Sorgerecht Der Kampf des Vaters

Mehr als ein Jahr musste Peter Schmidt warten, bis seine Kinder nach der Trennung von seiner Frau aus dem Heim zu ihm durften - obwohl er das alleinige Sorgerecht bekommen hatte. Der Fall zeigt die Schwächen im System der Jugendhilfe.
Junge mit Eltern (Symbolbild): Erbitterter Sorgerechtsstreit

Junge mit Eltern (Symbolbild): Erbitterter Sorgerechtsstreit

Foto: Corbis

Am Tag, als seine Kinder ins Heim kamen, war Peter Schmidt* erleichtert. Es war der 10. Dezember 2010, ein Freitag. Endlich waren Anna und Paul einer familiären Situation entkommen, die Schmidt für die Kinder und sich als unerträglich empfand. Doch die Erleichterung war ein trügerisches Gefühl, wie sich zeigen sollte.

Wer verstehen will, warum ein Vater überhaupt erleichtert ist, wenn ihm die Kinder entzogen werden, muss ein paar Jahre zurückgehen. Peter Schmidt heiratete 1999, führte eine glückliche Ehe. 2001 kam Anna zur Welt, 2006 Paul. Die Familie lebte in Hessen, zog erst im September 2010 nach R. in Nordrhein-Westfalen um.

Wenige Monate nach Pauls Geburt bemerkte Schmidt Veränderungen an seiner Frau. Sie habe Streit gesucht, sei bei Kleinigkeiten explodiert - etwa, wenn er im Wohnzimmer die falsche Lampe angemacht habe. "Am Anfang habe ich mir gesagt: Mein Gott, das zweite Kind, der Stress."

"Wir haben zusammen gelebt, wir hatten keine Beziehung"

Es wurde schlimmer. Seine Ex wurde gegen Schmidt handgreiflich; Türen wurden eingetreten, Geschirr ging zu Bruch. Schmidt flüchtete sich in Zynismus, wurde selbst auch gewalttätig. Bilder zeigen, dass er in den Auseinandersetzungen Blutergüsse und Kratzer davontrug, seine T-Shirts wurden teilweise zerfetzt.

Hilfe durch das Jugendamt brachte kurz Besserung. Die Gewalt ebbte ab. "Wir haben zusammen gelebt, wir hatten keine Beziehung. Damit hätte ich leben können, der Kinder wegen", sagt Schmidt. Bis zum Umzug nach R. funktionierte dieses Modell.

Wenige Tage später, sagt Schmidt, kam es aber erneut zur Eskalation. Seine Frau habe vor den Augen der Kinder mit Fäusten auf seinen Kopf eingeschlagen. Das Familienleben war endgültig zerrüttet, die Kinder lebten in einem toxischen Umfeld, geprägt von Angst und Gewalt. Das Wohl der Kinder hatten die Eltern überhaupt nicht mehr im Blick. Mit vier Jahren konnte Paul nur wenige Worte sprechen, trug eine Windel. Anna, damals zehn, verhielt sich oft besonders albern oder wie ein Kleinkind.

Schmidt ging zur Anwältin. Seine Frau sollte das Haus verlassen, er wollte das alleinige Sorgerecht. Dass seine Frau dies als endgültigen Vertrauensbruch empfinden musste, war ihm klar. "Als die Vorladung zu Hause ankam, war keine schöne Stimmung", sagt er.

So trafen sich die Eheleute an jenem 10. Dezember 2010 vor Gericht. Noch am selben Tag wurden Anna und Paul ins Heim gebracht. Dem Jugendamt übertrug das Gericht unter anderem das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Gesundheitsfürsorge.

Mehr als ein Dutzend Prozesse

Es war der erste Gerichtstermin von so vielen, dass Schmidt den Überblick verloren hat. "Die ganze Sache ist kein Standard-Sorgerechtsfall", sagt seine Anwältin Judith Neuhaus-Piper. "Juristisch wurde alles ausgereizt, was ging." Die Noch-Eheleute strengten mehr als ein Dutzend Prozesse an, es ging um Scheidung, Hausrat, Wohnung, Unterhalt - vor allem aber um die Kinder.

Schmidt glaubte, die Trennung von Anna und Paul würde enden, wenn die Trennung von seiner Frau vollzogen wäre. Heute weiß er, wie naiv das war.

Tatsächlich zog seine Frau Ende Mai 2011 aus der Doppelhaushälfte aus. Im Juli lag ein vom Gericht beauftragtes Gutachten vor, das empfahl, Schmidt trotz erzieherischer Defizite das alleinige Sorgerecht zuzusprechen. Die Mutter wurde als nicht erziehungsfähig eingestuft. Das Amtsgericht ordnete an, die Rückführung der Kinder in den väterlichen Haushalt vorzubereiten - das Jugendamt wollte die Kinder lieber noch im Heim belassen. Das Sorgerecht sollte Schmidt erst wieder bekommen, wenn das Zusammenleben klappte.

Schmidt sagt, er könne verstehen, dass das Gutachten einige Monate in Anspruch nahm. Dass es danach noch mehr als ein Jahr dauern sollte, bis beide Kinder wieder bei ihm waren, versteht er dagegen nicht. "Ich bin stinksauer auf ein Rechtssystem, das es zulässt, dass Kinder nicht zurück nach Hause kommen, wenn der Grund für ihre Unterbringung im Heim wegfällt."

Professor Klaus Wolf von der Forschungsgruppe Pflegekinder an der Universität Siegen kann Schmidts Ärger nachvollziehen. Lange Rückführungszeiträume in Deutschland seien ein Problem. Im ersten halben Jahr nach der Herausnahme aus der Familie seien die Erfolgsaussichten am besten, bevor die Kinder woanders Wurzeln schlügen oder "hin- und hergerissen sind zwischen Zuhause und Heim".

"Da kam ich mir verarscht vor"

Anna zog im April 2012 wieder ein, Paul erst im August - die Behörden erachteten Schmidts Beziehung zur Tochter für stabiler als die zum Sohn. "Er war schon über anderthalb Jahre im Kinderheim, er hatte sich von mir entfremdet", sagt Schmidt. Anfang Juli 2012 sprach das Amtsgericht in R. ihm das alleinige Sorgerecht zu, eine Beschwerde der Mutter verwarf ein Oberlandesgericht im Oktober 2012. Die Frau wollte sich auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE nicht zu dem Fall äußern.

Schmidt durchlief einen Rückführungsplan - beaufsichtigte 90-Minuten-Treffen und Videotraining inklusive. "Ich habe gelernt, wie ich meine Kinder begrüßen muss, wie ich Augenkontakt halte, wie man sich verabschiedet. Da kam ich mir verarscht vor, um es vorsichtig zu sagen." Er behielt sein Unverständnis für sich, aus Angst, die Behörden könnten ihm die Kinder wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft wieder entziehen. Deswegen äußert er sich auch erst jetzt zu dem Fall - nur mit dem zeitlichen Abstand fühlt er sich sicher.

Es ist leicht nachvollziehbar, dass bei Schmidt der Eindruck entstand und vielleicht sogar entstehen musste, das System - Jugendamt, Kinderheim, Gerichte - sei darauf angelegt, ihm die Rückkehr seiner Kinder zu erschweren oder gar zu verweigern. Auch vom Kinderschutzbund in R. heißt es, dass die langen Zeiträume dem Wohl der Kinder nicht immer dienlich seien. Forscher Wolf sagt, durch lange Rückführungszeiten würden Nachteile für Kinder manifestiert.

"Ich habe meine Existenz aufs Spiel gesetzt"

Aber selbst Schmidts Anwältin Neuhaus-Piper sagt, dass ihr Mandant nicht ungewöhnlich lange auf die Rückkehr seiner Kinder warten musste. Jugendämter und Familiengerichte sind schlicht überlastet - Sachbearbeiter müssen sich um Dutzende Familien kümmern, einzelne Richter teilweise um 50 Verfahren gleichzeitig.

Schmidt hat der Kampf um seine Kinder Nerven, Kraft und viel Geld gekostet. "Ich habe meine Existenz aufs Spiel gesetzt, um meine Kinder aus dem Heim zu bekommen."

Dass er als geschiedener Mann das alleinige Sorgerecht bekam, ist keine Selbstverständlichkeit. In Ämtern und Bevölkerung herrschten immer noch tradierte Rollenverständnisse, sagt Forscher Wolf. Väter stünden unter einem besonderen Beweisdruck, der Blick der Behörden könne misstrauischer sein als bei Frauen. "Das Deutungsmuster 'Kinder gehören zur Mutter' herrscht vor. Bei Vätern wird eher gefragt: 'Schafft der das?'"

Schmidt hat, wenn man so will, noch Glück gehabt.

* Namen aller Familienmitglieder geändert

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