Schweiz Schwarze Liste für pädophile Priester
Wäre der Missbrauchsskandal ein Orkan, dann säße Abt Martin Werlen im Auge des Sturms: Der Geistliche leitet das Benediktinerkloster Einsiedeln in der Schweiz. Dessen Stiftschule ist bis weit über die Grenzen des Landes bekannt und gilt als Kaderschmiede der katholischen Elite. In den vergangenen Wochen erreichte der Missbrauchsskandal Einsiedeln.
In der Stiftschule soll es seit den siebziger Jahren immer wieder zu sexuellen Übergriffen gekommen sein, fünf Geistliche sollen sich in den vergangenen neun Jahren fünf "Verfehlungen" zu Schulden haben kommen lassen. Drei der Brüder seien aber weiterhin im Kloster beschäftigt. "Wir stehen zu unseren Mitbrüdern", so Werlen. Man wolle den Männern eine zweite Chance geben. Eine These, die unter den Schweizer Katholiken heftig diskutiert wird. 40 Prozent der Bevölkerung bekennen sich zum Katholizismus, keine andere Konfession in dem Land zählt mehr Gläubige.
Werlen, einer der einflussreichsten Geistlichen der Schweiz, ergriff die Flucht nach vorne. In einem Interview mit dem "SonntagsBlick" sprach sich der Abt für eine schwarze Liste pädophiler Priester aus. Ein Vorschlag, der in der Schweiz nun heftig diskutiert wird. Werlen zufolge soll es "eine zentrale Stelle in Rom" geben, bei der "Kirchenleute, die angezeigt wurden, registriert sind". "Bei einem Stellenwechsel in eine andere Diözese wo auch immer auf der Welt, könnte sich ein Bischof erkundigen, ob etwas Gravierendes vorliegt." Faktisch käme der Registereintrag einem Berufsverbot gleich: Geistlichen, die einmal auf der Liste stehen, dürfte es schwer fallen, noch eine Anstellung zu erhalten, ein Bischof könnte sich nicht mehr auf sein Nichtwissen berufen.

Werlen, der beste Kontakte zum Vatikan pflegt und Mitglied der Bischofskonferenz ist, trifft mit seinem Vorschlag den Nerv der Diskussion in der Schweiz: Priester, die des sexuellen Missbrauchs verdächtigt wurden, versetzte man von Kanton zu Kanton - ohne dass die Verantwortlichen von der Vergangenheit der Männer wussten oder wissen mussten. Die Bischöfe konnten sich stets auf ihr Nichtwissen berufen.
Die Kritik des Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz, Norbert Brunner, an den Vorschlägen folgte umgehend. Es sei Sache "jedes einzelnen Bistums, vor einer Anstellung abzuklären, ob eine Person die fachlichen und moralischen Voraussetzungen erfüllt", sagte er "Le Matin Dimanche". Laut Brunner trägt vor allem der Täter die Verantwortung für sein Handeln - nicht aber die Institution Kirche. Er habe "Mühe damit", wenn sich die Kirche für "die Tat eines anderen bei den Opfern entschuldigen soll", sagte er.
"Den Ernst der Lage nicht erkannt"
Werlen hingegen argumentiert mit dem Vertrauensverlust, der die Kirche durch das jahrelange Vertuschen treffe - und hofft, dem Misstrauen durch die Offensive begegnen zu können. Der 47-Jährige will zudem eine von der Kirche unabhängige Anlaufstelle für die Opfer einrichten. Eine Anzeigepflicht will jedoch auch er nicht durchsetzen - dies widerspreche dem Grundsatz des Opferschutzes.
Auch den Papst nimmt der Abt ungewöhnlich scharf in die Kritik. Einige Bischöfe und auch Benedikt XVI. hätten "den Ernst der Lage nicht erkannt", rügte er in einem Interview. Während die anderen Bischöfe der Schweiz sich vor allem durch Schweigen auszeichnen, bezieht Werlen Position. Er kritisiert den Hirtenbrief des Papstes, moniert, dass dieser nicht auch in deutscher Sprache veröffentlicht wurde.
2002 richtete die Schweizer Bischofskonferenz das Fachgremium "Sexuelle Übergriffe in der Pastoral" ein, das die Konferenz berät. "Uns wurden in den vergangenen acht Jahren zehn Fälle von sexuellem Missbrauch gemeldet", sagte der von der Kirche unabhängige Präsident des Gremiums, der Jurist Adrian von Kaenel, SPIEGEL ONLINE. Er selbst gehe von einer hohen Dunkelziffer aus.
Andere Quellen sprechen von 60 Fällen in den vergangenen 15 Jahren. Wegen der zahlreichen Missbrauchsfälle sei die Kirche nun gezwungen, umzudenken, betonte Kaenel. In der Vergangenheit habe es vielfach an Transparenz gemangelt. Nun bestehe zwar die Möglichkeit zu einer Neuausrichtung, mit dem "Koloss Kirche" sei es aber wie mit einem "Supertanker", den man versuche, umzulenken.