Polizeiaktion in Bayern Wer sind die "Reichsbürger" - und was wollen sie?

In Bayern schoss ein "Reichsbürger" auf Polizisten und verletzte einen SEK-Mann lebensgefährlich. Woran glauben "Reichsbürger", wie viele von ihnen gibt es? Der Überblick.
"Reichsbürger"-Plakat in Georgensgmünd (Bayern)

"Reichsbürger"-Plakat in Georgensgmünd (Bayern)

Foto: Nicolas Armer/ dpa

Für den Begriff "Reichsbürger" gibt es keine gemeingültige Definition. Eine einheitliche "Bewegung" oder Ideologie existiert nicht. Die einzelnen Gruppierungen sind zum Teil untereinander zerstritten. Ihr Gedankengebäude besteht aus rechtsextremistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologie, Verschwörungstheorien oder esoterischen Weltbildern. Eines haben aber alle Anhänger offenbar gemeinsam: Sie erkennen die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht an. Denn, so behaupten sie, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort, sei aber von den Alliierten besetzt und werde von ihnen ausgebeutet. Dabei ignorieren "Reichsbürger" konsequent die historischen Fakten. Häufig legen sie für ihr "Reich" die Grenzen von 1937 zugrunde.

Wer die Existenz der Bundesrepublik leugnet, verneint auch die Legitimität von Grundgesetz, Behörden und Gerichten und akzeptiert deren Bescheide nicht. Auch Steuern und staatliche Abgaben sind aus dieser Sicht illegal. Die "Reichsbürger" gründen eigene Regierungen oder Monarchien mit Reichskanzlern oder Königen. Sie drucken Fantasiepapiere und geben eigenes Geld aus, wie das "Engelgeld". In Sachsen-Anhalt gibt es zum Beispiel einen selbst ernannten "König von Deutschland", mit bürgerlichem Namen Peter Fitzek, mit eigenem "Reich" und eigener Währung.


Im Video: Razzia im "Königreich Deutschland" (2014)

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Was sind die Ursprünge der "Reichsbürger"?

Das ist nicht klar. Die Idee, die Bundesrepublik sei ein illegales Konstrukt, geistert schon seit ihrer Gründung umher. Oft wird der ehemalige Reichsbahnmitarbeiter Wolfgang Ebel als Vordenker der "Reichsbürger" genannt: Ebel ernannte sich Mitte der Achtziger selbst zum Reichskanzler und bildete in Berlin eine "kommissarische Reichsregierung". Ebel glaubte, er könne im Auftrag der Alliierten das "Deutsche Reich" regieren. Die Bundesrepublik, von manchen Reichsbürgern auch "BRD GmbH" genannt, sei das Konstrukt einer "jüdisch-freimaurerischen" Verschwörung. Zwar scharten sich bald einige Anhänger um Ebel, doch begann schon hier eine Zersplitterung der Bewegung. In der Folge bildeten sich in anderen Gegenden eigene "Reichsregierungen".

Wie viele "Reichsbürger" gibt es?

Die Bundesregierung verneinte 2012 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken , dass es sich bei den "Reichsbürgern" um eine einheitliche Bewegung handelt. Es seien vielmehr häufig Einzelkämpfer oder konkurrierende "Splittergruppen". Entsprechend gibt es auch keine genaue Zahl über ihre Anhängerschaft. Bekannte Namen einiger Gruppen sind neben Fitzeks "Königreich Deutschland" das "Deutsche Polizei Hilfswerk" oder die "Reichsbewegung - Neue Gemeinschaft von Philosophen".

Da sich im Internet mittlerweile einige "Reichsbürger"-Seiten finden lassen, kann der Eindruck entstehen, es handele sich um eine wachsende Bewegung. Auch unter Pegida-Anhängern sollen Ideen der "Reichsbürger" Anklang finden. Der Sänger Xavier Naidoo fiel 2014 mit einem Auftritt bei einer auch von "Reichsbürgern" organisierten Veranstaltung auf.

Allerdings gehen die Verfassungsschutzbehörden eher von einer überschaubaren Zahl der Anhänger aus. Die Bundesregierung nannte 2012 in ihrer Antwort auf die Linken-Anfrage "mit aller Vorsicht" eine "untere dreistellige Zahl" jener "Reichsbürger", die sich zum rechtsextremistischen Milieu zählen lassen. Ein bekannter Vertreter rechtsextremistischer Reichsbürger-Thesen ist der ehemalige RAF-Anwalt und Holocaust-Leugner Horst Mahler.

Wie gefährlich sind die "Reichsbürger"?

Die Behörden halten viele für harmlos. Manche "Reichsbürger" können aber eindeutig dem rechtsextremistischen und staatsfeindlichen Milieu zugeordnet werden. Die meisten Aktivitäten der "Reichsbürger" seien "in erster Linie unter polizei- und ordnungsbehördlichen Gesichtspunkten relevant", schreibt etwa der sächsische Verfassungsschutz.

Allerdings beobachtet der Verfassungsschutz einige der Anhänger, in Bayern, Brandenburg oder im Saarland. Die "Zeit" zitierte im April Behördenvertreter , die in "Reichsbürger"-Gruppen "längst mehr als ein skurriles Randphänomen" sehen. Seit einigen Jahren gibt es auch Fälle, bei denen "Reichsbürger" Morddrohungen gegen Behördenvertreter aussprachen oder gewalttätig wurden.

In Sachsen sorgte 2012 der Fall eines Gerichtsvollziehers für Aufsehen: Anhänger des selbst ernannten "Deutschen Polizei Hilfswerks" fesselten ihn bei einer Zwangsvollstreckung. Er musste von der echten Polizei befreit werden. In Berlin lagerte ein Anhänger, der Steuern hinterzog, Chemikalien, die zur Herstellung von Sprengstoff geeignet waren. Im August fielen bei der Zwangsräumung eines Hauses in Sachsen-Anhalt Schüsse: Zwei SEK-Beamte und der Hauseigentümer, der frühere Mr. Germany, Adrian Ursache, wurden verletzt.

Mit Material von dpa, Mitarbeit: Claudia Niesen
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