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Pater Kizito: Gutmensch und mutmaßlicher Übeltäter

Sexueller Missbrauch in Afrika Wenn Gutmenschen zu Übeltätern werden

Erst Europa und die USA, jetzt Afrika. Auf dem Kontinent melden sich immer mehr Opfer sexuellen Missbrauchs, berichten von Übergriffen durch Geistliche wie Pater Renato Kizito. Die Machtstrukturen spielen den Klerikern in die Hände, sie werden von den Menschen verehrt - und ihre Taten kaum geahndet.

Der Mann auf dem Bild machte einen kläglichen Eindruck. Weißes Haar, weißer Bart, struppige Augenbrauen, im Heck eines Polizeiwagens auf einem Ersatzreifen sitzend, den Fotografen zum Abschuss freigegeben. Pater Renato Kizito, 67, "Kenias vermutlich bekanntester Priester", wie die auflagenstarke Tageszeitung "Nation" berichtete, wurde mal wieder in Arrest genommen. Sein langjähriger Sekretär Collins Ochieng, 26, war zur Polizei gegangen und hatte ihn des sexuellen Missbrauchs beschuldigt.

Jahrelang habe ihn der Pater missbraucht. Zuletzt Anfang März habe er ihn zu sich nach Hause gebeten, ein Essen angeboten. Er sei müde geworden, der Pater habe begonnen ihn einzuölen. Dann sei es passiert. Noch Tage später habe er Schmerzen gehabt.

Ochieng kannte die Prozedur schon. Aber er wollte sie sich nicht mehr länger antun. Am 24. Mai ließ er sich noch einmal von Kizito einbestellen, wieder gab es zu essen, er wurde müde; doch diesmal ging er danach erst ins Krankenhaus und dann zur Polizei. Das ärztliche Attest lautete nüchtern: "Vergewaltigung; Unzucht".

Der Pater wurde festgenommen. Der Arrest währte allerdings nur eine Nacht. Als er am nächsten Tag in Nairobi der Richterin vorgeführt werden sollte, trat ein hoher Polizeibeamter des Landes auf und bestand auf seine Freilassung. Ein Kirchenmann soll zuvor beim Staatspräsidenten interveniert haben. Zwar ist der Vorgang nicht belegt, vorstellbar wäre er in Kenia aber durchaus.

"Als ich aus dem Badezimmer kam, stand er mit einem Handtuch bereit"

Kizito ist bestens bekannt in Nairobi. Er ist Oberhaupt der Koinonia-Community, eines christlichen Hilfsprojektes, das versucht, Straßenkinder Perspektiven zu ermöglichen. Das Projekt gewährt seinen Schützlingen - ganz überwiegend Jungen - Obdach, bezahlt Lehrer, bietet Möglichkeiten zu einer bescheidenen Berufsausbildung, manchmal auch Hochschulstipendien. Koinonia hat Hunderten junger Kenianer eine Perspektive eröffnet. Im Zentrum der Community steht seit 15 Jahren Pater Kizito, ein gebürtiger Italiener, der Ende der achtziger Jahre aus Sambia nach Kenia kam.

Doch nun, so scheint es, könnten seine mutmaßlichen Taten den Padre zu Fall bringen. Es ist nicht das erste Mal, dass Anschuldigungen gegen ihn erhoben werden: Schon im Sommer 2009 hatten drei junge Männer, 16 und 24 Jahre alt, eidesstattlich versichert, über längere Zeit von ihm sexuell missbraucht worden zu sein. Benson S. sagte damals aus, er sei als 15-Jähriger erstmals von dem Pater angefasst worden.

Bei einem der Treffen habe der Pater ihn gebeten, sich auszuziehen und ein Bad zu nehmen. Weiter heißt es in dem Protokoll: "Als ich aus dem Badezimmer kam, stand er mit einem Handtuch und Vaseline bereit." Benson: "Er nahm die Vaseline, berührte mein Geschlecht und meinen Hintern, dann bat er mich, zu ihm ins Bett zu kommen, und immer sollte ich die Augen geschlossen halten."

"Ich brauche deine Hilfe"

Die drei Jungen Männer gaben zu Protokoll, dass der Pater sie angeblich zum Oral- und Analverkehr genötigt habe. Es sei stets eine Filmkamera gelaufen, manchmal seien andere weiße Männer dabei gewesen, stets habe der Pater gedroht, die jungen Männer "körperlich schlimm zu bestrafen", wenn einer über das Erlebte spreche. "Ich habe das Vertrauen in die Katholische Kirche verloren", sagte einer von ihnen damals.

Der Pater pochte auf seine Unschuld und erklärte, die jungen Männer seien vermutlich für ihre Aussagen bezahlt worden, um ihn aus dem Weg zu räumen und an die millionenschweren Immobilien von Koinonia zu kommen. Die Männer zogen ihre Aussagen zurück, einer bekannte später, er sei massiv unter Druck gesetzt und mit dem Tod bedroht worden und habe deshalb widerrufen.

Inzwischen melden sich neue mutmaßliche Opfer, es ist schwer, an die Mär einer abgekarteten Kampagne zu glauben.

Auch der 25-jährige Hesbon Ouma behauptet, Opfer des Paters geworden zu sein. 2007 sei er vom Pater wiederholt zum Abendessen eingeladen worden. Der Padre erklärte ihm, er leide unter Bluthochdruck, die Ärzte hätten ihm Sex als Therapie nahegelegt, deshalb habe er gebeten: "Ich brauche deine Hilfe". Ouma fragte nach: "Wie kann ich dir da helfen?"

"Aber was werden die Leute sagen?"

Pater Kizito: "Du weißt schon wie...."

Uoma: "Brauchst du eine Frau?"

Der Pater: "Nicht direkt. Auch du kannst mir helfen."

Uoma: "Aber was werden die Leute sagen?"

In dieser Nacht sei nichts passiert, sagt Ouma. Einige Tage später kochte der Padre Spaghetti und Fleisch, auf das er selbst allerdings verzichtete. "Ich wurde plötzlich schwach", sagte Ouma SPIEGEL ONLINE. "Als ich wach wurde, war ich ganz ölig. Ich habe geduscht, und am nächsten Morgen entschuldigte sich der Padre bei mir." Es geschah immer wieder - doch Ouma ging dennoch immer wieder zum Padre. Wie oft? "Zwei Jahre lang, oft, ich habe es nicht gezählt."

In Kenia wie in ganz Afrika haben Kirchenleute eine kaum zu erschütternde Autorität, zumal solche mit weißer Hautfarbe. Ältere Männer genießen besonderen Respekt. Es ist verpönt, sich zu homosexuellen Handlungen zu bekennen. Vor allem aber war es die materielle Abhängigkeit, die die Jugendlichen und Männer schweigen ließ. Zahlreiche Opfer bezeugen, dass der Pater kleinere und größere Geldbeträge nach Gutsherrenart vergeben habe.

Gunst drückt sich aus in Jobs, Bargeld, Krediten; Missgunst in Kündigungen, Drohungen, dem Entzug von Geld. Starke Druckmittel in einem Land mit Millionen von Arbeitslosen.

Doch nicht alle machten mit. James Mutiso (Name geändert) war jahrelang eine Art Buchhalter. Auch ihm stellte Pater Kizito ein Stipendium für eine kenianische Privatuniversität in Aussicht. Bis er ihn, so erzählt es Mutiso, im August 2008 in sein Zimmer bat. "Ich bin auch nur ein Mensch. Außerdem haben mir die Ärzte erklärt, ich brauche etwas gegen meinen Bluthochdruck", soll er gesagt haben. Auch Mutiso sollte sich mit dem Pater ins Bett legen. Er lehnte ab. Noch am gleichen Tag musste er Schlüssel und Auto abgeben. Auch das Stipendium hatte sich erledigt.

Es gab Ermittlungen - doch sie kamen nie zu einem Ergebnis

Ein weiterer langjähriger Mitarbeiter der Koinonia-Stiftung, dem sich zahlreiche Jugendliche anvertraut hatten, bestätigte SPIEGEL ONLINE die mutmaßlichen sexuellen Umtriebe des Paters. "Alle erzählten das Gleiche." Von den Zeugen sei mindestens einer mit einer Pistole bedroht worden und habe daraufhin seine Aussage eilig zurückgezogen.

Nachdem die Fälle 2009 in Kenia einigen Wirbel ausgelöst hatten, hatten Kirche, Polizei und der Generalstaatsanwalt weitere Ermittlungen angekündigt. Die kamen jedoch - was nicht unüblich ist in Kenia - nie zu Ergebnissen. Und das, obwohl es einschlägiges Material in Hülle und Fülle gibt. In Nairobi kursieren diverse Videos, die den Pater im Ganzkörpereinsatz zeigen: mal völlig nackt, mal nur mit Socken bekleidet.

Die Szenen sind so traurig wie die Kulisse: Eine schäbig-schmale Schlafstätte, ein benutztes Leintuch, eine Wolldecke. Die Videos müssen mit Wissen des Paters entstanden sein, denn das Objektiv ist fest eingestellt auf das Bett. Angeblich soll einer der missbrauchten Jungen vor einiger Zeit mehrere Videos aus der Wohnung des Paters mitgenommen, kopiert und in Umlauf gebracht haben.

Der Padre will zu all dem nicht Stellung nehmen. Er schickt seine Verwaltungschefin Esther Kabugi vor. Sie sagt: "Solche Vorwürfe sind der einfachste Weg, einen Priester anzuschwärzen, zumal wenn es sich um einen weißen Priester handelt." Es gebe keine Beweise für irgendeine Art von Missbrauch oder Fehlverhalten, die habe es auch 2009 schon nicht gegeben. Die Anschuldigungen seien der Versuch ehemaliger Treuhänder des Projekts, sich die Immobilien anzueignen. Die Videos seien Fälschungen. Mit der entsprechenden Technologie könne man jedes Video bearbeiten, "die Software dazu gibt es", sagt Kabugi.

Collins Ochieng und Hesbon Ouma sind erst einmal untergetaucht und halten sich versteckt. Sie hatten anonym zahlreiche Drohungen erhalten, nachdem sie Anzeige erstattet hatten.

Pater Kizito macht weiter - mit Straßenkinderprojekten

Pater Kizito ist längst nicht der einzige Geistliche, der in Kenia auffällig wurde. Im Gegenteil, fast scheint es, als sei das Land dem Vatikan außer Kontrolle geraten. Erst vor kurzem wollten aufgebrachte Bewohner des Dorfes Ranchuonyo im Westen des Landes einen 45-jährigen Pastor lynchen, der sich in einem Kartoffelfeld an einem sechsjährigen Mädchen vergangen haben soll.

Im August 2009 hatte der niederländische Bischof Cornelius Schilder seine Mission unweit von Nairobi fluchtartig verlassen. Er hatte im Vatikan "schwerwiegende Gründe" für seine Ausreise angegeben, sein Missionsorden sprach von "gesundheitlichen Gründen". Ein 32-Jähriger behauptete, Schilder habe ihn rund 20 Jahre vergewaltigt. Die Kirche setzte eine interne Untersuchungskommission ein, die Polizei wurde nicht informiert. Schließlich untersagte der Vatikan dem Bischof alle priesterlichen Aufgaben. Niederländische Zeitungen machten die Sache schließlich öffentlich. Die Ordensleitung der niederländischen Mill-Hill-Missionare bestätigte, dass die Kirche Schilder gemaßregelt hat. Er selbst äußerte sich nicht zu den Vorwürfen.

Nachdem in Europa und Nordamerika in den vergangenen Jahren zahlreiche Missbrauchsfälle publik wurden, scheint das Thema mit einiger Verzögerung nun Afrika zu erreichen. Im Februar wurde die Anglikanische Kirche in Südafrika von einem Reverend an den Pranger gestellt: Am Kap sei sexueller Missbrauch von Minderjährigen über Jahrzehnte an der Tagesordnung gewesen. Der Vorsitzende der Südafrikanischen Bischofskonferenz bekannte öffentlich, dass es seit 1996 rund 40 Fällen von Missbrauch von Minderjährigen allein innerhalb der Kirche gegeben habe.

2010 trat der Erzbischof von Benin zurück, der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs stand im Raum. Der Geistliche bestritt die Vorwürfe, die Annäherung habe einvernehmlich stattgefunden, die Frau sei 21 Jahre alt und damit volljährig gewesen. Der ehemalige Priester Felix Koffi Ametepe aus Burkina Faso bekannte: "Mir sind viele mutmaßliche Missbruchsfälle begegnet, insbesondere bei ausländischen Kirchenleuten."

Für interne Diskussionen oder mehr Sensibilität haben all diese Fälle aber nicht geführt. Vielleicht auch deshalb sollte im vergangenen Jahr ein Jesuitenpater, der in Brasilien acht Jungen und junge Männer missbraucht haben soll, geräuschlos nach Mozambik transferiert werden.

Auch bei Pater Kizito schaut der Vatikan geduldig zu. Seine Straßenkinder-Projekte betreibt der Pater weiter. Was er sonst noch so treibt, ist nicht im Detail bekannt. Und es scheint so, als ob es die Kirche auch weiterhin nicht wissen will.

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