Schweiz Frauen machen gegen Waffentradition mobil
Genf - Jüngsten Untersuchungen zufolge begeht in der Schweiz durchschnittlich jeden Tag ein Mensch Selbstmord mit einer Schusswaffe. Außerdem werden in dem kleinen Alpenland so viele Frauen durch Schüsse getötet wie sonst kaum im Westen. Und statistisch gesehen kommt auf jeden dritten Schweizer eine Waffe. Fakten aus einem Land, in dem Reservisten seit jeher ihre Armeewaffen zu Hause aufbewahren. Die Frauenzeitschrift "Annabelle" macht jetzt gegen diese Tradition mobil: "Es gibt immer mehr Tötungsdelikte in den eigenen vier Wänden, und mehr und mehr Opfer sind Frauen - Schusswaffen werden viel zu sorglos daheim aufbewahrt", sagt "Annabelle"-Chefredakteurin Lisa Feldmann.
Die Zeitschrift will deshalb den Schweizer Abgeordneten Druck machen: In einer Petition fordert die Redaktion mit den Unterschriften von 17.400 Leserinnen ein nationales Waffenregister und ein Verbot der Waffenlagerung zu Hause. Und auf ganzseitigen Zeitungsanzeigen lacht Schweizer Lesern im Zuge der Kampagne dieser Tage eine wahre Bilderbuchfamilie entgegen: Ein schönes Foto, schwenkte der Familienvater nicht ein Sturmgewehr.
Doch den Schusswaffen-Gegnerinnen bläst ein eisiger Wind ins Gesicht: "Diese Leute verstehen einfach nichts von Schweizer Tradition - sie sollten lieber weiter über Mode und Make-up reden", schimpft beispielsweise Claudio Zanetti von der Volkspartei. Auch die einflussreichen Schweizer Sportschützen reagierten verärgert. "Annabelle" startete ihre Kampagne nur wenige Monate nach dem Mord an der ehemaligen Ski-Rennfahrerin Corinne Rey-Bellet und ihrem Bruder, die Ende April von Rey-Bellets Ehemann erschossen wurden. Der Täter, Reservist beim Militär, hatte für die Tat seine Armeepistole benutzt. Wenig später beging er Selbstmord.
Die Tradition, Armeewaffen daheim zu lagern, wurzelt in der Verteidigungsstrategie des neutralen Landes: Die rund 283.000 Reservisten der Schweizer Armee sollen im Ernstfall binnen kürzester Zeit einsatzbereit sein - deshalb dürfen sie ihre Waffen zu Hause aufbewahren. In der Schweiz sind damit 231.400 halbautomatische Gewehre und 51.600 Dienstpistolen in den Händen von Reservisten, hinzu kommen die Schusswaffen von Soldaten im Ruhestand und jene, die nicht der Armee gehören: Das macht eine Summe von rund zwei Millionen Waffen in dem kleinen Land.
Armeesprecherin Eva Zwahlen verweist darauf, dass die Waffen von Soldaten konfisziert werden dürften, wenn diese "eine Gefahr für sich und andere zu sein" drohten. Immerhin seien 439 Waffen beschlagnahmt worden, seit die Regeln im Jahr 2004 verschärft worden seien. "Diese Zahl zeigt, dass die Armee alles andere als passiv ist, wenn es um Waffenmissbrauch bei häuslichen Konflikten geht", sagt Zwahlen. Verteidigungsminister Samuel Schmid hält an der raschen Einsatzfähigkeit der Reservisten fest und erklärte kurz und bündig: "Die Armee ist nicht verantwortlich für Missstände in der Gesellschaft". Die sozialistische Abgeordnete Anita Fetz plädiert derweil für einen Mittelweg in der Waffenfrage, um die Traditionalisten nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen: die Munition wegnehmen, nicht die Waffen.
Jonathan Fowler, AFP