Fotostrecke

Prostituierte in Kenia: Tanzen für ein besseres Leben

Foto: Christoph Koitka

Prostituierte in Kenia Tanz der Geächteten

Prostituierte bieten sich in Kenia für weniger als zwei Euro an. Sie werden oft geächtet von der Familie, von Freunden, von der Gesellschaft. In einem Workshop tanzen 30 Sexarbeiterinnen, um Selbstbewusstsein zu entwickeln.
Von Christoph Koitka

Wie eine Filmkulisse zeichnet sich die alte Kirche strahlend weiß ab gegen die Gewitterwolken am Himmel über der kenianischen Stadt Naivasha. Aus dem Inneren des Gebäudes ist Gelächter zu hören, Stimmen reden durcheinander. In der kargen Halle der seit längerem ungenutzten St. Francis Xavier Catholic Church haben sich 30 Frauen versammelt. Einige waren noch drei Stunden zuvor unterwegs in den staubigen, ungepflasterten Straßen und den schmierigen, verräucherten Bars der Stadt.

"One, two, three, four!", auf Kommando des Tanztrainers bringen sich die Frauen in Position, Musik erklingt, die Choreografie beginnt, die Frauen spreizen ihre Arme zu Flügeln.

Die Frauen sind Sexarbeiterinnen. Sie bieten sich teilweise schon für 200 "Bob" an, so nennt der kenianische Volksmund die Währung Schilling. Umgerechnet sind das etwa 1,70 Euro. Für die ganze Nacht bezahlen Freier etwa das Fünffache.

"Kikuyu-Väter lieben ihre Kinder nicht"

Prostituierte stehen ganz am Rand der kenianischen Gesellschaft, ihr Tun wird geächtet, die meisten werden von Freunden und Familie verlassen, sobald bekannt wird, womit sie ihr Geld verdienen. Das soll sich ändern, zumindest für die Frauen, die für den mehrwöchigen Tanz-Workshop in die Kirche gekommen sind.

Viele sind hier, um etwas für ihre Gesundheit zu tun: Es wird nicht nur getanzt, eine Gynäkologin besucht die Frauen, untersucht sie auf einer Holzpritsche und klärt sie vor allem über Gebärmutterhalskrebs auf. Auch ein Aidstest wird angeboten.

Manche aber trieb auch die Hoffnung, der Tanz können ihnen eine neue Perspektive geben, er möge sie hinaustragen aus ihrem tristen und manchmal brutalen Alltag.

Mary zum Beispiel, 25 Jahre alt, im Workshop nennen sie einige "Topmodel", womit vieles über ihr Aussehen gesagt ist. Mary hat wie die meisten Sexarbeiterinnen von ihren Kunden und Männern im Allgemeinen ein schlechtes Bild. "Kikuyu-Väter lieben ihre Kinder nicht", sagt sie. Mit 17 bekam sie ihre erste Tochter, drei Jahre später wurde sie erneut schwanger. Ihr Mann begann, sie zu schlagen. Ihr blieb nur die Flucht. "Meine Töchter habe ich natürlich mitgenommen. Wer weiß, ob er ihnen nicht auch etwas angetan hätte." Mary träumt davon, nach Nairobi zu gehen und als Model zu arbeiten. Und sie glaubt, der Kurs werde ihr dabei helfen.

"Das ist ein großes Problem", ärgert sich Charles Mwangi. Der Kenianer wirkt als Tanztrainer beim Projekt mit. "Die Frauen denken alle, dass sie jetzt nach vier Wochen Stars in der Hauptstadt werden können."

An Mwangis Seite arbeitet auch eine Deutsche in dem Workshop mit: Amrei Krings, 26. Die Medizin-Promovendin ließ sich durch den englischen Choreografen Royston Maldoom inspirieren. Maldooms Konzept des Community Dance, dem Tanz als Mittel der Sozialarbeit, wurden 2004 durch den Dokumentarfilm "Rhythm Is It!" bekannt. "Ich habe sein Buch gelesen und war sofort Feuer und Flamme", sagt Krings.

Ihr Studiengang "Global Health" führte sie in die kenianische Hauptstadt Nairobi. Dort, 90 Kilometer südöstlich von Naivasha, traf sie vor zwei Jahren auf Catherine Wanjohi. Die gebürtige Kenianerin engagiert sich für Frauen und Mädchen, die Missbrauch erfahren haben. Wanjohi berichtete der Deutschen von der Arbeit mit ihrer Organisation Life Bloom Services International. Sie erzählte von Frauen in Naivasha, die sich aus Not illegal prostituieren und von Freunden und Familie gemieden werden, sobald dies bekannt wird. Krings brachte Maldooms Idee vom Tanz als Lebenshilfe ins Spiel, gemeinsam mit Wanjohi erarbeitete sie ein Projekt.

Unter ihrer Anleitung üben die Frauen eine Choreografie ein, sie besteht aus Einflüssen aus Modern Dance und traditionell-afrikanischem Tanz. Und sie schreiben Gedichte, Verse über Dinge, die für sie unmöglich sind. Darunter Banales wie "Es ist unmöglich für den Elefanten, einen Menschen zu gebären" oder "Das Warzenschwein kann seine Klappe nicht halten".

Freunde bleiben fern

Gemeinsam haben sie eine Bitte formuliert: "Lass mich lernen, zu fliegen und für immer zu leben. Lass mich die Welt auf den Kopf stellen. Ermögliche mir es, dass ich alle dazu bringe, einander zu lieben. Lass mich die Religion nutzen, um alle zu vereinen. Lass mich eine Königin werden. Mache aus mir eine Königin. Bist du eine Königin?"

Nach vier Wochen steht die Choreografie. Sie, die sich sonst oft verstecken müssen, geächtet und mit ihren Sorgen ignoriert, stellen sich auf die Bühne. Geschützt nur durch die Schminke im Gesicht, wie ein Kollektiv von Kriegerinnen sehen sie aus. Die Frauen tragen ihre Verse vor, nach jedem Gedicht machen die Frauen eine Tanzbewegung. Im Finale dann tanzen sie ihre eingeübte Choreografie, niemand spricht mehr.

Am Ende Applaus, doch es sind wenige Hände, die den Frauen zuklatschen. Noch Stunden vor der Aufführung waren die Frauen überzeugt gewesen, dass ihre Freunde, die sie angesprochen hatten, kommen würden. Doch manche sagten kurzfristig ab, andere kamen einfach nicht. So jubeln vor allem Schulkinder den Frauen zu.

Eine Enttäuschung für die Frauen. Amrei Krings macht dafür auch die Partner vor Ort verantwortlich: Es sei zu wenig für die Veranstaltung geworben worden.

Trotzdem haben die Frauen wichtige Lektionen gelernt. Das Training hat sie für ihren eigenen Körper sensibilisiert. "Ich achte jetzt viel mehr auf mich und meine Gesundheit", erzählt Mary am Ende des Workshops. "Für meine Töchter mache ich meinen Job und koche extra gesund - aber mit mir selbst bin ich bisher eher nicht gut umgegangen."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren