Extremismusforscher über Sprache, Aussehen und Auftreten Woran erkennt man heute Rechtsradikale?

Pegida-Demonstrant in Dresden (Juni 2020): »Man kann sie nicht am Äußeren erkennen«
Foto: STRINGER/ AFP
Matthias Quent, Jahrgang 1986, ist politischer Soziologe mit den Schwerpunkten Radikalisierungs-, Rechtsextremismus- und Demokratieforschung. Seit 2016 ist er Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Die Forschungseinrichtung gegen Rechtsextremismus wird seit 2016 vom Freistaat Thüringen gefördert. Sein Buch "Deutschland rechts außen" ist SPIEGEL-Bestseller und wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung als "Das politische Buch 2020" ausgezeichnet.
SPIEGEL: Herr Quent, der rechtsradikale Anschlag von Hanau jährt sich am Freitag zum ersten Mal. Wie würden Sie die Ideologie des Täters genauer beschreiben?
Quent: Die Opferauswahl war rassistisch und völkisch-nationalistisch motiviert, das kommt auch im Pamphlet des Attentäters deutlich zum Ausdruck. Die Auswahl der Opfer entscheidet bei solchen Terrorakten, welche Botschaften an die angegriffenen Gemeinschaften und die Gesellschaft gesendet wird: Markierung, Angst, Ausgrenzung, Unterdrückung, Vernichtung. Die Ideologie des Täters war aber nicht konsistent in den Begriffen klassischer Ideologien im Sinne politischer Theorien, sondern durch krankhafte paranoide Vorstellungen und durch Verschwörungsdenken geprägt.
SPIEGEL: Wie hat sich der deutsche Rechtsradikalismus in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Quent: Der offene Neonazismus steht heute nicht mehr im Mittelpunkt. Am dynamischsten entwickelt sich die Strömung der sogenannten Neuen Rechten, welche die AfD in ein Sammelbecken für Rechtsaußen radikalisiert hat. Vordergründig distanziert man sich vom Nationalsozialismus und spricht nicht mehr von »Rasse«, aber konstruiert Identitäten und Kulturen in ähnlicher Art: als vererbbar, unveränderlich. Die Digitalisierung und Parlamentarisierung des Rechtsradikalismus verändert zudem die Gemengelage. Es werden rassistische, frauenfeindliche und antisemitische Positionen ohne Abgrenzung zu Neonazis und Reichsbürgern offen kommuniziert, andererseits gibt man sich nach außen zivilisiert.
SPIEGEL: Woran erkennt man Rechtsradikale denn heute?
Quent: Sie tragen Anzug und Hundekrawatte (lacht). Im Ernst: Man kann sie nicht am Äußeren erkennen. Auf rechtsradikalen Demonstrationen stehen die Hooligans, die Kampfsportler, die autonomen Nationalisten und Hipster-Nazis neben sogenannten besorgten Bürgerinnen und Bürgern. Im Bundestag sitzen sie im Hosenanzug oder mit Schlips. Es gibt verschiedene Subkulturen und Subszenen. Den meisten, die rechtsradikal denken oder handeln, sieht man das nicht an.
SPIEGEL: Spielt die Kleidung heute gar keine Rolle mehr?
Quent: Es gibt durchaus szenetypische Klamottenfirmen, zum Beispiel Phalanx Europe von den Identitären, die bei Neonazis beliebten Marken Ansgar Arian und Thor Steinar, zudem diverse Kampfsportlabels. Aber die Grenzen verschwimmen, rechte Stile haben sich ausdifferenziert. Mit Klischees oder Exotisierungen kommt man nicht weit und es besteht die Gefahr, davon abzulenken, dass das eigentlich gefährliche Potenzial aus der Gesellschaft heraus erwächst. Man muss vor allem auf Worte und Taten achten.
SPIEGEL: Wie meinen sie das?
Quent: Rechtsradikale nutzen heute Sprache, um bestimmte Gruppen zu entmenschlichen – es wird von »Invasoren« gesprochen statt von Flüchtlingen, so wie es das rechte »Compact«-Magazin als Strategie vorgegeben hat. Den Begriff hat man im Manifest des Attentäters in Christchurch 65-mal gelesen, das war im Jahr 2019. Das kann so interpretiert werden, als müsse man sich gegen die quasimilitärische Bedrohung einer Invasion gewaltsam zur Wehr setzen. Gewalt wird auch teils durch vermeintlich augenzwinkernder Humor normalisiert. Trotzdem finde ich es wichtig, zunächst nachzufragen oder zu argumentieren, bevor mit Stigmatisierungen gearbeitet wird.
SPIEGEL: Sie schreiben, physische Gewalt sei im Rechtsradikalismus zwangsläufig enthalten. Wieso?
Quent: Rechtsradikalismus wird definiert als eine Ungleichwertigkeitsideologie – die Schlussfolgerung für viele ist, dass es eine völkische Reinheit gibt, die wichtig ist und notfalls mit Gewalt geschützt werden muss. Gesellschaftliche Veränderungsprozesse werden als Umvolkung oder Volkstod beschrieben. Man sieht sich nicht als Angreifer, sondern Verteidiger. In einer modernen Einwanderungsgesellschaft wie Deutschland sind undemokratische Ideale einer weißen Vorherrschaft oder gar reinen Volksgemeinschaft nur gewaltsam durchsetzbar.
SPIEGEL: Die Verbreiter rechtsradikaler Parolen, auch in der AfD, sagen oft: »Das war doch nicht so gemeint«, oder »Oh, das war mir gar nicht bewusst«. Was ist davon zu halten?
Quent: Es mag einzelne Fälle geben, wo das zutrifft. Oft ist das aber Ausdruck einer erprobten Strategie mit dem Ziel, die Grenze des Denk-, Sag- und Machbaren zu verschieben. Einerseits wird die Öffentlichkeit so im Vagen gelassen, andererseits verstehen die rechtsradikalen Anhänger die Botschaft genau.
SPIEGEL: Trotzdem gibt es Menschen in der Zivilgesellschaft, die sich gegen Rechts einsetzen ...
Quent: ... und zwar viele, seit vielen Jahren! Sie erhalten oft aber keine Anerkennung, sondern werden stattdessen selbst als Extremisten diskreditiert. Mit dem Erstarken der AfD setzen sich derzeit mehr Menschen ein, aber ich nehme auch wahr, dass manche resignieren. Die Ohnmacht ist groß, nicht nur weil es Drohungen gibt, aufgeschlitzte Reifen, Kot in den Briefkästen – ohne, dass darüber berichtet wird. Auch wegen der Angriffe aus den Parlamenten: Initiativen werden infrage gestellt, Kommunalparlamente streichen Geld für Demokratieprojekte in Jugendhäusern. Die Bundesregierung hat wichtige Schritte eingeleitet, gleichzeitig ist aber der Druck auf Engagierte sehr groß – durch prekäre Finanzierung, durch fehlende Anerkennung und hohe bürokratische Hürden.