Sterbehilfe-Debatte im Bundestag Wie wollen wir sterben?

Sterbehilfe-Debatte im Bundestag: Wie wollen wir sterben?
Foto: Sebastian Kahnert/ dpaWürdevoll sterben - kaum ein Thema wird in Deutschland so kontrovers diskutiert. Wenn ein Mensch sterbenskrank ist und leidet, soll ihm dann sein Arzt ein tödliches Medikament verabreichen dürfen? Sollte es Vereine geben, die einen Kranken zum Tod begleiten? Und wie wollen wir todkranke Menschen am Ende ihres Lebens betreuen? Am Donnerstag diskutiert der Bundestag erstmals in großer Runde über eine Neuregelung der Sterbehilfe.
Vier Stunden sind angesetzt, es dürfte eine emotionale Debatte werden. Verschiedene Arbeitsgruppen stellen ihre Positionspapiere vor. Die Abgeordneten sollen über die Parteigrenzen hinaus nach ihrem Gewissen entscheiden. Über einen konkreten Gesetzentwurf wird voraussichtlich im Herbst 2015 abgestimmt.
Worüber wird debattiert? Im Fokus der Diskussion steht die assistierte Selbsttötung. Das bedeutet: Eine Person leistet Hilfe zum Suizid, etwa durch die Beschaffung eines tödlichen Medikaments. Der Patient muss es selbstständig einnehmen, das Mittel darf nicht verabreicht werden, der Beschaffer nicht einmal die Hand des Todkranken führen. Eine Frage ist: Wer soll das zum Tod führende Medikament besorgen dürfen?
Wie ist die momentane Gesetzeslage? Beihilfe zum Suizid ist nicht strafbar. Umstrittene Vereine wie "Sterbehilfe Deutschland" des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch sind nicht verboten. Ärzte befinden sich in einer gesetzlichen Grauzone. Ihnen ist die Hilfe zur Selbsttötung in einigen Bundesländern durch die dortigen Berufsordnungen untersagt. Bei einem Verstoß drohen ihnen theoretisch berufsrechtliche Konsequenzen bis hin zum Entzug der Zulassung.
Wer will was?
- Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) fordert ein umfassendes Verbot der organisierten Hilfe zur Selbsttötung - darunter fallen Sterbehilfevereine aber auch ärztlich unterstützter Suizid. "Es darf nicht sein, dass Selbsttötung gleichsam als Behandlungsvariante neben anderen angeboten wird", sagte Gröhe im SPIEGEL. Er will stattdessen den Ausbau des Hospiz- und Palliativwesens ausweiten. Laut NDR plant das Ministerium 150 bis 200 Millionen Euro im Jahr für die Betreuung schwerstkranker Menschen ein.
- Eine Mehrheit der Unionsfraktion unterstützt Gröhe, darunter Fraktionschef Volker Kauder und CSU-Chef Horst Seehofer. "Die verkehrteste Antwort wäre: Wir greifen zur Pille", so Seehofer. Ausgenommen von einem Verbot der organisierten Sterbehilfe seien Angehörige. "Auch behandelnde Ärzte, die im Einzelfall einem Patienten ein Medikament zum Suizid zur Verfügung stellen, geraten nicht in die Gefahr der Strafverfolgung, wenn sie es nicht zum regelmäßigen Gegenstand ihres 'Behandlungs'-Angebots machen", hieß es in dem Papier, das die Abgeordneten Claudia Lücking-Michel (CDU), Michael Brand (CDU) und Michael Frieser (CSU) vorstellten.
- Nach den Plänen von Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU), SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und der stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Carola Reimann soll der ärztlich assistierte Suizid ausdrücklich erlaubt werden - allerdings nach klaren Kriterien. Demnach soll ein Arzt einem Patienten, der an einer unumkehrbar zum Tode führenden Krankheit leidet und einen sehr starken Leidensdruck verspürt, künftig ein zum Tod führendes Medikament zur Verfügung stellen dürfen, wenn er und ein weiterer Mediziner dieses Leiden nachvollziehen können. Die Arbeitsgruppe will einen entsprechenden Passus in das Bürgerliche Gesetzbuch eintragen, ins Umfeld des Paragrafen 1901a zur Patientenverfügung. Damit wäre das Berufsrecht der Ärzte an der Stelle ausgesetzt, Mediziner und Patienten sollen so Rechtssicherheit bekommen, sagte Hintze dem SPIEGEL. "Entscheidend ist, dass niemand einem anderen vorschreiben sollte, wie er zu sterben hat und wie viel Leid er am Lebensende aushalten soll." Allerdings soll die Regelung nicht für Patienten mit schweren Depressionen gelten. Und: Die Arbeitsgruppe spricht sich gegen organisierte Sterbehilfe und damit auch Sterbehilfevereine aus. Begründung: Vielen der dort Behandelten, könne auch anders geholfen werden.
- Die Bundesärztekammer lehnt Hintzes Vorstoß ab, die assistierte Selbsttötung für Mediziner rechtlich zu regeln, und unterstützt Gröhe. "Wir möchten nicht die Profis für den Tod sein", sagte Frank Ulrich Montgomery kürzlich.
- Die SPD-Politikerinnen Kerstin Griese und Eva Högl haben ein Papier aufgesetzt, das die organisierte Sterbehilfe ausschließt und Vereinen wie Einzelpersonen eine regelmäßige Suizidassistenz untersagt. Damit blieben Einzelfälle weiter straffrei - auch für Ärzte. Mit denen will Griese verhandeln, wie man entsprechenden Spielraum in das Berufsrecht integrieren könnte. Außerdem will sie wie Gröhe die Palliativangebote stärken.
- Eine der liberalsten Positionen vertritt die Gruppe um Grünen-Politikerin Renate Künast. Sie plädiert in einem Positionspapier dafür, Sterbehilfevereine unter klaren Auflagen zuzulassen. Der Staat müsse die Vereine verpflichten, nur Unkosten deckend zu arbeiten. Ein Verbot der Vereine werde keine "Vermeidung von Selbsttötung sein, sondern die Reise ins Ausland" befördern, schrieb Künast in einem Gastbeitrag für den "Tagesspiegel". Unterstützt wird die Grünen-Politikerin von Parteikollege Kai Gehring und Petra Sitte (Linke).
Die katholische Kirche lehnt Sterbehilfe ab - auch den assistierten Suizid. Die Evangelische Kirche Deutschland betonte in einer Stellungnahme die "kirchliche Ablehnung von Selbsttötung und Beihilfe zur Selbsttötung".
Wie schwer eine Entscheidung fällt, wie unterschiedlich jeder einzelne Fall ist, zeigen die Worte des früheren EKD-Vorsitzenden Nikolaus Schneider. Seine Frau Anne ist an Krebs erkrankt, Schneider trat daher von seinem Amt als Ratsvorsitzender zurück. Er würde seine Frau zum assistierten Suizid begleiten, sagte er. Nicht aus Überzeugung, er lehnt Sterbehilfe ab. Sondern aus Liebe.