"Sachsensumpf"-Opfer Mandy Kopp "Durch die Hölle gegangen"

Zwangsprostitution, Erniedrigung durch die Justiz, Krebsdiagnose: Mandy Kopps Leben ist von immer neuen Katastrophen geprägt. Nach den Tagen im Leipziger Kinderbordell "Jasmin" hat sie jahrelang geschwiegen. Nun macht sie einen mutigen Schritt in die Öffentlichkeit.
Von Björn Menzel
Mandy Kopp: "Es war ständig präsent"

Mandy Kopp: "Es war ständig präsent"

Foto: Pierre Dasbach

Am Telefon meldet sich Mandy Kopp nur mit einem zarten "Hallo". Ihren derzeitigen Aufenthaltsort hält die 36-Jährige geheim. Noch immer fühlt sie sich verfolgt, noch immer hat sie Angst, noch immer braucht sie psychische Hilfe.

Mandy Kopp wurde vor 20 Jahren zusammen mit anderen Mädchen zur Prostitution gezwungen. Sie war damals 16 Jahre alt, hatte Stress zu Hause und landete unfreiwillig im Leipziger Bordell "Jasmin". Sie wurde vergewaltigt, geschlagen, misshandelt. "Ich habe mich lange genug versteckt und geschämt. Heute kämpfe ich für jedes Stück Würde, das man mir genommen hat", schreibt sie in ihrem neu erschienen Buch "Die Zeit des Schweigens ist vorbei".

Bis Kopp das Buch vorlegen konnte, war es ein langer Weg. Ihr Leben hielt schon in den ersten Jahren keine Gefälligkeiten parat. Erst starb der Vater, die Mutter griff zum Alkohol, das Familienleben war zerrüttet. Zusammen mit einer Freundin wurde sie auf der Straße in Leipzig aufgegriffen und in eine Mädchen-WG gebracht. Die "WG" entpuppte sich als Bordell, ein Entkommen war unmöglich.

Die Freier waren mutmaßlich Teil jener Personen und Geschehnisse, die unter dem Begriff "Sachsensumpf" zusammengefasst werden. Ein Geflecht aus Korruption, Immobilienspekulationen und Waffengewalt, in das hochrangige Personen verstrickt gewesen sein sollen, bis heute sind die Hintergründe nicht aufgeklärt.

"Lieber offensiv als defensiv"

Nach ihrer Befreiung durch die Polizei am 28. Januar 1993 wurde Mandys Zuhälter zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt. Kopp versuchte, die Geschehnisse zu vergessen. "Ich habe das alles weggeschoben und wollte mit den Erlebnissen nicht konfrontiert werden."

Sie habe nur für sich selbst gekämpft. Nach außen hin präsentierte sich die einst Misshandelte als toughe Frau. Sie hatte in Westdeutschland zusammen mit ihrem Lebensgefährten eine Firma, war im Elternbeirat in der Schule eines ihrer Kinder, trug Verantwortung. Innerlich sah es anders aus. "Es war ständig präsent", sagt die Misshandelte über ihre Vergangenheit. Dennoch fühlte sich Kopp geschützt, auch weil ihr Name im Zusammenhang der Geschehnisse im "Jasmin" nicht bekannt war.

Das änderte sich. Die Staatsanwaltschaft Dresden lud Kopp 2008 als Zeugin vor, nachdem in den Jahren zuvor Vorwürfe aufgekommen waren, dass hochrangige Personen zu den Kunden des "Jasmin" gehörten. Ihrer Bitte um Zeugenschutz wurde nicht entsprochen. "Sie wurde ohne Begründung mit einem Satz abgelehnt", sagt Kopp. Name und Anschrift wurden bekannt.

"Für mich stand in dem Moment fest: lieber offensiv als defensiv." Der beste Schutz sei die Öffentlichkeit. Kopp begann, mit Journalisten zu sprechen und arbeitete weiter an den Aufzeichnungen für ein Buch, mit denen sie bereits 1994 bei einem Internatsaufenthalt begonnen hatte.

Das Opfer von damals ist die Angeklagte von heute

Die beiden ersten Journalisten, mit denen sich Kopp traf, waren die Leipziger Arndt Ginzel und Thomas Datt. Ihre Recherchen im "Sachsensumpf" brachten sie im Sommer 2007 mit Mandy zusammen, sie gehören zu den wenigen Menschen, die die Wandlung der jungen Frau mitbekamen. "Mandy hatte jahrelang geschwiegen, sie war erleichtert erzählen zu können, was passiert war", sagt Ginzel.

Allerdings sorgte sie sich, dass ihr unmittelbares Umfeld etwas von ihrer Vorgeschichte erfahren könnte. Im Laufe der Zeit sei das jedoch immer mehr in den Hintergrund getreten. Im Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtages zum "Sachsensumpf" wurde sie als Zeugin vernommen - eine Zäsur. "Die Abgeordneten erlebten eine selbstbewusste Frau, die sich gegen die Stigmatisierung durch die Dresdner Staatsanwaltschaft als 'Ex-Prostituierte' zur Wehr setzte."

Zwischenzeitlich erhielt Kopp eine Krebsdiagnose. Nun stand für sie endgültig fest, dass sie alles aufschreiben muss. "Ich wollte immer das Buch schreiben, damit meine Kinder verstehen, warum ihre Mama oft sehr traurig war." Und Kopp wollte nicht als Prostituierte gelten, als die sie die Staatsanwaltschaft bezeichnet hatte. "Ich bin ein Opfer", sagt sie nun und wiederholt den Satz. Es wäre ihr sehr hilfreich gewesen, sich endlich bewusst mit der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt zu haben. Allerdings: "Ich bin beim Schreiben des Buches teilweise noch mal durch die Hölle gegangen."

Noch hat Kopp keinen wirklichen Frieden gefunden, und eine nächste Prüfung steht bevor. Sie hatte einige ihrer mutmaßlichen Peiniger wiedererkannt, nun muss sie sich wegen Verleumdung verantworten. Die Taten der Freier und des Zuhälters sind mittlerweile verjährt, das eigentliche Opfer von damals ist die Angeklagte von heute.

Doch der erste Anlauf scheiterte - weil Mandy Kopp und ihre Mitangeklagte Beatrix E. vor Gericht zusammengebrochen waren. Der Staatsanwalt bot ihnen sogar Straffreiheit an, wenn sie öffentlich erklärten, sich bei der Identifizierung der Freier geirrt zu haben. Beide Frauen blieben bei ihren Aussagen und lehnten Deals ab. Wann der Prozess fortgeführt wird, steht noch nicht fest.

"Ihr Mut und ihre Entschlossenheit sind beeindruckend", sagt Journalist Ginzel.

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