Schönheits-OPs im Libanon Jungfrau, ledig, generalüberholt

Großer Busen, flacher Bauch, Puppengesicht: Ausgerechnet im krisengeschüttelten Libanon boomt die Schönheitschirurgie. Denn in einer Gesellschaft, die für den Augenblick lebt, ist Aussehen alles. Wer knapp bei Kasse ist, nimmt eben einen Kredit auf - der Staat hilft.

Hania sieht aus, als sei sie in eine schlimme Schlägerei geraten. Beide Augen blutunterlaufen, gelbgrüne Schwellungen auf den Wangen, der Nasenrücken dick verpflastert. Vor zwei Tagen hat man sie so zugerichtet, und sie ist dem Mann, der es getan hat, zutiefst dankbar.

"Der Doktor war wunderbar. Er hat gesagt, mit der neuen Nase werde ich sehr viele bessere Verehrer haben" sagt sie und klingt dabei, als hätte sie einen dicken Schnupfen.

Hania hat sich ihre Nase richten lassen, die - wie sie sagt - "typisch arabisch war, mit einem dicken Höcker". 2500 Dollar hat die OP gekostet. Kein Problem für die 21-jährige Englisch-Studentin, ihr Vater verdient als libanesischer Gastarbeiter in Katar viel Geld.

Dass Hania schon wieder in der libanesischen Frühlingssonne im Straßencafé sitzt, macht sie zur typischen Kundin eines Schönheitschirurgen des Zedernstaats. Es soll ruhig jeder sehen, dass sie sich hat "verbessern" lassen, wie sie das nennt. Wo sich die meisten Europäer schamhaft zurückziehen würden, bis alle Narben verheilt sind, tragen Libanesen ihre Wunden stolz zur Schau: Es geht nicht darum, sich unauffällig seiner Schönheitsmakel zu entledigen, es geht darum, zu zeigen, dass man das Geld hat für eine kleinere Nase, einen größeren Busen oder einen flachen Bauch nach der neuesten Mode. Nur fotografieren lassen will sich Hania dann doch nicht.

Es gibt keine Zahlen darüber, welcher Prozentsatz der Libanesen sich schon einmal aus Eitelkeit unters Messer gelegt hat. Sicher ist nur: Gemessen an der Dichte der "Beauty-Clinics" in Beiruts besseren Stadtvierteln müssen es sehr, sehr viele sein.

Der Spezialkredit für Silikonbrüste

Toni Nasser ist einer der Stars der Branche. Er operiert die libanesischen Pop-Sternchen, deren Puppengesichter Plakatwände überall im Nahen Osten zieren. "Im Libanon hat sich fast jeder, für den das in Frage kommt, operieren lassen" sagt Nasser, der seinen Schreibtisch mit einer Skulptur aus Brustimplantaten geschmückt hat: Silikonbusen bilden einen Haufen, auf dem sich ein Püppchen ans üppige Dekolleté greift. "Der lokale Markt ist gesättigt, da gibt es kein Wachstumspotential mehr", sagt der in Brasilien ausgebildete Arzt.

Die letzte große Wachstumskurve hat Nassers Zweig der plastischen Medizin im vergangenen Jahr erlebt: Damals schneiderte die Nationalbank des Libanon ein neues Produkt auf ihre Kunden zu. Bis zu 5000 Dollar Kredit vergab die Bank pro Nase – wortwörtlich. Ein Nachweis, dass das Geld für eine Schönheits-OP geplant war, genügte. Andere Banken zogen nach. "Ich unterschreibe eine Menge Kreditanträge", sagt Nasser.

Seine Patienten erhofften sich von einem neuen Antlitz einen besseren Job, mehr Geld, höheres soziales Ansehen, sagt er und zieht das Rollo vor der Fensterfront hoch: Seine Praxis liegt in einem der edelsten Einkaufszentren Beiruts, gegenüber sitzen Wohlstandsbürger auf der Starbucks-Terrasse. "Die Leute, die zu mir kommen, wollen dabei beobachtet werden."

Die Waffe der Frauen im Kampf um den besten Mann

Dass Nasser weiter viel Geld machen wird, obwohl es im Libanon nun nicht mehr allzu viele Neukunden gibt, hat zweierlei Gründe. Zum einen vertraut der Arzt der Stars darauf, dass sich die Mode ändert: "1999 haben sich in Brasilien etwa 40 Prozent der Frauen die Brüste verkleinern lassen, weil ein kleiner Busen modern war", erinnert er sich. Ab 2001 dann seien plötzlich große Brüste en vogue gewesen. Also machte sich Nasser bei denselben Kundinnen erneut ans Werk.

Weit wichtiger als Verdienstgarantie ist jedoch der "Plastik-Tourismus". Zu Tausenden fliegen Möchtergernschönheiten aus dem Nahen Osten nach Beirut, um Gesicht und Körper generalüberholen zu lassen. Daran hat auch der Sommerkrieg 2006 und die langwierige innenpolitische Krise des Libanon nichts geändert.

"Die Leute kommen nach wie vor" sagt Nasser. Sie blieben lediglich kürzer. Aus Angst vor Bomben und Ausschreitungen strichen die meisten Kunden die sonst üblichen Shopping-Trips mit frisch verbundenen Wunden.

Nur fünf Prozent von Nassers Patienten sind Männer. "Gutes Aussehen ist die Waffe der Frauen im Kampf um den besten Mann", sagt der plastische Chirurg, der es mit seinem Beruf zu einem Schlösschen im malerischen Bekaa-Tal gebracht hat.

Intim-OP für die Familienehre

Um zu begreifen, warum gerade der krisengebeutelte Libanon eine Hochburg des Schönheitswahns ist, muss man Ärzte wie den Gynäkologen Faisal al-Kak fragen. "Die Sexualisierung vor allem der Frauen hat hier besonders um sich gegriffen", sagt der Dozent an der American University von Beirut. Ein kleines Land mit nur vier Millionen Einwohnern, die zu 80 Prozent in Städten leben, dazu mehr als ein Fernseher pro Familie – der Libanon sei ein fruchtbarer Boden für die mediale Gehirnwäsche. 15 Jahre blutiger Bürgerkrieg hätten eine Gesellschaft geschaffen, die das Heute feiere, weil man nie wisse, ob es ein Morgen gebe, meint der Arzt, dessen Universitätsbüro mit einem Che-Guevara-Bild dekoriert ist.

Im Gegensatz zu Doktor Nasser, dessen Arbeit möglichst sichtbar sein soll, widmet sich Kak einer unsichtbaren Spielart der plastischen Chirurgie. Er ist einer von vielen libanesischen Ärzten, die Jungfernhäutchen wieder zusammennähen - und er ist einer der wenigen, die darüber sprechen. "Als Jungfrau in die Ehe zu gehen ist im Nahen Osten immer noch zentraler Teil eines soziokulturellen Kodex, sei es bei Muslimen oder Christen", sagt er. Nach wie vor hängt die Familienehre an dem Blut auf dem Laken in der Hochzeitsnacht.

Da die liberale Jugend immer öfter schon vorehelichen Sex habe, kämen viele Frauen vor der Hochzeit zu ihm und seinen Kollegen. "Hymenoplastik ist hier ein völlig gängiger Eingriff." Mit Preisen zwischen 500 und 600 Dollar sei sie für arme Mädchen zwar teuer, aber nicht unerreichbar. "Es ist auch wirklich einfach", sagt Kak und führt an einer Papierserviette vor, wie es geht: Er bohrt ein Loch ins Papier und zieht dann die Ränder zusammen. "Ein paar Stiche, das war's", sagt er. Es sieht aus, als wolle er ein Knopfloch enger machen.

"Das Jungfernhäutchen ist die letzte Kontrollinstanz"

Für Kak sind Eingriffe im Intimbereich nur die logische Ergänzung zur Gesichtsoperation. "Die Frau soll so verlockend wie möglich aussehen, und gerade deshalb muss ihre Keuschheit so streng wie möglich bewacht werden", beschreibt er die "Mentalität in einer patriarchalischen Gesellschaft." Die Frauen im Nahen Osten hätten einen langen Kampf ausgefochten, um aus den privaten in die öffentlichen Bereiche treten zu dürfen. "Heute können Frauen hier studieren, denken, arbeiten." Auch Unverheiratete verbrächten den Großteil des Tages außerhalb der Aufsicht ihrer Väter und Brüder. "Da ist das Jungfernhäutchen die letzte Kontrollinstanz."

Frauen lassen sich operieren, um männlichen Vorstellungen zu entsprechen, so Kaks Fazit. Bei den Sexualorganen beschränke sich das längst nicht mehr nur auf das Jungfernhäutchen. Es werden im Libanon inzwischen so viele Vaginaverengungen vorgenommen, dass das Gesundheitsministerium den Eingriff in seine offizielle Honorarliste aufgenommen hat. Zwischen 500 und 1500 Dollar darf ein Arzt für die Operation nehmen, die dem Mann bei gleicher Frau zu neuen Freuden verhelfen soll. "Die Leute begreifen nicht, dass der Sexualtrieb des Menschen von Natur aus nachlässt und reduzieren Sex zudem nur auf vaginalen Geschlechtsverkehr," sagt Kak. "Dabei ist es für ein altes Paar vielleicht ein erotisches Erlebnis, auf dem Sofa zu kuscheln, Kastanien zu essen und fernzusehen."

Die Krux des Libanon sei, dass das Land viel lieber im Westen liegen würde, sagt Kak. "Westlich zu sein ist das Maß aller Dinge." Moden aus den USA und Europa würden deshalb mit Feuereifer adaptiert. "Seien es Nasen, Brüste oder entfettete Oberschenkel."

Auch in seinem Metier kündige sich der nächste Trend bereits an, sagt Kak und sieht in seinem Universitätsbüro plötzlich ganz unglücklich aus. "Das nächste große Ding ist die Schamlippengestaltung", sagt er. "In Los Angeles ist das seit ein paar Monaten heiß, und hier hat es auch schon angefangen."

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