Schüler nach Knutscherei im Knast Berlin fordert Haftverschonung - türkische Presse spricht von Beleidigung

Seit mehr als zehn Wochen sitzt der 17-jährige Marco Weiss in einem Gefängnis in Antalya: Er hat im Urlaub mit einem 13-jährigen Mädchen geschmust. Die Bundesregierung fordert seine sofortige Freilassung - das wertet die Zeitung "Hürriyet" als Beleidigung für das türkische Justizsystem.

Berlin - Die Bundesregierung hat die sofortige Freilassung des 17-jährigen Schülers aus Uelzen gefordert. Der Junge soll bis zu seiner für den 6. Juli angesetzten Verhandlung freigelassen werden, sagte ein Sprecher des Außenministeriums - die türkischen Richter haben dies aber abgelehnt.

Der 17-Jährige war wegen eines Urlaubsflirts mit der 13-jährigen Britin Charlotte M. in Antalya in Haft genommen worden. Nach Informationen des SPIEGEL kam es in der Nacht zum 11. April in einem Hotelzimmer zwischen dem Deutschen und dem Mädchen aus Manchester zu intimen Zärtlichkeiten. Der 17-Jährige beteuert, mit dem Mädchen lediglich geflirtet, gekuschelt zu haben. Zudem habe sich die Britin als 15-Jährige ausgegeben. Die Mutter des Mädchens hat den Realschüler nach Informationen des SPIEGEL wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Daraufhin wurde der junge Mann festgenommen und sitzt seither im baufälligen Gefängnis des Touristenortes Antalya. Dort muss sich Marco Weiss mit 30 Untersuchungshäftlingen und Strafgefangenen eine Zelle, eine Dusche und eine Toilette teilen.

"Marco fühlt sich völlig unschuldig"

Marcos Eltern appellierten heute an die türkische Justiz, ihren Sohn freizulassen. "Marco ist noch ein Kind. Er befindet sich nach zehn Wochen im Gefängnis in einem körperlich und psychisch sehr schlechten Zustand", sagte der Anwalt der Familie, Jürgen Schmidt, bei einer Pressekonferenz im niedersächsischen Uelzen, wo die Familie wohnt. Im Namen der Familie dankte er der Bundesregierung für Bemühungen, Marco frei zu bekommen.

Der Anwalt erklärte, Marcos Eltern fühlten sich nicht in der Lage, Fragen zum Zustand ihres Sohnes zu beantworten. Das Ehepaar hoffe auf ein faires Verfahren und die baldige Freilassung Marcos. "Für sie ist es fast nicht zu verkraften, ihren Sohn in der Türkei praktisch allein lassen zu müssen, bei einem nur zehnminütigen Gespräch pro Woche, getrennt von einer Scheibe", sagte Schmidt. Beim letzten Besuch sei Marco weinend von zwei Uniformierten und schwer Bewaffneten abgeführt worden. "Marco fühlt sich völlig unschuldig und weiß nicht, wie ihm geschieht", sagte der Anwalt weiter. Bei einer Verurteilung droht dem 17-Jährigen eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren.

Kritik an der Berichterstattung

Die türkische Zeitung "Hürriyet" kritisierte die Forderung der Bundesregierung heftig. Sie bedeute eine "Beleidigung" des Justizsystems eines anderen Staates, schrieb der Kolumnist Oktay Eksi in der Sonntagausgabe der Zeitung: "Stellen Sie sich vor, die türkische Regierung würde der deutschen Regierung für einen in Deutschland inhaftierten türkischen Staatsbürger eine solche Verbalnote überreichen - unvorstellbar."

Die Berichterstattung in Deutschland bezeichnete das Blatt als "Medienkampagne". Mit keinem Wort gingen die Zeitungen auf die Vorwürfe ein, die gegen den Jugendlichen erhoben würden. Stattdessen zeichneten sie ein "Schreckensbild" der türkischen Gefängnisse. Eine Verbesserung der Haftbedingungen sei für alle Insassen "unbedingt nötig", schreibt der Kolumnist, "nicht nur für Marco". Doch wenn sie allein für den deutschen Schüler erhoben werde, bekomme die Forderung "ein hässliches Aussehen".

Inzwischen ist die Mutter des Jungen wieder in die Türkei gereist, um ihren Sohn zu betreuen. Der an Leukämie erkrankte Vater braucht nach einer Serie von Chemotherapien Erholung. Über ihren Anwalt baten die Eltern darum, sie in Ruhe zu lassen: "Sie benötigen alle verbleibende Kraft für den Sohn und das Verfahren."

Marco wollte ursprünglich in den vergangenen Wochen seinen Realschulabschluss machen und hatte sich bereits in einer Fachoberschule angemeldet.

jul/han/dpa/AP/AFP

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