Politiker in Rechtsrock-Hochburg Herr Böse ist ratlos

Themar in Thüringen hat sich zu einem Treffpunkt für die Rechtsrock-Szene entwickelt. Bürgermeister Hubert Böse sieht dem Treiben hilflos zu - und zeigt sich enttäuscht von manchen Mitbürgern.
Hubert Böse

Hubert Böse

Foto: DPA

Dieser Text ist Teil der Serie "Im Angstland". Eine Übersicht über alle Artikel finden Sie hier.


Ziemlich apokalyptisch klingt es, wenn Hubert Böse über die Ereignisse der vergangenen beiden Sommer spricht. Seine Stadt sei Schauplatz einer "Heimsuchung von 6000 Neonazis" geworden, sagt er - ganz so, als wären die rechten Konzerte im thüringischen Themar unvorhersehbare Naturkatastrophen gewesen: fürchterlich, aber eben auch nicht zu verhindern.

"Die kamen von überall her", sagt Bürgermeister Böse, "aus ganz Deutschland und vielen Nachbarstaaten." Was er damit sagen will: Themar ist in seinen Augen nicht die Stadt der Täter, die Stadt selbst ist das Opfer. "Die leben hier ihr Lebensgefühl aus, aber Themar ist ja keine Neonazi-Hochburg."

Und trotzdem gibt es kaum ein Thema, dass den Lokalpolitiker zuletzt so sehr gefordert hat wie die Neonazi-Umtriebe in Themar. Mehrere Gerichte haben sich mit den Rechtsrock-Konzerten befasst, schließlich fiel eine Entscheidung zugunsten der Versammlungsfreiheit. Böse sind damit die Hände gebunden, selbst ein Kauf des Veranstaltungsgeländes wäre seiner Meinung zufolge sinnlos: "Dann wird das vielleicht einfach woanders stattfinden."

Der 66-Jährige, seit mehr als 18 Jahren ehrenamtlicher Bürgermeister, ist betroffen von einem gesellschaftlichen Rechtsruck, der ihn als Privatmann nicht trifft, Böse wurde weder bedroht noch belästigt. Aber die Tausenden Rechten, die im Sommer nach Themar kommen, haben nicht nur den Ruf der Stadt in Mitleidenschaft gezogen. Sondern auch Böses politisches Selbstverständnis.

Er stelle sich seit einiger Zeit grundsätzliche Fragen, sagt der frühere CDU-Mann, zum Beispiel: "Stehen wir wieder am Ende der Weimarer Republik?" Er habe sich in Erfurt mit Bürgermeistern aus anderen Gemeinden getroffen, die mit ähnlichen Problemen wie er in Themar kämpfen. Ein Ergebnis der Tagung: Böse ist nicht allein mit seiner Hilflosigkeit.

"Wir haben viel zu wenige Leute hier bei uns im Ort, die etwas machen", sagt er - und so sei es offenkundig vielerorts. Die Demokraten gehen demzufolge in Deckung, um nicht selbst zur Zielscheibe von Extremisten zu werden. Wie aber soll ein Bürgermeister seine Stadt gegen den Rechtsruck verteidigen, wenn die eigenen Bürger sich zurückziehen? Böse sagt: "Ich kann fast nichts machen." Das klingt resigniert, fast hilflos. Er fühle sich an 1933 erinnert, sagt Böse. "Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das wir alle zusammen anpacken müssen."

An ihm soll es nicht scheitern: Im April stellte sich Böse nach längerem Zögern wieder zur Wahl, und die Themarer wählten ihn für sechs weitere Jahre zu ihrem Stadtoberhaupt .

Er erhielt 98 Prozent der Stimmen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten