht. Das Fazit: Ideologien - egal welcher Art - bieten den Anhängern Orientierung und stellen so eine Unterstützung im Alltagsleben dar. Ausgangspunkt ist somit meist ein Defizit, eine Unsicherheit.

Das familiäre Umfeld spielt eine entscheidende Rolle, kaum einer der untersuchten Täter stammt aus einem intakten Elternhaus. Der Erklärungsansatz ist so simpel wie einleuchtend: Wer bei Mutter und Vater nicht die nötige Nähe und Anerkennung erfährt, sucht sie andernorts. Die meisten Extremisten haben mit ihrem Elternhaus gebrochen, die Clique ersetzt irgendwann die Familie, was auch den besonderen Zusammenhalt innerhalb der Gruppierungen erklärt. So war es offenbar auch bei Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos.

Die Wissenschaftler unter der Leitung von Saskia Lützinger fanden ebenfalls heraus, dass eine Radikalisierung meist mit einer besonderen Selbstinszenierung einhergeht: Je brutaler das Vorgehen, desto mehr wird es gefeiert, desto mehr feiert man sich selbst.

Im Fall des Zwickauer Trios belegt das 15-minütige Bekennervideo auf bedrückende Weise den Geltungsdrang der Täter. Mit großer Akribie haben sie ihre Taten in Szene gesetzt, sie mit den heiter-harmlosen Szenen von Paulchen Panther dramaturgisch verschränkt, die Medienwirkung vorweggenommen und die Opfer so verhöhnt.

Die nun bekannt gewordenen Morde sind die Taten dreier Extremisten. Doch wie steht es insgesamt um den Rechtsextremismus in Deutschland?

Wie viele Rechtsextremisten gibt es in Deutschland?


Ende 2010 gab es in Deutschland laut Verfassungsschutz 25.000 Rechtsextremisten, nur ein Teil von ihnen war in Gruppierungen organisiert. Angesichts einer Bevölkerung von knapp 82 Millionen Menschen in Deutschland ein verschwindend geringer Anteil von 0,03 Prozent. Ihre Bedeutung ist jedoch offenbar ungleich größer.

Wie groß ist die Gruppe der gewaltbereiten Rechten?


Von etwa 25.000 rechtsextremen Personen in Deutschland gilt mehr als ein Drittel (9500) als gewaltbereit. Unter den Rechtsextremen steigt laut Verfassungsschutz der Anteil der besonders radikalen Neonazis - von 5000 im Jahr 2009 auf 5600 im Jahr 2010. Neonazis sehnen im Grunde das "Dritte Reich" zurück und streben als Gegenentwurf zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung einen ethnisch homogenen, diktatorischen Staat an.

Der Begriff Neonazismus werde in der Öffentlichkeit häufig als Synonym für Rechtsextremismus verwendet, obwohl er die Bandbreite rechtsextremistischer Bestrebungen nicht erfasse, heißt es in einer Definition des niedersächsischen Innenministeriums. Kurz gesagt: Jeder Neonazi ist zwar ein Rechtsextremist, aber umgekehrt nicht jeder Rechtsextremist ein Neonazi.

Der Verfassungsschutz warnt vor einer Radikalisierung der Szene: "Insgesamt lässt sich ein Anstieg des Gewaltpotentials sowie der Bereitschaft, Gewalt auch zur Durchsetzung der eigenen politischen Ziele einzusetzen, beobachten."

Laut dem Berliner Kriminalisten und Rechtsextremismusexperten Bernd Wagner gibt es in Deutschland vor allem kleinere Gruppen, "die daran arbeiten, terrorismusfähig zu werden" und sich zu Netzwerken zusammenschließen. Diese Zellen von zwei bis vier Personen agierten isoliert im Untergrund und versuchten häufig, sich Waffen und Sprengmittel zu beschaffen - um so einen Partisanenkampf gegen Ausländer zu führen und die Demokratie zu beschädigen.

Die Mehrzahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten rekrutiert sich laut Verfassungsschutz aus dem Bereich des Skinhead-, NS-Hatecore- und NS-Black-Metal-Spektrums. Besonders gewaltbereit seien Anhänger der sogenannten Autonomen Nationalisten - die dem Bericht zufolge am schnellsten wachsende neonazistische Strömung.

Diese oft jugendlichen Neonazis

  • orientieren ihr Äußeres am Kleidungsstil der linksradikalen Autonomen;
  • setzen Gewalt strategisch ein, sorgen so für Schlagzeilen, wie etwa 2008 in Hamburg;
  • bedienen sich geschickt sozialkritischer Argumentationen;
  • rekrutieren Nachwuchs durch Angebote für Jugendliche und setzen laut Verfassungsschutz auf "erlebnisorientierte Aktionen" - also Dinge, die erst einmal Spaß machen und vermeintlich unpolitisch erscheinen.

Wie viele Straftaten haben einen rechtsextremistischen Hintergrund?


2009 registrierten Verfassungsschützer 18.750 Straftaten mit rechtem politischem Hintergrund, im vergangenen Jahr waren es 15.905.

Darunter waren 762 Gewalttaten, die große Mehrheit davon Körperverletzungen (638). Die Ermittler zählten 285 explizit fremdenfeindliche Gewalttaten, in den meisten Fällen handelte es sich um Körperverletzungen.

Das Gewaltpotential war demnach in den fünf ostdeutschen Flächenländern am größten: Dort wurden im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Gewalttaten begangen. Die Statistik wird angeführt von Sachsen-Anhalt, gefolgt von Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.

Bei den sonstigen Straftaten, die nicht als Gewalttaten gezählt werden, waren Propagandadelikte (11.384), Sachbeschädigungen (1335) und anderes, etwa Volksverhetzung (2279), am häufigsten. Insgesamt ist die Zahl der rechtsextremen Straftaten 2010 im Vergleich zu 2009 um etwa 15 Prozent zurückgegangen.

Der Verfassungsschutzbericht weist für 2010 kein Tötungsdelikt aus; es soll lediglich sechs versuchte Tötungsdelikte mit rechtsextremistischem Hintergrund gegeben haben. Diese offizielle Bilanz ist allerdings zweifelhaft.

Nach Recherchen von "Tagesspiegel", "Zeit" und "Zeit Online" starben zwischen 1990 und 2009 in Deutschland 137 Menschen durch rechte Gewalt. Der Verfassungsschutz geht dagegen von nur 47 Todesopfern aus. Grund für die erhebliche Diskrepanz sind Mängel im Erfassungssystem und Versäumnisse der Ermittler, rechtsextrem motivierte Taten entsprechend zu erkennen - und sie als solche auszuweisen.

Die Amadeu-Antonio-Stiftung, die gegen Rechtsextremismus kämpft, spricht gar von 182 Todesopfern seit der Wiedervereinigung - die Ermordungen durch die nun aufgeflogenen mutmaßlichen Terroristen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe eingerechnet. In die Zählung eingeflossen sind alle Fälle, für die "glaubhafte Hinweise auf einen rechtsextremen oder rassistischen Hintergrund vorlagen".

Wie viele Personen sympathisieren mit der Szene?

Die Frage kann nicht gestellt werden, ohne dass ein weiterer Aspekt thematisiert wird: Wer kann eigentlich der Sympathisanten-Kategorie zugeordnet werden?

Menschen, die Morde gutheißen, das Vorgehen der Zwickauer Zelle schätzen - "nach den vergangenen Tagen dürfte es die in Deutschland kaum geben", sagt Eckhard Jesse, Extremismusforscher an der TU Chemnitz. Allein: Das bedeutet nicht, dass rechte Gruppen mit ihren Botschaft nicht auf offene Ohren stoßen. Rechtsextreme können sich eher auf diffuse Sympathien von Teilen der Bevölkerung stützen, sagt Jesse, "etwa in Form von Ressentiments gegen Ausländer".

Bei einem großen Teil der deutschen Bevölkerung muss von einem verfestigten rechtsextremem Denken ausgegangen werden, das von tagesaktuellen Einflüssen unabhängig ist - zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Mitte in der Krise", die von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Auftrag gegeben wurde.

Trotz teilweise hohen Zustimmungsraten zu Demokratiefeindlichkeit, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit und Sozialdarwinismus sei "Deutschland im internationalen Vergleich beim Rechtsextremismus kein Ausreißer nach oben", sagt Jesse. Dies gelte insbesondere für Wahlen, wo Parteien wie die NPD im Vergleich kaum eine Rolle spielten. "Bei rechtsextremen Subkulturen sieht es nicht so gut aus."

Wer sind die Sympathisanten?

Wie ist er also, der durchschnittsdeutsche Befürworter der rechten Szene? Männlich, wenig gebildet, beruflich nicht sonderlich erfolgreich, dem Rentenalter nahe, auf dem Land lebend. So lassen sich die Ergebnisse der Studie "Mitte in der Krise" der Friedrich-Ebert-Stiftung vereinfachen.

Demnach stimmen mehr Männer als Frauen rechtsextremen Aussagen zu, Personen mit geringem formalen Bildungsgrad häufiger als Personen mit hohem Bildungsabschluss, Arbeitslose eher als Erwerbstätige. Auf besonders große Sympathie stoßen rechte Ansichten demnach bei Personen, die älter sind als 60 Jahre.

Besonders im ländlichen Raum sei die Lage problematisch, sagt Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Gegenüber rechtsextremen Einstellungen gebe es dort keine kritische Haltung, sondern oftmals hohe Akzeptanz. Krüger sieht die Ursache dafür vor allem in der Bevölkerungsentwicklung: Junge Menschen, vorzugsweise mit hohem Bildungsgrad, würden wegziehen, "zurück bleiben Ältere und Bildungsbenachteiligte - daraus entsteht dann ein unheilvolles Milieu", sagt Krüger.

Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen

14 bis 30 Jahre 31 bis 60 Jahre über 60
Jahre
Erwerbs-
tätige
Arbeits-
lose
Männer Frauen
Befürwortung Diktatur 4,9 4,6 5,2 4,2 11,9 6,4 3,5
Chauvinismus 16,0 18,9 22,0 18 24,9 21,7 17,1
Ausländer-
feindlichkeit
22,6 24,7 32,7 23,2 37,2 28,5 25,2
Antisemitismus 7,1 7,9 10,2 7,6 10,8 9,7 7,3
Sozialdarwinismus 3,5 4,4 5,2 4,3 6,3 5,5 3,6
Verharmlosung Nationalsozialismus 3,3 4,0 4,6 3,6 8,2 5,1 3,1
Quelle: Studie "Die Mitte in der Krise" (2411 Befragte); Angaben in Prozent

Wie verbreitet sind rechte Ansichten?

In der Studie "Mitte in der Krise" wurde die Zustimmung zu verschiedenen Aussagen abgefragt, derer sich rechte Gruppen häufig bedienen.

Was also denken die Deutschen? Wie hoch ist die Zustimmung (die Angaben "stimme vollkommen zu" und "stimme überwiegend zu" wurden zusammengerechnet)?

  • Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen: 34,3 Prozent
  • Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet: 35,6 Prozent
  • Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen: 10,7 Prozent
  • Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten: 10,3 Prozent
  • Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert: 13,2 Prozent
  • Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen: 13,3 Prozent
  • Es gibt wertvolles und unwertes Leben: 10,8 Prozent

Der Extremismusforscher Eckhard Jesse von der TU Chemnitz gibt zu bedenken, dass Studien zur Einstellungsforschung grundsätzlich fehleranfällig sind: "Die Cleveren wissen sofort, welche Antworten sozial erwünscht sind" - und verbergen womöglich ihre wahre Gesinnung. Die Antworten von anderen würden dagegen wegen des unbedarftes Antwortverhaltens als rechtsextremistisch eingestuft, obwohl sie es möglicherweise gar nicht sind.

Wie zuverlässig sind die Angaben?


Statistiken zum Rechtsextremismus sind mit Skepsis zu betrachten: Zählweise und Definitionen beeinflussen stets die Ergebnisse. Zudem gibt es ein großes Dunkelfeld: Erfasst werden kann nur, was bekannt ist. Rechtsextremisten, die - wie die Zwickauer Zelle - im toten Winkel der Ermittler agieren, tauchen in keiner Statistik auf.

So heißt es im aktuellen Verfassungsschutzbericht, 2010 seien "in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar" gewesen. Dabei hatte die Zwickauer Terrorzelle zur dieser Zeit bereits mehr als zehn Jahre im Untergrund agiert - Anlass für heftige Kritik an der Arbeit der Verfassungsschützer. Der Bericht stellt lediglich lapidar fest: "Die Affinität von Rechtsextremisten zu Waffen und Sprengstoff bildet weiterhin ein latentes Gefährdungspotential, insofern sind Taten von Einzelaktivisten nicht auszuschließen."

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