S.P.O.N. - Helden der Gegenwart: Brust raus

Werbung wirkt. Nur wie? Indem halbnackte Frauen in dusseligen Posen sinnlose Botschaften an den Mann zu bringen versuchen. Das ist sexistisch, könnte man meinen. Der Deutsche Werberat sieht das häufig ganz anders. Mit einem nie enden wollenden Augenzwinkern.

Ich bin so froh, dass man nicht Frauen fragt, ob Werbung sexistisch ist. Die haben so viel Nagellack im Kopf, Fiat 500 und Milchschaum, die sind so damit beschäftigt, ihre Brüste hochzuschnüren, die können das einfach nicht beurteilen. Deshalb sitzen in dem Gremium des Deutschen Werberats, das darüber entscheidet, ob ein Werbender ethische Grundsätze verletzt, vornehmlich Männer. Zehn Ratsherren aus Medien, Handel, Industrie und der Werbewirtschaft. Mittlerweile sind drei Frauen "zusätzlich berufen". Macht sich besser, heutzutage.

Die Mitglieder haben unglaublich viel Humor! Was da gelacht wird, bei so einer Gremiumssitzung, das kann man sich gar nicht vorstellen! Eine traurige Werbeidee nach der anderen wird ihnen vorgelegt, und die lachen, dass sich die Dielen unter ihnen biegen.

Ihre Aufgabe, wenn der Lachanfall vorüber ist: darauf aufmerksam machen, dass es gar nicht sexistisch ist, wenn etwa eine Knetgummi-Frau im Fußball-BH vor ihrem Mann herumturnen muss, um Aufmerksamkeit zu bekommen, sondern dass das mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist. Und weil das Gremium in den vergangenen Jahren so viel gezwinkert hat, ist bei einigen die Lidmuskulatur dermaßen erschlafft, dass sie nun träge über das Auge schlappt.

Die Absicht zählt, nicht die Botschaft

Der letzte Coup der lustigen 13 folgte auf die Beschwerde einer Frankfurterin, die ein Werbemotiv des öffentlich-rechtlichen Senders hr1 einreichte. Die Werbung, die unter anderem Litfaßsäulen ziert, zeigt eine sehr blonde, nackte Frau auf Sling-Pumps, die unter dem Slogan "Ich hab nur mein Radio an" Busen und Unterleib mit je einer kleinen Tafel bedeckt, auf der "Ich hör hr1" steht und die ein Radio zeigt. Auch sie hat total viel Spaß, so nackt an der Straße, und reißt vor Freude den knallroten Mund auf. Was man versteht, wenn man weiß, dass so ein Radio vor der Scham laut hr1 einen tollen Effekt hat: "Und das Gefühl ist wieder da."

Und während ich als Frau mit so viel Nagellack, Frauenauto und Milchschaum im Kopf mich frage, ob der Herrenwitz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine neue Bleibe gefunden hat, überraschen die Zwinker-Zehn mit ihren drei Zusatzladys mit einem interessanten Dreh in der Ablehnung der Beschwerde. "Im Vergleich zu den männlichen Models der Kampagne (die selbstverständlich bekleidet sind - Anmerkung von Silke Burmester) wird beim weiblichen der bekannte Songtitel 'She's Got Nothing On But The Radio' umgesetzt - ohne diskriminierende Intention." Was endlich mal eine neue Logik ist: Weil Diskriminierung nicht in der Absicht lag, existiert sie auch nicht.

Diese Denke ist nicht nur neu, sie ist auch revolutionär! Und wie froh können die männlichen Models sein, dass sie nicht im Kontext von Songtiteln wie "Horny" oder "Relax" abgebildet wurden!

Die letzten Zweifel aber vermag das Gremium mit der Feststellung auszuräumen, "dass das Styling des Models an die freizügigere Zeit der achtziger Jahre erinnern" soll. Und, tatsächlich, ich erinnere mich! Die achtziger Jahre! Kaum hatte man den Hippies die Haare abgeschnitten und ihre sexuelle Revolution in Bahnen gelenkt, kam diese unglaublich freizügige Helmut-Kohl-Zeit. Diese Zeit des Kampfes um Paragraf 218, der Diskussion über HIV-Zwangstests für "Ansteckungsverdächtige", der Propagierung des Frauen-Heimchen-Bildes ist ja berühmt-berüchtigt für ihre Ausschweifungen und Exzesse. Ein Grund mehr für Helmut Kohl, die Mauer weg haben zu wollen: Mit den Zonis konnte Nachschub an ausgelassenen Nackten ins Land geholt werden.

Frauen wissen, was Männer sich wünschen

Ab und zu kommt es tatsächlich vor, dass der Werberat etwas beanstandet. Etwa die Werbung eines weiteren Senders, R.SA, der eine Radio-Show mit einer Frau bewarb, deren nackter Oberkörper in ihrem Wäschetrockner steckte, so dass ihr nur mit einem Tanga bekleideter Restkörper aufreizend ins Bild ragte. In einem solchen Fall kommt der Online-Ableger der "Bild"-Zeitung ins Spiel. Gern ist er zur Stelle, die Dinge wieder ins Lot zu bringen, sollte mal was aus der Herrenfuge rutschen. "Aber diesen Hörerinnen scheint's zu gefallen", betitelte er eine Bildergalerie mit Fotos von Frauen, die das Motiv nachstellten und das Foto an R.SA schickten. Diese Frauen sind gut dressiert. Sie wissen, was Männer wünschen. Sie haben gelernt, deren Wunsch, deren Blick zu ihrem eigenen zu machen.

Der Druck auf den Deutschen Werberat, das Thema anders als bisher zu behandeln, wächst. In Deutschland wird jeder Bürger täglich mit durchschnittlich rund 6000 Werbebotschaften konfrontiert, Kinder und Jugendliche gelten für die Industrie auch wegen ihrer leichten Beeinflussbarkeit als attraktive Zielgruppe.

Dummerweise muss es in den vergangenen Jahren Infiltrationslücken gegeben haben. Eine Vielzahl von Frauen hat sich herangebildet, deren Hirn nicht mit Nagellack, Fiat 500 und Milchschaum verklebt ist. Sie - und einige Männer - fordern nicht nur, dass der Werberat seine Richtlinien dahingehend ändert, dass er bei der Einschätzung von Diskriminierung nicht länger vom "verständigen Durchschnittsverbraucher" ausgeht, sondern dass das ironiefreie Eins-zu-eins-Denken von Kindern berücksichtigt wird.

Obendrein haben diese Weiber einfach keinen Bock mehr auf Werbung, die sich unter dem Motto "sexistische Kackscheiße" zusammenfassen lässt.

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