Bergwerksunglück in der Türkei Die Horrornacht von Soma

Im türkischen Soma herrscht Verzweiflung. Nach der Explosion in einem Bergwerk werden noch Hunderte Menschen vermisst, der Brand in der Tiefe ist noch immer nicht gelöscht. Bisher wurden mehr als 200 Tote geborgen, die Behörden fürchten einen Aufstand der Angehörigen.
Bergwerksunglück in der Türkei: Die Horrornacht von Soma

Bergwerksunglück in der Türkei: Die Horrornacht von Soma

Foto: OSMAN ORSAL/ REUTERS

Am Mittwochmorgen steigt Rauch auf im Bergwerk von Soma. Mindestens 201 Menschen kamen hier zu Tode, als nach einem Stromausfall am Dienstag ein Umspannwerk explodierte und in Brand geriet. Immer wieder bricht das Feuer unter Tage aus, die Einsatzkräfte bekommen es nicht unter Kontrolle.

In der Nacht haben ein paar Männer versucht, den Eingeschlossenen Wasser und Essen zu bringen. Sie sollen nicht wieder zurückgekehrt sein, auch sie seien jetzt gefangen, irgendwo da unten, sagen Bergleute vor Ort.

Doch noch besteht Hoffnung: Nachdem bereits 360 Arbeiter lebend aus der Mine geholt werden konnten, haben Einsatzkräfte mehr als 18 Stunden nach der Explosion weitere sechs Überlebende gerettet. Noch ist unklar, ob die Männer verletzt seien, berichtete die Zeitung "Hürriyet" in ihrer Onlineausgabe.

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Grubenunglück: Angehörige in Agonie

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Ein defekter Trafo war vermutlich die Ursache für das Unglück in Soma, etwa 250 Kilometer südwestlich von Istanbul. Die Explosion ereignete sich in etwa 400 Metern Tiefe, ausgerechnet zum Schichtwechsel, als sich mehr Arbeiter als üblich in dem Bergwerk befanden, laut Angaben von Energieminister Taner Yildiz waren es 787.

Bergleute berichteten, die vermissten Kumpel steckten in etwa zwei Kilometern Tiefe fest. Weil der Strom ausfiel, fahren die Aufzüge nicht mehr. "Wir versuchen jetzt, Sauerstoff nach unten zu pumpen", sagte ein Mitarbeiter der Feuerwehr türkischen Nachrichtensendern. In der Tiefe hätten sich zwei Hohlräume gebildet. In einem davon seien die Kumpel von jeder Hilfe abgeschnitten.

"Da sind viel, viel mehr Tote"

Bis zum Morgen wurden 201 Tote geborgen, wie der Bürgermeister des Ortes Soma, Mehmet Bahattin Atci, bestätigte. "Da sind viel, viel mehr Tote", berichtete hingegen ein geretteter Arbeiter. "Überall liegen sie, ich musste über sie hinwegsteigen." Die Rettungskräfte gingen von vielen weiteren Menschen aus, die noch in der Grube gefangen seien.

Feuerwehr und Rettungssanitäter aus allen Städten im Westen der Türkei wurden angefordert. Selbst aus Istanbul machten sich mehrere Einheiten auf den Weg. Tausende Menschen versammelten sich vor Ort und bangten um ihre Angehörigen. Vor Ort brachen Hunderte vor Verzweiflung zusammen, als in der Nacht nach und nach die Toten geborgen wurden.

Die Polizei war damit beschäftigt, die Rettungsarbeiten zu sichern und die Menge nicht weiter vordringen zu lassen. Viele Menschen weinten, schrien, brachen in Wehklagen aus. Augenzeugen im örtlichen Krankenhaus berichteten, es kämen inzwischen mehr kollabierte Angehörige an als Gerettete aus dem Bergwerk.

Um die Menschen zu beruhigen, lasen Ärzte vor dem Krankenhaus Listen mit Namen von Überlebenden vor. "Diese Leute sind verletzt, aber es geht ihnen gut", sagte ein Arzt zu den Wartenden. Mehrere Augenzeugen berichteten, man habe Leichen Gasmasken auf das Gesicht gelegt, damit sie nicht als Tote erkannt werden. Auf diese Weise solle verhindert werden, dass sich noch mehr Panik verbreite.

Am Morgen stockten die Rettungsarbeiten, es kamen kaum noch Krankenwagen am Hospital an. Eine weinende Frau sagte: "Wir beten und hoffen, dass wir unsere Angehörigen lebend wiedersehen. Aber wir wissen, dass mit jeder Minute die Chancen sinken." Mehrere Betroffene beklagten, sie hätten keine Informationen darüber, was geschehen sei und was die Behörden unternehmen würden.

Das Bergwerksunglück wird von der Politik instrumentalisiert. Regierungsnahe Medien berichten, dass zügig reagiert wurde seitens der Sicherheitskräfte. Außerdem habe eine Untersuchung des betroffenen Bergwerks im März ergeben, dass es den Sicherheitsstandards entspricht. Regierungskritische Zeitungen berichten hingegen, dass die Regierungspartei AKP einen Gesetzesvorschlag der oppositionellen CHP, Standards zu verbessern, abgelehnt habe. Außerdem seien Ermittlungen nach dem letzten Bergwerksunglück im vergangenen Oktober behindert worden.

Die Regierung hat eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Im ganzen Land und an den türkischen Vertretungen im Ausland würden die Flaggen auf halbmast gesetzt, teilte das Büro von Premierminister Recep Tayyip Erdogan mit.

Mit Material von dpa
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