Zwangsverhütung bis in die Siebzigerjahre Dänemark ließ grönländischen Frauen offenbar gegen ihren Willen Spiralen einsetzen

Grönlands Hauptstadt Nuuk: Die Hälfte aller fruchtbaren Frauen der arktischen Insel soll betroffen gewesen sein
Foto: Martin Zwick / UIG / IMAGODänemarks jüngere koloniale Vergangenheit holt das Land erneut ein. Nur wenige Wochen nachdem sich Regierungschefin Mette Frederiksen persönlich bei mehreren Grönländern dafür entschuldigt hat, dass sie als Kinder in den Fünfzigerjahren aus ihren Familien gerissen und nach Dänemark zwangsadoptiert wurden, stehen nun neue Vorwürfe im Raum.
Recherchen von Danmarks Radio zufolge verschleppte Kopenhagen nicht nur grönländische Kinder aus ihrer arktischen Heimat, sondern verhinderte demnach auch systematisch Geburten – bis weit in die Siebzigerjahre hinein. Die Rede ist von teilweise per Zwang durchgeführten Verhütungen der größtenteils indigenen Bevölkerung.
Dabei sollen Frauen auf Grönland Spiralen eingesetzt worden sein – in vielen Fällen gegen den Willen der Betroffenen. Zahlreichen Schülerinnen des Landes wurde dem Sender zufolge im Alter von 14 oder 15 Jahren das Verhütungsmittel bei einem Schularzt implantiert.
Sollten Kosten für die Kolonie Grönland gedrückt werden?
Die Rede ist von 4500 verabreichten Spiralen zwischen 1966 und 1975. Zahlreiche Betroffene seien physisch und psychisch traumatisiert worden. Angesichts von insgesamt etwa 20.000 weiblichen Grönländern in den Sechzigern könnten so bis zur Hälfte aller fruchtbaren Frauen der Insel betroffen gewesen sein.
Als Gründe sollen die Angst vor höheren Kosten für Kindertagesstätten, Schulen oder Kliniken in Grönland hergehalten haben. Genauso habe es das Ziel gegeben, ungewollte oder uneheliche Schwangerschaften bei jungen Grönländerinnen zu verhindern.
Aki-Matilda Høegh-Dam, die seit 2019 für die grönländische sozialdemokratische Partei Siumut im dänischen Parlament in Kopenhagen sitzt, äußerte sich nach Veröffentlichung der Recherchen empört. »Das grenzt an Völkermord«, sagte sie laut der grönländischen Zeitung »Sermitisiaq«.
Die Politikerin verlangt Aufklärung darüber, wer damals die Verantwortung für die Behandlungen trug und das Ziel ausgab, die Geburtenrate auf Grönland zu senken. Der Schaden, der dadurch angerichtet worden sei, müsse anerkannt werden.

Ministerpräsidentin Mette Frederiksen mit Helene Thiesen, die 1951 nach Dänemark verschleppt wurde
Foto: Christian Klindt / Ritzau Scanpix / IMAGODie grönländische Regierung Naalakkersuisut verlangt »Sermitsiaq « zufolge ebenfalls eine Untersuchung. »Damit wir wissen, was Sache ist«, teilte demnach die Ministerin für Kinder, Jugend, Familien und Gesundheit in Grönland, Mimi Karlsen, mit. »Es ist eine harte, aber notwendige Geschichte, die ans Licht gebracht werden muss.«
Der dänische Gesundheitsminister Magnus Heunicke teilte Danmarks Radio mit, er wolle eine Untersuchung einleiten. Der Sozialdemokrat sprach demnach von einer »zutiefst problematischen Gesundheitspraxis, die aus heutiger Sicht völlig unverständlich ist«. Genaue Informationen lägen ihm zu den Vorgängen bislang aber nicht vor.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung war von Hormonspiralen die Rede. Diese Weiterentwicklung der Spirale wurde jedoch erst später erfunden. Wir haben die Bezeichnung korrigiert.