Antisemitische Politsekte "Reichsbürger" drohten mit dem Abschneiden von Fingern

Die rechte Gruppierung der "Geeinten deutschen Völker und Stämme" hängt einer bizarren Rassenideologie an. Die nun vollstreckte Verbotsverfügung offenbart die gewalttätigen Ideen der Truppe.
Bei Razzien durchsuchten 400 Polizisten in zehn Bundesländern Wohnungen

Bei Razzien durchsuchten 400 Polizisten in zehn Bundesländern Wohnungen

Foto: Paul Zinken/ dpa

Heike W. ist eine Ausnahme in ihrer Szene. Der typische "Reichsbürger" ist männlich, um die 50, radikal und unberechenbar. Eine Frau als Führungsfigur gibt es unter den Verschwörungstheoretikern selten.

"Generalbevollmächtigte der geeinten deutschen Völker und Stämme" nennt sich Heike W. Wie extrem sie tickt, zeigt ein Brief, den die Berlinerin vor zweieinhalb Jahren an die Kanzlerin schickte: Angela Merkel solle "das Unternehmen Bundesrepublik Deutschland mit allen Filial- und Tochterunternehmen" schließen, schrieb sie. Der Bundestagswahlkampf sei illegal, das Sagen habe nun das "Höchste Gericht" ihrer Gruppe.

Am Donnerstag hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die "Geeinten deutschen Völker und Stämme” verboten. Rund 120 Anhänger rechneten die Sicherheitsbehörden der "Reichsbürger"-Gruppe zuletzt zu. Bei Razzien durchsuchten 400 Polizisten in zehn Bundesländern Wohnungen - trotz der schwierigen Lage durch die Corona-Pandemie. "Wir setzen den Kampf gegen den Rechtsextremismus auch in Krisenzeiten unerbittlich fort", teilte Seehofer mit.

Wie sich aus der Verbotsverfügung ergibt, die dem SPIEGEL vorliegt, handelt es sich bei der nun verbotenen Gruppe um eine Art Sekte, die den bestehenden Staat und seine Institutionen kategorisch ablehnt – und extrem antisemitische Ansichten vertritt.

"Reichsbürger" hetzten massiv gegen Juden

In ihren Pamphleten hetzten die "Reichsbürger" massiv gegen Juden: Die "Abkömmlinge der Stämme Jakobs" seien "nicht eigentumsberechtigt", sie stünden für "Unehrlichkeit" und hätten das Ziel eine "Ein-Welt-Herrschaft" zu errichten, heißt es in einem Schreiben der Gruppe. Holocaustdenkmäler und Erinnerungs-Stolpersteine seien zu entfernen.

Der rassistische Zusammenschluss verwendete laut Verbotsverfügung auch die sogenannte "Lebensrune" in seinem Symbol. Diese sei unter anderem auf den Armbinden einer Einheit der Hitlerjugend verwendet worden, heißt es in dem Papier des Bundesinnenministeriums. Durch die Verwendung der Rune knüpften die "Reichsbürger" "an die Tradition des Nationalsozialismus an".

"Die Wahngebäude von Reichsbürgern sind keine harmlosen Spinnereien"

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD)

"Reichsbürger" galten lange als vernachlässigbare Spinner, Querulanten und Esoteriker - bis im Oktober 2016 ein Verschwörungsideologe im fränkischen Georgensgmünd einen Polizisten tötete. Seitdem nehmen die Sicherheitsbehörden die Gefahr ernst. "Die Wahngebäude von Reichsbürgern sind keine harmlosen Spinnereien, sondern eine ernsthafte Bedrohung für unsere Demokratie", sagte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD), dessen Behörden das Verbot vom Donnerstag mit vorbereitet hatten.

Die Szene besteht aus zahlreichen Strömungen sowie sektenähnlichen Splittergruppen und umfasst nach der letzten Schätzung des Verfassungsschutzes rund 19.000 Anhänger. Trotz Bemühungen der Behörden, die Szene zu entwaffnen, besitzen immer noch mehr als 500 von ihnen Schusswaffen. Und das sind nur die legalen.

Auch bei den Razzien am Donnerstag wurden laut Bundesinnenministerium Schusswaffen sichergestellt, außerdem Baseballschläger und Propagandamaterialien sowie geringe Mengen Drogen.

Die "Geeinten deutschen Völker und Stämme" waren seit 2017 vor allem durch ihre bizarren und aggressiven Drohbriefe an Behörden und Politiker aufgefallen. Die Drohungen gingen deutlich über "Verbalradikalismus" hinaus, heißt es in der Verbotsverfügung und seien geeignet, "Amtsträger persönlich einzuschüchtern". Die "Reichsbürger" kündigten demnach drakonische Strafen an, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden – bis hin zur "Entfernung des Mittelfingers, Ringfingers und des kleinen Fingers an der linken Hand".

In Brandenburg versuchte die Gruppe, mit Drohschreiben an den dortigen Justizminister sowie mehrere Gerichte, den notorischen Holocaustleugner Horst Mahler aus dem Gefängnis freizubekommen. Der ehemalige RAF-Gründer und heutige Neonazi sitzt dort eine langjährige Haftstrafe ab.

In Berlin forderten die "Geeinten deutschen Völker und Stämme” eine Bezirks-Bürgermeisterin auf, ihr Rathaus zu räumen und ihnen die Schlüssel auszuhändigen. Als ein Dreier-Grüppchen Reichsbürger tatsächlich versuchte, das Rathaus im Bezirk Zehlendorf zu übernehmen, schritt die Polizei ein und beendete den Spuk.

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