Strafvollzug in Kalifornien Überfüllt, verwahrlost, grausam

Kaliforniens Gefängnisse sind chronisch überfüllt, die Häftlinge werden so schlecht versorgt, dass manche deshalb sterben. Gouverneur Arnold Schwarzenegger will den Strafvollzug reformieren - stößt aber sogar mit seinen halbherzigen Initiativen auf erbitterten Widerstand.
Von Gunda Trepp
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Kalifornischer Knast: "Lock 'em up" und die Folgen

Foto: Rich Pedroncelli/ ASSOCIATED PRESS

Das staatliche Gefängnis in Tracy, rund eine Stunde Autofahrt von San Francisco entfernt, ist in den fünfziger Jahren für 1700 Insassen gebaut worden. Im Jahr 2009 beherbergt der Bau 3900 Männer.

Sie schlafen dicht an dicht in dreistöckigen Betten. Und sie schlafen überall: auf Fluren, in umfunktionierten Aufenthalts- und Sporträumen, in der großen Versammlungshalle. Wie in Tracy sieht es in allen 33 Haftanstalten in Kalifornien aus. Darin sind heute 155.000 Gefangene untergebracht, beinahe doppelt so viele wie in den Bauplänen vorgesehen. Kritiker bezeichnen die Einrichtungen seit Jahren als reine Verwahranstalten.

Lange schien sich an diesem Zustand nichts zu ändern. Doch im August hat ein Bundesgericht in San Francisco die Regierung unter Gouverneur Arnold Schwarzenegger verdonnert, die Zahl der Häftlinge innerhalb von zwei Jahren um 40.000 zu reduzieren. Seither kommt einiges in Bewegung.

Zwar hat der Staat Berufung gegen die Order beim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten eingelegt. Doch gleichzeitig präsentierte Schwarzenegger nun fristgemäß seine Pläne, mit denen er die Auflage zumindest teilweise zu erfüllen gedenkt.

"Wahrscheinlich war er gar nicht so unglücklich über die Schützenhilfe", sagt Sally Lieber, eine der profiliertesten Kritikerinnen der Haftzustände und bis 2008 demokratische Abgeordnete in der Landeshauptstadt Sacramento, "man muss ihm wirklich zugute halten, dass er versucht hat, etwas zu verändern." Doch nachdem der Gouverneur sein Amt 2003 angetreten hatte, musste er nicht nur erkennen, dass er ein verwahrlostes Gefängnissystem übernommen hatte, sondern auch, dass viele Leute es partout nicht ändern wollten.

"Politiker wollen erst einmal zeigen, dass sie hart sind"

Mit wichtigen Forderungen, wie zum Beispiel das Strafmaß für geringere Taten herabzusetzen, damit weniger Angeklagte in den Staatsgefängnissen landen, biss er bei den Abgeordneten auf Granit.

Vor vier Jahren schließlich entzog ein Richter dem Staat die Gesundheitsfürsorge in den Gefängnissen und übertrug sie einem Bundesverwalter. "Nach allen Maßstäben ist das Gesundheitssystem in kalifornischen Gefängnissen irreparabel zerbrochen", schrieb Richter Thelton Henderson in seiner Anweisung.

Die Überfüllung der Anstalten sei verantwortlich dafür, dass keine gesundheitliche Fürsorge mehr gewährleistet sei, insbesondere nicht für die rund 34.000 psychisch Kranken. Der Staat verstoße damit gegen die Verfassung, die eine grausame oder ungewöhnliche Bestrafung verbietet. "Im Schnitt stirbt in kalifornischen Gefängnissen alle sechs bis sieben Tage ein Häftling deswegen einen sinnlosen Tod", sagte Henderson, der auch das jüngste Urteil mitzuverantworten hat.

Einen solchen Eingriff in die Souveränität eines Bundesstaates hat es seit 1957 nicht mehr gegeben, als Präsident Eisenhower Truppen nach Arkansas schickte, um schwarzen Schülern den Zugang zum Gymnasium zu sichern.

Der drastische Schritt habe sicherlich einige ihrer Kollegen zum Nachdenken gebracht, sagt Sally Lieber. "Doch unser wichtigster Feind ist der Populismus", sagt sie, "Politiker wollen immer erst einmal zeigen, dass sie hart sind, wenn es um Verbrechen geht." Das hat in Kalifornien dazu geführt, dass selbst an Praktiken, die andere Staaten mittlerweile als unsinnig ansehen, nicht gerührt wurde.

So verlassen fast alle Häftlinge die Haftanstalten nur auf Bewährung, auch wenn sie keine Gewaltdelikte oder anderen schweren Straftaten verübt haben. Vergessen sie, rechtzeitig bei ihrem Bewährungshelfer anzurufen, können sie für die nächsten Jahre wieder im Knast landen.

"Das kaputte Bewährungssystem ist für die Überfüllung verantwortlich"

76 Prozent der Gefangenen waren schon vorher hinter Gittern, und die meisten von ihnen sind zurück, weil sie ihre Bewährungsauflagen verletzt haben. Sogar dem Sprecher der landesweiten Gefängnisbehörde, Gordon Hinkle, geht das auf die Nerven: "Kalifornien steht im Vergleich in den Statistiken als hochkriminell da, nur weil wir es als Rückfall ansehen, wenn jemand eine Besprechung verschwitzt."

Aufgeschreckt von der harschen Richterschelte und von der Staatsverschuldung - mit 10,3 Milliarden Dollar machen die Kosten für den Strafvollzug fast zehn Prozent des Haushalts aus - tragen die kalifornischen Parlamentarier nun einige Änderungen mit, die Schwarzenegger lange durchsetzen wollte.

Einige Regeln, die nächstes Jahr in Kraft treten, sollen unter anderem verhindern, dass auch künftig automatisch jeder, der gegen seine Bewährungsauflagen verstößt, wieder ins Gefängnis wandert. "Das wäre ein Riesenfortschritt", sagt Donald Specter, Anwalt im 'Prison Law Office', einem gemeinnützigen Verein, der sich für die Rechte von Häftlingen einsetzt, und der mit einer Klage Ende der neunziger Jahre die Diskussion um die medizinsche Versorgung in den Haftanstalten angestoßen hat. "Das völlig kaputte Bewährungssystem ist zu einem guten Teil für die Überfüllung verantwortlich."

Von dem ebenfalls geplanten Bau neuer Gefängnisse hält er dagegen nichts. Dumm sei das, sagt er, "die werden sie vollstopfen, und alles ist wieder beim Alten". Stattdessen müssten Richtlinien für neue, niedrigere Strafmaße festgesetzt werden.

Wer zum dritten Mal straffällig wird, kommt für mindestens 25 Jahre in Haft

Doch mit diesem Plan ist Gouverneur Schwarzenegger bei seiner gesetzgebenden Versammlung schon genauso abgeblitzt, wie mit seiner Idee, jemanden erst dann wegen schweren Diebstahls zu bestrafen, wenn er mehr als 950 Dollar stiehlt, anstatt 400 Dollar wie heute.

So etwas würde die Justiz kompromittieren, sagte der republikanische Abgeordnete Jim Nielsen. Und die California Correctional Peace Officers Association (CCPOA), die mächtige Gewerkschaft der Gefängniswärter, sieht schon die geplanten neuen Bewährungsregeln als Bedrohung für den Rechtsstaat. "Wenn man abgebrühte Kriminelle ohne jede Begleitung entlässt, wird die Verbrechensrate steigen und Menschenleben werden verloren gehen", ließ CCPOA-Vizepräsident Chuck Alexander verlauten.

Ähnlich haben Opferschutzverbände und Gewerkschaft argumentiert, als es vor einigen Jahren um das Three-Strike-Gesetz ging, demzufolge jeder, der zum dritten Mal straffällig wird, für mindestens 25 Jahre in der Haft verschwindet.

2004 sollte die Regelung mit einem Bürgervotum auf Gewaltverbrechen beschränkt werden. Doch nachdem die Hardliner mobil gemacht hatten, stimmten beinahe 53 Prozent für die Beibehaltung der Vorschrift.

Am liebsten die Häftlinge ignorieren

8454 Häftlinge in Kalifornien wurden nach diesem Gesetz verurteilt, unter anderem Ali Foroutan, der lebenslang sitzt, nachdem er mit 0,03 Gramm Methamphetaminen erwischt worden war - 15 Jahre zuvor hatte er zwei Einbrüche begangen. 32.660 Häftlinge sitzen doppelt so lange, wie sie eigentlich müssten, weil sie zum zweiten Mal verurteilt worden sind. Auch diese Two-Strike-Passage gehört zum Gesetz.

Man könne noch überhaupt nicht absehen, wie viel weniger Gefangene man durch die geplanten Regelungen tatsächlich haben werde, sagt Sally Lieber, vielleicht einige tausend. Um bis zu 27.000 könne man die Zahl in den nächsten Jahren verringern, wenn alles gutgehe, sagt Behördensprecher Hinkle. Doch das setze voraus, dass sich die Mentalität der Politiker von Grund auf verändere, sagt Lieber.

"Dazu wiederum müssten sich aber die Menschen verändern, die diese Politiker ja wählen", sagt sie. Doch bisher präferierten die kalifornischen Bürger die Vogel-Strauß-Haltung: "Sie würden am liebsten die Häftlinge ignorieren und darauf hoffen, dass das Problem so irgendwie verschwindet. Es verschwindet aber nicht."

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