Trikot-Skandal Wenn der Kicker zum Kreuzritter wird

Ein Trikot des Fußballclubs Inter Mailand löste in der Türkei einen Eklat aus. Weil die Inter-Kicker im vermeintlichen Kreuzritter-Look gegen ein Team aus Istanbul antraten, witterte ein Anwalt aus Izmir Rassimus. Er erstattete Anzeige gegen Fifa und Uefa.

Hamburg - Das Kreuz ist groß, rot und von mächtiger Symbolkraft: Archaisch und ausdrucksstark kommen sie daher, die Trikots des traditionsreichen Fußballvereins Inter Mailand. Ein Italiener wird beim Anblick der T-Shirts in erster Linie die Fahne der lombardischen Hauptstadt erkennen, ein Deutscher sich vielleicht an die Rotkreuz-Hilfsorganisation erinnert fühlen.

In der Türkei jedoch sorgt das symbolschwangere Design derzeit für Unmut: "Dieses Kreuz erinnert an die blutigen Tage der Vergangenheit", empörte sich Rechtsanwalt Baris Kaska aus dem türkischen Izmir. Als er das Champions-League-Rückspiel Fenerbahce Istanbul gegen Inter Mailand gesehen habe, habe er "einen schrecklichen Schmerz in der Seele verspürt", sagte der Experte für Europa-Recht der spanischen Zeitung "La Vanguardia".

Weil mit dem Tragen des vermeintlichen Kreuzritter-Outfits die "rassistische Überlegenheit einer Religion gezeigt" werde, müssten der Weltverband Fifa und die Europäische Fußball-Union Uefa sich verantworten. Und nicht nur ein Bußgeld solle gezahlt, nein, auch das Spiel im Nachhinein annulliert und Inter Mailand drei Punkte abgezogen werden, meint Kaska. Die Konsequenz des Anwalts: Er erstattete Anzeige bei einem örtlichen Gericht, das die Klage an Uefa und Fifa in der Schweiz weiterleitete.

Dort gibt man sich zurückhaltend: Die Klage sei eingegangen und man werde sich eingehend mit dem Inhalt beschäftigen, erklärte ein Sprecher SPIEGEL ONLINE. Der Mailänder Club wollte sich bisher nicht zu den Vorwürfen äußern.

Die Uefa betont allerdings, dass Inter sich in der Vergangenheit ausgesprochen sensibel im Bezug auf die heikle Symbolfrage verhalten habe: Der Istanbuler Club Fenerbahce und Inter Mailand hätten sich bereits vor dem Hinspiel am 19. September darauf geeinigt, ihre Heim- und Auswärts-Trikots zu tauschen, um Provokationen zu vermeiden, sagte der Uefa-Sprecher. Die "Nerazzurri" ("Schwarzblauen") genannten Mailänder trugen daraufhin im türkischen Stadion ihre traditionellen, schwarz-blau-gestreiften Trikots. Die Istanbuler präsentierten sich im blau-gelben Outfit, dem sie den Spitznamen "Kanarienvögel" verdanken.

Vor dem Rückspiel am 27. November im Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadion hätte "Inter" sowohl bei der Uefa als auch dem türkischen Club angefragt, ob es diesmal opportun sei, die rot-weißen Trikots zu tragen. "Der internen Absprache gemäß war alles geregelt", sagte der Uefa-Sprecher. Es habe keine Einwände gegeben, "der Fall existiert mithin gar nicht", poltert die "Gazzetta dello Sport".

Als die Mailänder daraufhin tatsächlich in ihre "Kreuzritter"-Hemden schlüpften, kam es zum Eklat. "Wie konnte die Uefa dies zulassen?", fragte die türkische Zeitung "Radikal". Landesweit griffen zahlreiche weitere Medien das Motiv auf und ergänzten es mit dem Bild eines Kreuzritters, der Ende des elften Jahrhunderts zur Befreiung des "heiligen Landes" gen Jerusalem aufbricht, um es von den Muslimen zu befreien.

Die römische Tageszeitung "La Repubblica" unkte, es sei unklar, ob Anwalt Kaska entsetzt über die angebliche Beleidigung oder die große Anzahl der Tore sei, die Inter bei seinem 3:0 Sieg geschossen hatte. Beim Hinspiel am 19. September hatten sich die Mailänder mit 1:0 geschlagen geben müssen.

"Die Türkei muss noch viel lernen"

Auch die obligaten politischen Kommentare aus dem rechten Spektrum ließen nicht lang auf sich warten. ''Wir rufen Uefa und Fifa auf, die türkischen Vereine für alle internationalen Wettkämpfe zu sperren. Die Türkei muss noch viel lernen auf dem Weg zur Demokratie", sagte Paolo Grimoldi, Abgeordneter der "Lega Nord", dem "Corriere dello Sport" zufolge. Es sei schlicht inakzeptabel, sich den provozierenden und lächerlichen Anklagen aus einem Staat auszusetzen, der jede Meinungsverschiedenheit gewaltsam im Keim ersticke, so Grimoldi.

In der Tat heizt der italienisch-türkische Trikot-Skandal die Diskussion um einen EU-Beitritt der Türkei weiter an. Weil der französische Präsident Nicolas Sarkozy einen Beitritt der Türkei kategorisch ablehnt, ließ er wenige Tage vor dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel die Bezeichnung "Beitrittskonferenz" aus einer Vorlage streichen. Ebenso taucht das Wort "Mitgliedschaft" im Zusammenhang mit der Türkei nicht mehr auf. In Deutschland wird das Verhalten der türkischen Justizbehörden im Fall des seit Monaten in Untersuchungshaft sitzenden, der Vergewaltigung angeklagten 17-jährigen Marco Weiss heftig kritisiert.

Der traditionsreiche Verein Inter Mailand wurde - wie der gegnerische Verein Fenerbahce - vor 100 Jahren gegründet. Die anlässlich des bevorstehenden Jubiläums gefertigten Skandal-Shirts scheinen von Produktionsbeginn an Probleme bereitet zu haben: Nach der Präsentation des Trikots wurde festgestellt, dass ein Aufnäher gleich zwei Fehler barg: Das Gründungsdatum wurde darauf mit dem 8. März statt dem 9. März 1908 angegeben. Außerdem fehlte den "Nerazzurri" ein "r". Die schon produzierten Hemden mussten sofort vom Markt genommen werden. Die schon verkauften werden nun vermutlich zu heiß begehrten Sammlerobjekten.

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